„Vollstreckungsdruck“ i.S.d. § 717 Abs. 2 ZPO schon durch vollstreckbare Ausfertigung?

Wird unter dem Eindruck der drohenden Vollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil gezahlt, kann dieser Betrag – sofern das Urteil abgeändert oder aufgehoben wird – gem. § 717 Abs. 2 ZPO zurückgefordert werden. Mit der Frage, wann eine solche Zahlung „zur Abwendung der Vollstreckung“ vorliegt, hat sich das Kammergericht mit Urteil vom 25.01.2018 – 8 U 58/16 näher befasst.

Sachverhalt

Die Klägerin nahm den Beklagten auf Herausgabe und Räumung von Gewerberäumen sowie auf Zahlung von rund 2.200 EUR in Anspruch und war damit in erster Instanz erfolgreich. Ihr wurde wenige Tage nach Zustellung des Urteils an den Beklagten eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt. Die Anfrage des Beklagten, ob zugesichert werden könne, bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens, ggf. bis auf Widerruf, von einer Vollstreckung abzusehen, wurde von der Klägerin abschlägig beschieden. Auch die weitere Anfrage des Beklagten, ob die Zahlung der Urteilssumme auch auf ein Treuhandkonto der Hausverwaltung erfolgen könne, wurde von der Klägerin verneint. Der Beklagte zahlte deshalb den Betrag unter Rückforderungsvorbehalt an die Klägerin. Außerdem wendete er sich gegen das Urteil mit der Berufung und erhob eine Hilfswiderklage, mit der er für den Fall einer Abweisung der Klage als unbegründet gem. § 717 Abs. 2 ZPO den gezahlten Betrag von der Klägerin zurückverlangte. Zur Hilfswiderklage vertrat die Klägerin die Ansicht, dass diese jedenfalls unwirksam sei, weil der Beklagte freiwillig und nicht zur Abwendung der Vollstreckung aus dem Urteil gezahlt habe. Es habe am notwendigen „Vollstreckungsdruck“ gefehlt.

Wegen der Regelung in § 717 Abs. 2 ZPO ist die Vollstreckung aus einem nicht rechtskräftigen, sondern nur vorläufig für vollstreckbar erklärten Urteil äußerst gefährlich – wird das Urteil nämlich abgeändert, muss der Kläger nämlich den Schaden ersetzen, der dem Beklagten durch die „vorschnelle“ Vollstreckung entstanden ist. Das ist insbesondere der verlangte Betrag – dazu gehören aber beispielsweise auch Zins- und Finanzierungskosten, die aufgewandt wurden, um den Betrag zu zahlen. Hier stellte sich allerdings die Frage, ob § 717 Abs. 2 ZPO überhaupt einschlägig war. Denn die Klägerin hatte sich zwar eine vollstreckbare Ausfertigung erteilen lassen, sonst aber keine Schritte unternommen, um aus dem Urteil zu vollstrecken. Deshalb hatte die Klägerin die Ansicht vertreten, mangels konkret bevorstehender Vollstreckung habe die Klägerin auch nicht „zur Abwendung der Vollstreckung“ gezahlt.

Entscheidung

Das KG hat das Urteil des Landgerichts aufgehoben und den Beklagten auf die Hilfswiderklage zur Zahlung verurteilt:

„Nach § 717 Abs. 2 S. 2 ZPO kann der Anspruch auf Schadensersatz wegen Abänderung oder Aufhebung eines vorläufig vollstreckbaren Urteils in dem anhängigen Rechtsstreit geltend gemacht werden.

Die Klägerin ist nach § 717 Abs. 2 ZPO zur Rückzahlung der zur Abwendung der Vollstreckung aus dem Landgerichtsurteil (…) erbrachten Zahlung (…) verpflichtet. Der Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO umfasst insbesondere den Anspruch auf Erstattung der erbrachten Leistung (…).

Der Beklagte hat die Leistung entgegen der Ansicht der Klägerin „zur Abwendung der Vollstreckung“ erbracht.

Allerdings genügt es nach der Rechtsprechung des BGH nicht, dass ein vorläufig vollstreckbarer Titel vorliegt, sondern es muss für den Schuldner ein gewisser „Vollstreckungsdruck“ bestehen. In Bezug auf Unterlassungsansprüche hat der BGH entschieden, dass ein solcher Vollstreckungsdruck vom Gläubiger ausgehen müsse und fehlt, wenn einzelne Vollstreckungsvoraussetzungen noch nicht vorliegen (…).

