Verjährungshemmung bei unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben im Mahnbescheid?

Mit zwei aktuellen und praktisch sehr relevanten Fragen zur verjährungshemmenden Wirkung des Antrags im Mahnverfahren befasst sich das Urteil des OLG Bamberg vom 04.06.2014 – 3 U 244/13. Eine dieser Fragen hat der Bundesgerichtshof am 26.02.2015 entschieden und dabei der Ansicht des OLG Bamberg widersprochen (s. unten).

Der Kläger begehrte wegen fehlerhafter Anlageberatung Schadensersatz Zug um Zug gegen Übertragung der Anteile an einem geschlossenen Immoblienfonds. Die Ansprüche des Klägers verjährten spätestens mit Ablauf des Jahres 2011.

Am 01.12.2011 schrieb der Prozessbevollmächtigte der Klägerin an die Beklagte, machte mehrere Beratungsfehler geltend und begehrte die Abgabe einer betragsmäßig nicht näher konkretisierten Haftungserklärung. Gleichzeitig ließ bot er die Rückübertragung der Anteile an. Da die Beklagte darauf nicht einging, beantragte er schließlich am 21.12.2011 den Erlass eines Mahnbescheids. Die Forderung war als „Schadensersatz aus Beratungsvertrag Beteiligung M. Fonds Nr. 01 vom 31.10.1996“ bezeichnet. Im Mahnantrag gab der Kläger an, dass der Anspruch von einer Gegenleistung abhänge, diese aber bereits erbracht sei.

Der Mahnbescheid wurde antragsgemäß erlassen, gegen diesen legte die Beklagte Widerspruch ein. In seiner Anspruchsbegründung stütze der Kläger seinen Anspruch auf die bereits im Schreiben vom 02.12.2011 genannten Beratungsfehler sowie auf noch weitere Beratungsfehler.

Das OLG musste dabei zwei Fragen/Fragenkomplexe beantworten:

  1. War es ausreichend, dass nach der Begründung des Mahnantrages der Streitgegenstand bestimmbar war? Oder hätten sämtliche Beratungsfehler aufgeführt werden müssen? Hatte der Antrag im Mahnbescheid die Verjährung der Ansprüche des Klägers wegen sämtlicher Beratungsfehler gehemmt oder allenfalls hinsichtlich der Beratungsfehler, die im Schreiben vom 01.12.2011 genannt waren?
  2. Wie wirkte es sich aus, dass der Kläger angegeben hatte, die Gegenleistung sei schon erbracht, wo dies offensichtlich nicht der Fall war?
Das OLG Bamberg hält die Forderung ebenso wie die Vorinstanz für verjährt. Zum ersten Fragenkomplex führt das OLG aus:

„Eine Hemmung der Verjährung durch den am 21.12.2011 beim Mahngericht eingegangenen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides ist gemäß §§ 209, 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO allenfalls hinsichtlich der im Anspruchsschreiben vom 01.12.2011 angeführten Beratungsfehler eingetreten, jedenfalls aber nicht hinsichtlich der weiteren mit der Klage geltend gemachten, da die Schadensersatzforderung insoweit nicht hinreichend individualisiert war.

a) Zur ausreichenden Individualisierung des Mahnbescheids ist es grundsätzlich erforderlich, dass der geltend gemachte Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt wird, dass er jedenfalls Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will. […].

[Mit den Angaben im Mahnbescheidsantrag] ist zwar der Lebenssachverhalt als solcher umrissen und für die Beklagte durchaus erkennbar, um welchen Vertrag es sich handelt, wie sich in der im Widerspruchsschreiben erfolgten Benennung des Geschäftszeichens der Beklagten und des tätig gewordenen Anlageberaters dokumentiert.

b) Angaben zu den einzelnen Pflichtverletzungen als jeweiligem Grund des Schadensersatzbegehrens enthielt der Mahnbescheidsantrag aber nicht. Insoweit stellt sich die Frage, ob es erforderlich ist, auch die einzelnen Pflichtverletzungen aufzuführen, um den Mahnbescheid ausreichend zu individualisieren und damit eine Hemmung der Verjährung herbeizuführen. […]

[Nach] der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs läuft für jeden Beratungsfehler, auf die der Schadensersatzanspruch gestützt wird, eine eigene Verjährungsfrist, auch wenn sie jeweils denselben Schaden verursacht haben […]

(1) Diese Ansicht hat explizit für Ansprüche wegen falscher Anlageberatung, allerdings nicht entscheidungserheblich, das OLG München in seinem Urteil vom 07.02.2008, WM 2008, 581, Tz. 119, vertreten. Gleichfalls dieser Ansicht folgt das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 02.05.2013, Az. 6 U 84/12, Tz. 37, […] bezüglich der Verjährungshemmung durch Einreichung eines Güteantrages.

