Stellungnahme des DRB zu den Vorschlägen der Arbeitsgruppe „Verfahrenserleichterungen im Zivilprozessrecht"

Einige der schon seit längerem justizintern zirkulierten Reformvorschläge der Arbeitsgruppe „Verfahrenserleichterungen im Zivilprozessrecht" waren hier bereits Thema.

Der Deutsche Richterbund hat nun eine Stellungnahme zu der kompletten (und sehr langen) Liste von Reformvorschlägen veröffentlicht.

Ganz allgemein lässt sich den Reformvorschlägen m.E. eine Tendenz dahingehend entnehmen, die vielerorts mangelnde personelle und sachliche Ausstattung der Justiz in bedenklichem Maße zu kompensieren, indem Verfahrensrechte der Beteiligten eingeschränkt werden. Das arbeitet der DRB an vielen Stellen sehr deutlich heraus und äußert daran (zu Recht) deutliche Kritik.

Die Stellungnahme hier komplett wiederzugeben, würde den Rahmen eines Blogbeitrages sprengen. Auf einige Punkte in der Stellungnahme möchte ich aber kurz eingehen:

  • Die Vorschläge zur Einführung von Spezialkammern, insbesondere für Bausachen sieht der DRB kritisch. Zum einen würde mit den derzeitigen Regelungen auch dem Bedarf an „Ausbildungskammern für Proberichter" Rechnung tragen. Zudem sei es ein erheblicher Eingriff in die Selbstverwaltung der Landgerichte und Entscheidungsbefugnisse der Präsidien. An kleineren (Land-)Gerichten sei eine weitgehende Spezialisierung auch kaum möglich. Das berücksichtigt m.E. nicht hinreichend, dass die Justiz nur dann weiterhin Akzeptanz finden wird, wenn die Richterschaft den teils hoch spezialisierten Anwälten auch fachlich „auf Augenhöhe" begegnen kann. Dem Trend hin zu einer immer weiter gehenden Spezialisierung wird sich die Justiz nicht verschließen können. Verwaltungsinterne Probleme oder Schwierigkeiten sollten dabei m.E. kein Hindernis sein. Soweit manche Gerichte für eine Spezialisierung zu klein sind, könnten die Möglichkeiten, bezirksübergreifende Spezialkammern zu bilden, erweitert werden. Außerdem dürfen bei alledem auch die Amtsgerichte nicht aus dem Blick geraten, bei denen eine Spezialisierung heute kaum stattfindet. Auch wer Ansprüche unter 5.000 EUR geltend macht, hat einen Anspruch auf hinreichenden Richterlichen Sachverstand. Für kleine Amtsgerichte erscheinen mir ebenfalls bezirksübergreifende Spezialzuständigkeiten (beispielsweise für Versicherungssachen) erwägenswert.
  • Was die Anhebung der Wertgrenze in § 511 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO und § 495a ZPO anbetrifft, hält der DRB eine Anhebung auf 1.000 EUR für vertretbar. Das scheint mir ein guter Kompromiss; eine darüber hinausgehende Anhebung auf bis zu 2.000 EUR würde eine zu massive Rechtsschutzverkürzung mit sich bringen.
  • Den Vorschlag, die Wertgrenze für die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte auf 10.000 EUR anzuheben, sieht der DRB kritisch, insbesondere im Hinblick auf den fehlenden Anwaltszwang an den Amtsgerichten. Das Argument überzeugt mich nicht völlig, denn in Mietstreitigkeiten kann sich eine Partei schon heute unabhängig vom Streitwert selbst vertreten. Insgesamt halte ich es aber für richtig, dass eine solche isolierte Verschiebung der Zuständigkeiten innerhalb der derzeitigen Gerichtsorganisation nicht zu realisieren sein wird. Dafür wäre eine viel grundlegendere Reform der gerichtlichen Zuständigkeiten erforderlich, ggf. mit der Einführung eines dreistufigen statt vierstufigen Gerichtsaufbaus.
  • Die Möglichkeit, ein Versäumnisurteil auch dann zu erlassen, wenn zwar eine Verteidigungsanzeige aber keine Klageerwiderung eingeht, sieht der DRB im Hinblick auf Art. 6 EMRK kritisch. Dass zwischen Ablauf der Klageerwiderungsfrist und dem Termin zur mündlichen Verhandlung viel Zeit liege, habe vor allem mit der Überlastung der Justiz zu tun und rechtfertige keine Einschränkungen der prozessualen Rechte des Beklagten. Das ist m.E. nicht von der Hand zu weisen. Außerdem dauern die entsprechenden Termine ja häufig nur 15 Minuten, so dass man sie „einschieben" bzw. „8:45-Uhr-Termine“ machen kann. Da würde u.U. auch ein klein wenig mehr Flexibilität auf gerichtlicher Seite helfen.
  • Den Vorschlag, abgekürzte Urteile auch zu ermöglich, wenn das Urteil am Ende der Sit­zung ver­kün­det wird und die wesent­li­chen Ent­schei­dungs­gründe ins Pro­to­koll auf­ge­nom­men werden, finde ich relativ attraktiv. Insbesondere in amtsgerichtlichen Streitigkeiten, in denen vor allem tatsächliche Fragen streitig sind, könnte dies m.E. zu einer erheblichen Arbeitsentlastung führen. Der DRB sieht dies allerdings kritisch, weil der Richter bzw. Berichterstatter dann zweimal mit einer Abfassung des Urteils befasst ist, u.U. mit größerem zeitlichem Abstand. Das lässt m.E. außer Acht, dass es ja lediglich um eine (freiwillige Möglichkeit) geht. Außerdem erscheint mir dies verkraftbar, wenn es bereits einen groben Entwurf im Protokoll gibt. Ggf. wäre es in diesem Zusammenhang sinnvoll, die Frist zur Einlegung einer Berufung entsprechend der strafprozessualen Regelung auf 1 oder 2 Wochen zu verkürzen.
  • Die vorgeschlagene Abschaffung des selbständigen Beweisverfahrens sowie den damit im Zusammenhang stehenden Vorschlag, ähnlich dem US-amerikanischen Discovery-Recht in erweitertem Umfang Beweisurkunden zuzulassen, sieht der DRB m.E. zu Recht kritisch. Letzteres sei mit dem Grundsatz der formellen Beweisunmittelbarkeit nicht zu vereinbaren. Im Bereich des selbständigen Beweisverfahren bestehe aber Reformbedarf, der DRB schlägt insoweit eine rechtstatsächliche Untersuchung vor.

Seine Stellungnahme ergänzt der DRB noch um einen Reformvorschlag, der auch schon auf dem 70. DJT erörtert wurde: die Möglichkeit der Parteien, als Eingangsinstanz das LG statt des AG und das OLG statt des LG auszuwählen, wenn sie gleichezeitig auf eine Rechtsmittelinstanz - d.h. die Berufungsinstanz - verzichten. In solchen Fällen sollte dann sichergestellt sein, dass die Kammer bzw. der Senat durch drei Richter entscheidet.

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