Und wieder einmal: Der Einzelrichter kann (immer noch) keine Rechtsbeschwerde zulassen

Zu den Fragen, die eigentlich längst höchstrichterlich geklärt (und auch sonst juristisch nicht wirklich umstritten) sind, aber über die der BGH trotzdem immer wieder entscheiden muss, ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Einzelrichter.

So z.B. mit Beschluss vom 19.08.2014 - VI ZB 17/13.

Sachverhalt

In der Sache ging es um einen Verkehrsunfallprozess vor dem Amtsgericht. Rund zwei Wochen nach Klagezustellung hatte die beklagte Haftpflichtversicherung die Klageforderung beglichen. Daraufhin hatte der Klägervertreter die Klage zurückgenommen (und nicht für erledigt erklärt). Das Amtsgericht hatte dann die Kosten des Rechtsstreits gem. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO dem Beklagten auferlegt. Und die sofortige Beschwerde der Beklagten hatte der Einzelrichter am Landgericht zurückgewiesen, gleichzeitig aber die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Das Landgericht entscheidet - nach der ursprünglichen gesetzgeberischen Vorstellung - durch die Kammer mit drei Berufsrichtern. Faktisch wird heute jedoch ein Großteil der Verfahren vor nur einem Mitglied der Kammer als sog. Einzelrichter verhandelt. Ob die Sache vor der Kammer oder vor dem Einzelrichter verhandelt wird, richtet sich in erster Instanz nach §§ 348, 348a ZPO:

  • Gem. § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist grundsätzlich der Einzelrichter zuständig (sog. originärer Einzelrichter). Das gilt allerdings nicht bei Proberichtern in ihrem ersten Jahr (Satz 2 Ziff. 1) oder wenn es sich um eine Spezialkammer handelt (Satz 2 Ziff. 2). Ist die Sache aber besonders schwierig oder von grundsätzlicher Bedeutung, wird die Sache gem. Abs. 3 von der Kammer übernommen.
  • Ist hingegen aufgrund einer der Ausnahmen in § 348 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Kammer zuständig, kann diese die Sache gem. § 348a Abs. 1 ZPO mit Beschluss auf den Einzelrichter übertragen (sog. obligatorischer Einzelrichter). Eine Übertragung darf aber nicht erfolgen, wenn die Sache besonders schwierig oder von grundsätzlicher Bedeutung ist.

In der Beschwerdeinstanz gilt weitgehend Entsprechendes: Da das Amtsgericht in Zivilsachen immer durch „eines seiner Mitglieder“ entscheidet, ist zur Entscheidung über sofortige Beschwerden gem. § 568 Satz 1 ZPO zwar grundsätzlich der Einzelrichter berufen. Er muss die Sache aber nach Satz 2 der Kammer übertragen, wenn sie von grundlegender Bedeutung ist.

(Merke: Was von grundsätzlicher Bedeutung ist, darf nicht durch den Einzelrichter entschieden werden.)

Die Rechtsbeschwerde hatte der Einzelrichter aber gem. § 574 Abs. 1, 2 ZPO mit der Begründung zugelassen, der Sache komme grundsätzliche Bedeutung zu. Dann hätte er aber ja gar nicht der Einzelrichter entscheiden dürfen. Das war also offensichtlich widersprüchlich.

In der Sache war dem Klägervertreter ein Fehler unterlaufen. Er hätte nämlich den Rechtsstreit für erledigt erkläre müssen. Nimmt er hingegen - wie hier - die Klage zurück, trägt er gem. § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Kosten des Rechtsstreits. Wohl aus Billigkeitsgründen (die Klage war ja wohl begründet gewesen) und um diese Folge zu vermeiden, hatte das Amtsgericht hier § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO angewendet, um die Kosten den Beklagten aufzuerlegen. Diese Vorschrift ist aber nur anwendbar, wenn der Anlass zur Klageerhebung vor Rechtshängigkeit wegfällt. Die Versicherung hatte aber erst nach Zustellung der Klage gezahlt (§ 362 BGB).

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hebt zunächst den Beschluss des Landgerichts wegen Verstoßes gegen das Gebot des gesetzlichen Richters auf:

„1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht deshalb unwirksam, weil sie durch den Einzelrichter erfolgt ist, obwohl er bei Annahme eines Zulassungsgrundes das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Richtern besetzten Kammer hätte übertragen müssen. An eine dennoch erfolgte Zulassung ist das Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO gebunden […].

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung unterliegt bereits deshalb der Aufhebung, weil sie unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen ist. Der Einzelrichter durfte nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der von ihm angenommenen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Richtern besetzten Kammer übertragen müssen. Mit seiner Entscheidung hat er die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache dem Kollegium als dem gesetzlich zuständigen Richter entzogen. Diesen Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters hat der Senat von Amts wegen zu beachten […].“

Zum Schluss gibt er dem Landgericht aber auch in der Sache noch eine „Segelanweisung“ mit auf den Weg:

„3. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass der Bundesgerichtshof über die Zulassungsfrage bereits entschieden hat. Danach scheidet eine entsprechende Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO aus, wenn das erledigende Ereignis nach Rechtshängigkeit eingetreten ist. Denn in diesem Fall kann die klagende Partei durch eine Erledigungserklärung eine für sie günstige Kostenentscheidung erwirken […]. Dass eine ausdrückliche Klagerücknahme nicht als Erledigungserklärung ausgelegt oder in eine solche umgedeutet werden kann, ist ebenfalls höchstrichterlich geklärt […].“

Anmerkung

Der Einzelrichter wird nun erneut prüfen, ob die Voraussetzungen des § 568 Satz 2 ZPO vorliegen, dies wahrscheinlich verneinen und die Kosten des Rechtsstreits der „Segelanweisung" des BGH folgend der Klägerin auferlegen.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil vom 19.08.2014 - VI ZB 17/13. Foto: ComQuat | BGH - Palais 2 | CC BY-SA 3.0