(2) Demgegenüber hat das OLG Koblenz in seinem Urteil vom 11.02.2005, Az. 8 U 141/04, NJOZ 2005, 1997, ebenso wie das OLG Köln in seinem Urteil vom 30.03.2011, Az. 13 U 87/10, Tz. 32 und dem Urteil  vom 20.07.2011, Az. 13 U 89/10 Tz. 34, jeweils […], die bloße Bezeichnung der Beteiligung zur Individualisierung ausreichen lassen.

Ebenso vertritt das OLG Stuttgart (Urteil vom 11.07.2013, Az. 7 U 95/12, Tz. 139 […]) die Ansicht, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum unterschiedlichen Beginn der Verjährung eines jeden einzelnen Beratungsfehlers nicht zwingend auf die Hemmung der Verjährung zu übertragen sei. Der Grund für den Eintritt der Verjährungshemmung gemäß § 204 BGB sei, dass der Gläubiger, der die Durchsetzung seines Anspruchs aktiv betreibe, dem Schuldner seinen Rechtsverfolgungswillen so deutlich mache, dass dieser sich darauf einrichten müsse, auch noch nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist in Anspruch genommen zu werden […]. Einem Beklagten sei daher mit Zustellung der Klage bewusst, dass er Ansprüchen des Klägers anlässlich der Zeichnung der Kapitalanlage bei erfolgter Anlageberatung ausgesetzt sei. Er habe sich nicht darauf einrichten können und dürfen, bezüglich der nicht ausdrücklich geltend gemachten Pflichtverletzungen nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht in Anspruch genommen zu werden.

Dieser Ansicht vermag der Senat angesichts der eingangs aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur erforderlichen Individualisierung des Mahnbescheids nicht beizutreten. Hierfür sprechen auch folgende weitere Erwägungen: Die Frage des Umfangs der Hemmung ist im Gegensatz zur Frage der Rechtskraft, die auf den prozessualen Anspruch abstellt, eine Frage des materiellen Rechts. Da der Anleger bei mehreren Beratungsfehlern und Pflichtverletzungen, seinen Schadensersatzanspruch nach seiner Wahl entweder auf alle oder nur auf bestimmte oder gar nur auf eine einzige Pflichtverletzung stützen darf, muss er in der Folge auch dem Anspruchsgegner zu verstehen geben, auf welche konkrete Pflichtverletzung er seinen Antrag stützen will. Ansonsten kann dieser nämlich nicht erkennen, wegen welcher Pflichtverletzung er nicht mehr auf die Verjährung vertrauen darf […]“

Das überspannt m.E. die Anforderungen an die Konkretisierung des Anspruchs im Mahnverfahren, ich halte die Ansicht des OLG Stuttgart für überzeugender. Es muss ausreichen, dass der Anspruch im Mahnantrag so hinreichend konkretisiert ist, dass er in materielle Rechtskraft erwachsen kann. Dann ist der Beklagte ausreichend gewarnt und weiß, hinsichtlich welches Streitgegenstands er nicht auf den Eintritt der Verjährung vertrauen darf. Ein schützenswertes Bedürfnis des jeweiligen Beklagten, bereits im Mahnverfahren detaillierteste Informationen über den Anspruchsgrund zu erhalten, kann ich nicht erkennen.

Darauf kommt es jedoch nach Ansicht des OLG Bamberg im Ergebnis gar nicht an. Denn das OLG hält den Anspruch für verjährt:

„Soweit der Mahnbescheidsantrag hinsichtlich der individualisierten Beratungsfehler zu einer Hemmung der Verjährung führte, ist es dem Kläger allerdings nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf die hemmende Wirkung des Mahnbescheids zu berufen, da er den Mahnbescheid nur mit der unzutreffenden Angabe, seine Forderung hänge von einer bereits erbrachten Gegenleistung ab, erwirkt hat. […]

Nach seinem Normzweck dient das Mahnverfahren der schnelleren und kostengünstigen Durchsetzung von Ansprüchen, denen der Antragsgegner nichts entgegensetzt […]. Im Hinblick darauf ist das Mahnverfahren von vorneherein für bestimmte Forderungen nicht statthaft, insbesondere nicht für Forderungen, deren Geltendmachung von einem Gegenanspruch abhängig ist.

aa) Dies gilt nicht nur für Hauptleistungspflichten, die im Gegenseitigkeitsverhältnis (§ 320 BGB) stehen, wie dies in der Entscheidung BGH vom 21.12.2011, NJW 2012, 995 der Fall war, oder für Ansprüche, denen ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB entgegen gehalten wird.

bb) Wird ein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Anlageberatung in Höhe des investierten Kapitals geltend gemacht, ist der Restwert im Rahmen des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigen. In derartigen Fallgestaltungen ist eine solche Schadensberechnung und Fassung des Klageantrags, mit dem der Kläger neben seinem Zahlungsverlangen gleichzeitig anbietet, Zug um Zug gegen Zahlung des geforderten Betrages den von ihm erlangten Vorteil in Gestalt der Beteiligung herauszugeben, unabdingbar. […] Auch im Fall dieser Art der Schadensberechnung ist damit die Schadensersatzforderung von einer – und zwar von Amts wegen ohne Einrede des Schuldners – zu berücksichtigenden Gegenleistung abhängig, die ihrerseits nur Zug um Zug geschuldet ist.

