Was muss man als Zivilrichter eigentlich tun, um erfolgreich wegen Befangenheit abgelehnt zu werden?

Das weiß das OLG Naumburg und erklärt es mit Beschluss vom 04.04.2014 – 10 W 12/14. Man könnte zum Beispiel als Vorsitzender in der Terminsladung den Beklagten bitten, „lediglich insoweit vorzutragen, wie dies ihrer Rechtsverteidigung dienlich sein soll!" Und erklären, das Gericht habe "weder Zeit noch Lust, sich mit Sachvortrag zu befassen, der unerheblich ist". Und dann noch schreiben: „Im Übrigen könnte es der Rechtsfindung dienen - und der Arbeitsersparnis -, wenn Sachvortrag unterbleibt, der rechtlich völlig unerheblich ist (§ 128 HGB)."

Bild des OLG NaumburgAblehnungsanträge in Zivilsachen sind (zu Recht) selten, noch seltener sind Ablehungsanträge, die für begründet erklärt werden. Hier hatte der Beklagte den Vorsitzenden aufgrund dieses Hinweises abgelehnt, da bei ihm der Eindruck entstanden sei, der Prozess sei von vornherein verloren. Der abgelehnte Richter habe mit den o. g. Hinweisen kundgetan, dass er jeglichen künftigen Sachvortrag der Beklagten nicht zur Kenntnis nehmen werde, wenn er ihn für unerheblich erachte.

Das Landgericht (Stendal) selbst hatte den Ablehnungsantrag noch für unbegründet erklärt und argumentiert:

„Der abgelehnte Richter habe bei verständiger Würdigung, nicht erklärt, dass er jeglichen künftigen Sachvortrag der Beklagten nicht zur Kenntnis nehmen werde. Er habe nur darauf hingewiesen, dass das bisherige Vorbringen nach seiner Beurteilung Unerhebliches enthalte. Er habe die Beklagten aufgefordert, Erhebliches vorzutragen. Hierzu sei er gemäß § 139 ZPO verpflichtet. Bereits die Umfänglichkeit der Verfügung zeige, dass der abgelehnte Richter sich durchaus mit - auch seiner Meinung nach - unerheblichem Sachvortrag auseinandersetze. Zudem setze die Beurteilung, ob Sachvortrag erheblich oder unerheblich sei, bereits denklogisch voraus, dass der Vortrag zunächst gelesen werden müsse. Auch die übrigen Hinweise seien von § 139 ZPO gedeckt."

Dem OLG Naumburg war das dann aber doch etwas zu viel des "Hinweises". Es erklärt das Ablehnungsgesuch daher für begründet.

„Mit dem Anraten an die Beklagten, „lediglich insoweit vorzutragen, wie dies ihrer Rechtsverteidigung dienlich sein soll!" und den konkreten Hinweisen, dass das Gericht "weder Zeit noch Lust (habe), sich mit Sachvortrag zu befassen, der unerheblich ist" und dass "es der Rechtsfindung dienen (könnte) - und der Arbeitsersparnis -, wenn Sachvortrag unterbleibt, der rechtlich völlig unerheblich ist (§ 128 HGB)" hat der abgelehnte Richter das richterliche Vertrauensverhältnis auch nach dem Urteil einer verständigen Partei in nicht mehr hinzunehmender Weise verletzt. Der Wortlaut und die Interpunktion der Hinweise lassen deutlich Unmut des abgelehnten Richters über Teile des bisherigen Sachvortrages der Beklagten erkennen. Der Inhalt der Hinweise ist dabei geeignet, Druck auf die Beklagtenseite auszuüben, doch abzuwägen, welcher künftiger Vortrag den Vorsitzenden weiter verärgern könnte. Dies müssen die Beklagten nicht hinnehmen. Sie könnten Vorbringen für rechtlich erheblich halten, ohne dass der Richter ihre Rechtsansicht hierzu teilt.

Das Sachlichkeitsgebot ist zudem verletzt, wenn der abgelehnte Richter den Beklagten unter Bezugnahme auf § 128 HGB mitteilt, dass „der Rechtsfindung dienen" könnte, wenn Sachvortrag unterbleibe, der „rechtlich völlig unerheblich" sei. Damit bringt der Vorsitzende Richter am Landgericht ... nämlich nicht allein zum Ausdruck, dass er die Rechtsansicht der Beklagten, die Klage gegen die Beklagte zu 2) sei unbegründet, weil kein Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und ihr bestehe, in Bezug auf § 128 HGB nicht teilt. Vielmehr werden auch insoweit durch diese Verbindung zwischen angekündigter Rechtsfindung und Erheblichkeit des weiteren Vortrages der Beklagten die Sachlichkeit und die Äquidistanz zu den Parteien verletzt. Bei den Beklagten konnte auch bei verständiger Würdigung der Eindruck entstehen, der abgelehnte Richter stehe dem künftigen Vorbringen der Beklagten nicht mehr ebenso offen und unvoreingenommen gegenüber wie dem der Klägerin. Das Anraten des abgelehnten Richters richtete sich auch nach dem Wortlaut allein an die Beklagten.

Hiernach ist die Sorge der Befangenheit berechtigt und die sofortige Beschwerde musste nach alledem in der Sache Erfolg haben."

Interessant – und wichtig – finde ich den Unterschied zwischen der Begründung des Antrags und der Begründung der stattgebenden Entscheidung. Denn gegen den Hinweis ist in der Sache m. E. nichts einzuwenden. Es erscheint sogar sinnvoll, dass das Gericht seine Rechtsauffassung mitteilt und erklärt, dass es aufgrund dieser Auffassung Vortrag für unerheblich hält. Wenn der Beklagte daher befürchtet, das Gericht werde seinen unerheblichen Vortrag nicht zur Kenntnis nehmen, ist das keine tragfähige Begründung für einen Ablehnungsantrag, sondern schlicht eine Banalität.

Aus der Begründung der Entscheidung wird daher auch deutlich, dass dem OLG lediglich der Ton missfällt, das aber ganz erheblich. Und Ausrufungszeichen in rechtlichen Hinweisen machen sich in der Tat nicht besonders gut, ebenso wenig Hinweise auf akute Unlust und Arbeitsersparnis. Zugunsten des Kollegen hoffe ich mal, dass die Sache eine Vorgeschichte hat.

Ach ja, und wieder ein schönes neues Wort gelernt: „Äquidistanz zu den Parteien". Klingt schlau, muss ich mir merken.

Anmerkung/Besprechung, OLG Naumburg, Beschluss v. 04.04.2014 – 10 W 12/14. Foto: Olaf Meister (Olaf2), OLG Naumburg, CC BY-SA 4.0