Wenn der Torpedo nicht trifft...

Start eines TorpedosWie Bloomberg (Karin Matussek) bereits in der letzten Woche berichtete, muss sich das Oberlandesgericht Stuttgart im Moment mit einer ziemlich interessanten zivilprozessualen und zustellungsrechtlichen Konstellation befassen.

Dabei geht es um die Auseinandersetzungen zwischen Porsche und mehreren Hedgefonds im Zusammenhang mit der - letztlich gescheiterten - Übernahme der VW AG durch Porsche. Porsche sieht sich einer Vielzahl von (Anleger-)Klagen ausgesetzt, da „die Märkte“ im Zuge der Übernahme nicht zutreffend informiert worden sein sollen.

Eine dieser Klägerinnen ist ein Hedgefonds mit Sitz auf den Cayman Islands, die Pendragon (Master) Fund Ltd. Pendragons Klage gegen die Porsche SE ging beim London Commercial Court am 18.06.2012 ein. Porsche hatte dies wohl vorhergesehen und daher seinerseits schon am 07.06.2012 eine negative Feststellungsklage gegen Pendragon vor dem Landgericht Stuttgart erhoben.

Gem. Art. 27 Abs. 1 EuGVVO muss das britische Gericht sein Verfahren nun zugunsten des Verfahrens vor dem Landgericht Stuttgart aussetzen. Steht die Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart fest, erklärt sich das britische Gericht gem. Art. 27 Abs. 2 EuGVVO für unzuständig. Porsche hätte es dann durch die (minimal) frühere Klage geschafft, das Verfahren vor deutsche Gerichte zu „ziehen".

Das Vorgehen von Porsche ähnelt der sog. „Torpedoklage“: Man erhebt eine negative Feststellungsklage in einem Land mit einer bekanntermaßen langsamen Gerichtsbarkeit (häufig: Italien). Das „Hauptverfahren" ist dann so lange blockiert, bis die „langsame Gerichtsbarkeit" sich für unzuständig erklärt hat. „Italian torpedoes" sind  insbesondere im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes verbreitet; ein plastisches Beispiel kann man aber z.B. auch hier sehen.

Porsche ging es hier aber nicht darum, das Verfahren zu verzögern, sondern darum, das Verfahren nach Deutschland „zu holen". Das Landgericht Stuttgart sollte sich nämlich für zuständig erklären, weil dann das Englische Gericht gem. Art. 27 Abs. 2 EUGVVO sich für unzuständig erklären würde.

Die Klage der Porsche SE kam von den Cayman Islands aber als unzustellbar zurück, da die Adresse der Beklagten unvollständig angegeben gewesen sei. Unter anderem fehlte wohl die Postleitzahl. Pendragon macht nun geltend, das Landgericht Stuttgart sei gar nicht früher „angerufen" worden. Denn ein Gericht gilt gem. Art. 30 Ziff. 1 EuGVVO nur dann als „angerufen", wenn

das verfahrenseinleitende Schriftstück [...] bei Gericht eingereicht worden ist, vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Beklagten zu bewirken".

Porsche beruft sich darauf, die im Handelsregister angegebene Adresse verwendet zu haben. (Diese Adresse soll sich im Gebäude einer Anwaltskanzlei befinden, in dem 19.000 der 100.000 Gesellschaften auf den Cayman Islands „ansässig" sind...)

Den Aussetzungsantrag von Pendragon hat das Landgericht Stuttgart zurückgewiesen, dagegen wendete sich Pendragon mit der sofortigen Beschwerde (§ 252 ZPO analog). Das OLG wird sich nun ggf. zu klären haben, ob die Nichtzustellung tatsächlich Porsche anzulasten ist, Porsche also die ihr „obliegenden Maßnahmen" versäumt hat. U.U. wird es darauf aber auch gar nicht ankommen, da die Klage auch den britischen Bevollmächtigten von Pendragon zugestellt wurde. Dann stellt sich aber die Frage, inwieweit Pendragon diese Zustellung gegen sich gelten lassen muss.

Laut Bloomberg will das OLG Stuttgart Anfang 2015 entscheiden.

Update vom 10.02.2015: Wie Bloomberg (Karin Matussek) heute berichtet, hat sich das OLG Stuttgart der Auffassung des Landgerichts angeschlossen und die Zustellung für wirksam gehalten. Anhand der angegeben Straße sei es der Post auf den Cayman Islands ohne weiteres möglich gewesen, die Beklagte zu identifizieren. Außerdem sei die Klage auch den Anwälten von Pendragon in London zugestellt worden. Die Entscheidung stammt vom 30.01.2015 - 5 W 48/13.

Update vom 07.12.2016: Der Bundesgerichtshof hat am 13.09.2016 entschieden und die Sache zunächst an das OLG Stuttgart zurückverwiesen.

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