cc) Dieser Aspekt wird in der Literatur (vgl. Schultz, Missbrauch des Mahnverfahrens durch Kapitalanleger?, NJW 2014, 827) nicht ausreichend berücksichtigt, soweit dort der Versuch unternommen wird, die Statthaftigkeit des Mahnverfahrens gemäß § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nur auf Gegenleistungen zu beschränken, die im synallagmatischen Verhältnis stehen. Eine solche Einengung des Begriffs der Gegenleistung lässt sich weder aus dem Gesetzestext selbst noch aus dem Sinn und Zweck des Mahnverfahrens und schon gar nicht aus der eingangs zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.12.2011 herleiten. […]

Damit ist das Mahnverfahren für Schadensersatzforderungen eines Kapitalanlegers, der im Rahmen des Vorteilsausgleichs die Rechte an seiner Beteiligung zurück zu gewähren hat, grundsätzlich nicht statthaft, weil die Forderung von einer Gegenleistung abhängig ist. Wäre die Angabe zu § 690 Abs. 1 Ziffer 4 ZPO zutreffend erfolgt, hätte der Mahnantrag als unzulässig zurückgewiesen werden müssen. […]

Der Senat übersieht nicht, dass Fehler, die zur Unzulässigkeit des Antrags führen, einer Hemmung nicht entgegenstehen, wenn der Antrag nicht als unstatthaft zurückgewiesen wird […].

c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann jedoch die Berufung auf die durch den Erlass des Mahnbescheids eingetretene Verjährungshemmung im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Mahnbescheidsantrag die bewusst wahrheitswidrige Erklärung enthält, dass die Gegenleistung erbracht sei […].

Dass diese Erklärung auch in subjektiver Hinsicht bewusst falsch abgegeben worden ist, um durch das Mahnverfahren eine schnelle und einfache Hemmung der ablaufenden kenntnisunabhängigen Verjährung zu erreichen, ergibt sich vorliegend aus der Gesamtschau der Inanspruchnahme der Beklagten.

Dem Kläger bzw. seinen Prozessbevollmächtigten, deren Kenntnis sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, war bewusst, dass die geltend gemachte Schadensersatzforderung nur Zug um Zug gegen die Übertragung der Rechte an der Kapitalbeteiligung verlangt werden kann. […]

Dass das schnelle und einfache Mahnverfahren nur gewählt wurde, um angesichts des Zeitablaufs und der Vielzahl der Mandate eine Verjährungshemmung herbeizuführen, wird durch das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 19.11.2012 in anderer Sache (vorgelegt als Anlage B 11) bestätigt. Hierin wird eingeräumt, dass im Hinblick auf mehrere hunderte Mandate, deren Ansprüche kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist gestanden hätten, nichts anderes übrig geblieben sei, als das - unzulässige - Mahnverfahren zu wählen.

Der Senat ist daher davon überzeugt, dass das an sich ungeeignete bzw. unzulässige Mahnbescheidsverfahren nur gewählt wurde, um auf einfache Art und Weise möglichst schnell und kurzfristig vor Ablauf der Verjährungsfrist eine Hemmung der Verjährung herbeizuführen, ohne die Klage sofort begründen zu müssen. Soweit sich der Kläger auf die Verjährungshemmung beruft, nutzt er eine durch wahrheitswidrige Angaben erlangte Rechtsposition aus. Eine Berufung auf eine verjährungshemmende Wirkung des Mahnbescheids - soweit sie für die angeführten Beratungsfehler gegeben ist - ist daher im konkreten Fall rechtsmissbräuchlich.“

Und das halte ich für vollkommen richtig. Die letzten Absätze wird der Klägervertreter übrigens wahrscheinlich nicht gerne gelesen haben (s. dazu auch diesen Beitrag). Anmerkung/Besprechung, OLG Bamberg, Urteil vom 04.06.2014 – 3 U 244/13. Update vom 17.05.2015:

Der BGH hat mit Beschluss vom 26.02.2015 - III ZR 53/14 (Rn.2) der Auffassung des OLG Bamberg - allerdings in einer anderen Sache - widersprochen und entschieden, dass zur Individualisierung des prozessualen Anspruchs im Mahnverfahren die einzelnen Beratungsfehler nicht im Antrag und im Mahnbescheid benannt werden müssen. Auch bei einer Prospekthaftungsklage sei es nicht erforderlich, die einzelnen Prospektfehler zu benennen (Beschluss vom 21. 10. 2014 - XI ZB 12/12, Rn. 141. ff., 146).

Über die Frage der Hemmung der Verjährung bei wahrheitswidrige Angaben zur fehlenden Gegenleistung wird der Bundesgerichtshof am 23.06.2015 verhandeln.

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