Entscheidung
Das Vorgehen des LG Arnsberg darf und sollte einem hier seltsam vorkommen. Auch der BGH war merklich ungehalten und verwarf die Revision als unzulässig:
„Die Revision ist unzulässig, weil die Zulassungsentscheidung unstatthaft und verfahrensrechtlich nicht bindend ist.
Das Revisionsgericht ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich an die Zulassung auch dann gebunden, wenn die seitens des Berufungsgerichts für maßgeblich erachteten Zulassungsgründe aus Sicht des Revisionsgerichts nicht vorliegen.
Durfte die Zulassung dagegen verfahrensrechtlich überhaupt nicht ausgesprochen werden, ist sie unwirksam. Das gilt auch für eine prozessual nicht vorgesehene nachträgliche Zulassungsentscheidung, die die Bindung des Gerichts an seine eigene Endentscheidung gemäß § 318 ZPO außer Kraft setzen würde […].
So kann die versehentlich unterlassene Zulassung nicht durch ein Ergänzungsurteil gemäß § 321 ZPO nachgeholt werden. Befasst sich das Berufungsurteil nämlich nicht ausdrücklich mit der Zulassung, spricht es damit aus, dass die Revision nicht zugelassen wird, und zwar auch dann, wenn das Berufungsgericht die Möglichkeit der Zulassung gar nicht bedacht hat.
Auch die Zulassung in einem Berichtigungsbeschluss gemäß § 319 ZPO bindet das Revisionsgericht nicht, wenn sich aus dem Urteil selbst keine - auch für Dritte erkennbare - offenbare Unrichtigkeit ergibt […].
Nichts anderes gilt, wenn das Berufungsgericht - wie hier - seine bewusste Entscheidung, die Revision nicht zuzulassen, verfahrensfehlerhaft aufgrund einer Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO ändert […].
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist schon deshalb verfahrensfehlerhaft, weil es nicht durch Beschluss entscheiden durfte, sondern gemäß § 321a Abs. 5 Satz 2 ZPO erneut in die mündliche Verhandlung eintreten und gemäß § 321a Abs. 5 Satz 3 ZPO i.V.m. § 343 ZPO durch Urteil entscheiden musste. Ob dies für sich genommen einer wirksamen Zulassung entgegensteht, kann offen bleiben. Denn auch in der Sache lagen die Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 321a ZPO nicht vor.
a) Die Anhörungsrüge räumt dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit ein, sondern dient allein der Behebung von Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör. Daran fehlt es hier.
Die unterbliebene Zulassung der Revision als solche kann den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzen, es sei denn, auf die Zulassungsentscheidung bezogener Vortrag der Parteien ist verfahrensfehlerhaft übergangen worden […]. Art. 103 Abs. 1 GG soll sichern, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die auf mangelnder Kenntnisnahme oder Erwägung des Sachvortrags der Prozessbeteiligten beruhen. Sein Schutzbereich ist auf das von dem Gericht einzuhaltende Verfahren, nicht aber auf die Kontrolle der Entscheidung in der Sache gerichtet […].
Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegt offensichtlich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, die für die Ablehnung der Zulassung im Urteil vom 20. November 2013 erheblich war. Gemäß dem Protokoll hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 20. November 2013 beantragt, die Revision gegen ein Urteil der Kammer zuzulassen. Am Schluss der Sitzung hat das Landgericht sein Urteil verkündet und die Revision nicht zugelassen. Die Begründung des Urteils zeigt, dass das Landgericht bewusst die Nichtzulassungsentscheidung getroffen hat, weil es in anderer Sache mit identischer Rechtsfrage die Revision zugelassen hat.
Unter diesen Umständen ist offensichtlich, dass nicht ein Klägervortrag übergangen wurde, welcher für die Zulassungsentscheidung erheblich wurde. Die Annahme einer Gehörsverletzung im Beschluss des Landgerichts dient offensichtlich nur dazu, eine fehlerhafte Zulassungsentscheidung zu korrigieren, ohne dass die Voraussetzungen für eine Gehörsverletzung im Sinne des § 321a ZPO gegeben waren […].“
Der BGH wendet sich dann noch den zur Rechtsbeschwerde entwickelten Grundsätze einer entsprechenden Anwendung von § 321a ZPO zu. Bei der Rechtsbeschwerde sei anerkannt, dass diese auf eine Gegenvorstellung hin ggf. analog § 321a ZPO zuzulassen sei, wenn die Zulassung willkürlich unterblieben sei. Für das Revisionsverfahren stünde aber grundsätzlich die Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 ZPO zur Verfügung, so dass die Interessenlage nicht vergleichbar sei.
Anmerkung
Wer mitgezählt hat: dreimal „offensichtlich“. Liest sich nicht wirklich nett, wenn der BGH einem das ins Stammbuch schreibt. Ist aber wohl auch schwierig, das netter auszudrücken.
tl; dr: Die Anhörungsrüge dient nur dazu, Gehörsverstöße zu heilen. Sie räumt dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit ein. Lässt das Gericht daher nachträglich die Revision zu, obwohl gar kein Gehörsverstoß vorliegt, bindet diese Zulassung das Revisionsgericht nicht.
Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil v. 16.09.2014 – Vi ZR 55/14.
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