Aus dieser Rechtsprechung, die auf den Besonderheiten von Unterlassungstiteln beruht (…), folgt nicht etwa, dass ein Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO bei jeder Art von Titel, insbesondere einem Zahlungstitel, ein besonderes unmittelbar auf Vollstreckung gerichtetes Verhalten des Gläubigers oder gar eine verbale Ankündigung der Vollstreckung - die ohnehin im Belieben des Gläubigers stünde und daher nicht Voraussetzung für die Anwendung von § 717 ZPO sein kann - voraussetzt. Vollstreckungsdruck geht von reinen Unterlassungstiteln nicht aus, da sie sich nicht durch unmittelbaren Zwang durchsetzen lassen (…). Insoweit muss der Gläubiger erst noch durch weitere Handlungen wie Parteizustellung oder Sicherheitsleistung seinen Willen dokumentieren, von dem Titel „Gebrauch zu machen“.

Für einen Zahlungstitel gilt bereits wegen § 720a ZPO etwas Anderes (…). Nach § 720a ZPO darf der Gläubiger eines Zahlungstitels eine Sicherungsvollstreckung ohne vorherige Sicherheitsleistung (§ 751 Abs. 2 ZPO) betreiben. Nach § 750 Abs. 3 ZPO darf die Sicherungsvollstreckung zwei Wochen nach Amtszustellung des Titels beginnen. Der dort genannten Zustellung auch der Vollstreckungsklausel bedarf es lediglich in den Fällen einer titelergänzenden oder titelumschreibenden Klausel nach § 750 Abs. 2 ZPO. Mit der Vollstreckung aus einem Titel, der – wie hier – nur mit einer einfachen Klausel zu versehen ist und von dessen Existenz er spätestens durch die Zustellung erfährt, muss der Schuldner hingegen ohne weiteres rechnen. Einer zusätzlichen „Signalwirkung“ für den Schuldner dahin, dass der Gläubiger die Möglichkeit der Sicherungsvollstreckung tatsächlich nutzen will, oder einer besonderen Ankündigung der Vollstreckung bedarf es für § 720a ZPO hingegen nicht (…).

Der Zahlungstitel führt daher auch ohne Sicherheitsleistung zu einem Vollstreckungsdruck (…).

Der Vollstreckungsdruck, der besteht, wenn der Schuldner jederzeit mit einer Vollstreckung rechnen muss (…) kann zwar entfallen, wenn sich der Gläubiger verbindlich verpflichtet, von einer Vollstreckung vorerst abzusehen (…). Da ist hier jedoch nicht der Fall. Die Klägerin hat auf Nachfrage des Beklagten, ob sie von einer Vollstreckung während des Berufungsverfahrens (ggf. bis auf Widerruf) absehen könne, vielmehr eine solche Zusage ausdrücklich abgelehnt.“

Anmerkung

Das geht sehr weit und hat erhebliche praktische Auswirkungen, wenn man bedenkt, dass viele Gerichte eine vollstreckbare Ausfertigung erteilen, sobald die Zustellung an die beklagte Partei erfolgt ist - auch wenn ein ausdrücklicher Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nicht gestellt wurde. Denn dadurch müsste jetzt eigentlich die klagende Partei die Initiative ergreifen und der beklagten Partei bzw. ihrem/ihrer Bevollmächtigten möglichst zeitnah mitteilen, dass eine Vollstreckung vor Rechtskraft nicht beabsichtigt ist. Nur so lässt sich vermeiden, dass die klagende Partei „freiwillig“ eine Zahlung erbringt und die klagende Partei die ggf. daraus resultierenden Schäden später ersetzen muss. Die Entscheidung ist im Übrigen aus zwei Gründen übrigens auch materiell-rechtlich praktisch sehr relevant:
  1. Denn das KG hat die Klage im Ergebnis mangels Passivlegitimation abgewiesen, weil das Landgericht die Grundsätze über das unternehmensbezogene Geschäft nicht ausreichend beachtet habe.
  2. Und das KG befasst sich näher mit dem Begriff der Entgeltforderung in § 288 BGB. Denn der Beklagte hatte einen Zinssatz von 9 % gefordert. Das KG hat ihm hingegen nur 5 % zugesprochen und darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO nicht um eine Entgeltforderung handelte. Einen höheren Zinssatz hätte der Beklagte nur verlangen können, wenn er einen Zinsschaden konkret dargelegt hätte.
tl;dr: Ist auf ein vorläufig vollstreckbares Zahlungsurteil geleistet worden, setzt der Rückforderungsanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO keinen vom Gläubiger ausgehenden besonderen „Vollstreckungsdruck“ voraus. Dieser folgt – nach Amtszustellung des Urteils – bereits aus der Möglichkeit einer Sicherungsvollstreckung nach § 720a ZPO, die keiner Ankündigung des Gläubigers bedarf. (Leitsatz des Gerichts) Anmerkung/Besprechung, KG, Urteil vom 25.01.2018 – 8 U 58/16. Wenn Sie diesen Beitrag verlinken möchten, können Sie dafür auch folgenden Kurzlink verwenden: www.zpoblog.de/?p=6044 Foto: Ansgar Koreng / CC BY-SA 3.0 (DE), 141019 Kammergericht Berlin, CC BY-SA 3.0 DE