Zeugnisverweigerungsrecht des Anwalts nach Tod des Mandanten?
Entscheidung
Der Senat hat festgestellt, dass dem Zeugen kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht:„Gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO steht dem Rechtsanwalt ein Zeugnisverweigerungsrecht in Bezug auf alle Tatsachen zu, die ihm im Rahmen eines Mandatsverhältnisses anvertraut wurden. Anvertraut sind nicht nur Tatsachen, bei denen der Wunsch nach Vertraulichkeit ausdrücklich ausgesprochen wird; es genügt auch das stillschweigende Verlangen nach Geheimhaltung (…). Das Zeugnisverweigerungsrecht betrifft nicht nur schriftliche oder mündliche Mitteilungen, sondern es erstreckt sich auch auf alle sonstigen Umstände, die der Rechtsanwalt aufgrund und im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit erfährt (…). Dem Zeugnisverweigerungsrecht im Prozess entspricht eine Pflicht zur Verschwiegenheit dem Mandanten gegenüber, deren Verletzung gemäß § 203 Abs. 1 Nr 3 StGB mit Strafe bedroht ist."
Die Recht, den Zeugen von seiner Schweigepflicht zu entbinden (§ 385 Abs. 2 ZPO), sei auch nicht auf die Erben übergegangen:„Dabei wirkt die Schweigepflicht grundsätzlich über den Tod des Mandanten hinaus (…). Das Verfügungsrecht geht nicht auf die Erben über (…), da die Pflicht zur Verschwiegenheit dem Schutz der Geheimsphäre des Einzelnen dient. Deshalb kann grundsätzlich nur derjenige von der Schweigepflicht entbinden, zu dessen Gunsten sie besteht (…).
Soweit die Auffassung vertreten wird, da Vermögensrechte vererblich seien, gelte dies auch für das Recht, von der Geheimhaltung vermögenswerter Interessen zu entbinden (…), ist allerdings zu differenzieren: Der Erblasserwille hat grundsätzlich vermögensmäßige Auswirkungen. Allerdings können die Motive des Erblassers, die zu seiner letztwilligen Verfügung führen, höchstpersönlicher Natur sein. Eine klare Trennung von Umständen, die der persönlichen (Intims-) Sphäre zuzurechnen sind, von solchen, die ausschließlich Vermögensinteressen betreffen, wird vielfach kaum möglich sein. Im Übrigen verkörpert der Erblasserwille als solcher – anders zum Beispiel als ein Betriebsgeheimnis – keinen Vermögenswert. Schon aus diesen Gründen kann die Disposition über das Geheimnis nicht auf die Erben übergehen (…)“
Der Zeuge habe jedoch nicht ausreichend dargelegt, warum nicht von einer mutmaßlichen Entbindung von der Schweigepflicht auszugehen sei:„b) Der Rechtsanwalt, dem im Rahmen eines Mandatsverhältnis ein Geheimnis anvertraut wurde, muss nach dem Tod seines Mandanten nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheiden, ob er im Zivilprozess gem. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht oder ob er aussagt und auf diese Weise Vertrauliches offenbart. Er befindet sich dabei im Spannungsfeld zwischen dem (mutmaßlichen) Willen des ehemaligen Mandanten und der Gefahr der eigenen Strafverfolgung (§ 203 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB).
Soweit es an einer Willenserklärung des Erblassers fehlt, ist der mutmaßliche Wille des Erblassers zu erforschen (…). Dabei verbleibt dem Geheimnisträger ein Entscheidungsspielraum, der durch die Gerichte nur eingeschränkt nachprüfbar ist. Allerdings darf der Geheimnisträger seine Entscheidung nicht nur mit allgemeinen Erwägungen begründen. Vielmehr kann das Gericht die Grenzen des Ermessens nur prüfen, wenn der Zeuge darlegt, auf welche Belange er die Zeugnisverweigerung stützt (…).
c) Der Zeuge hat im hier zu entscheidenden Fall nicht ausreichend konkret dargetan, auf welchen maßgeblichen Erwägungen seine Entscheidung beruht, das Zeugnis zu verweigern. Im vorliegenden Fall ist für den Senat nicht nachvollziehbar, inwieweit der Zeuge eine konkrete, einzelfallbezogene Ermessensentscheidung getroffen hat. Die bloße Berufung darauf, dass keine objektivierbaren Erkenntnisse gegeben seien, die eine Entbindung von der anwaltlichen Schweigepflicht rechtfertigen würden, ist zu pauschal und letztlich nur floskelhaft. Die Begründung der Entscheidung des Zeugen lässt nach Auffassung des Senats nicht erkennen, dass bzw. inwieweit der Zeuge erwogen hat, ob es dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspricht, in der konkreten Situation des Rechtsstreits vom Schweigerecht Gebrauch zu machen oder aber zur Frage des mutmaßlichen Erblasserwillens auszusagen.
Dass der Zeuge zusätzlich noch dargetan hat, der Mandant habe nicht gewollt, dass Schriftstücke zu ihm nach Hause gesandt werden, ändert daran nichts, denn dies lässt noch keinen Rückschluss auf den mutmaßlichen Willen des Erblassers in Bezug auf eine Aussage des Zeugen bzw. die weitere Geheimhaltung zu. (…)
Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall auch, dass der Zeuge (…) nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ein (wenn nicht das) entscheidende Beweismittel für die Erforschung des mutmaßlichen Erblasserwillens ist. In einer solchen Konstellation ist der Zeuge gehalten, besonders sorgfältig abzuwägen, ob nicht die Offenbarung seiner Kenntnisse über die Motive und den Willen des Erblassers gerade in dessen Interesse sein kann.
Der Senat verkennt nicht, dass die anwaltliche Schweigepflicht ein hohes Gut ist. Das erkennende Gericht in einem Zivilrechtsstreit darf sich deshalb nicht leichtfertig über die Entscheidung des Zeugen, sich auf seine Verschwiegenheitspflicht zu berufen, hinwegsetzen. Andererseits muss es die Möglichkeit haben, zu erkennen, dass die Entscheidung überhaupt aufgrund einer individuellen Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls erfolgte. Genau dies vermag der Senat im vorliegenden Fall aber nicht. Deshalb war zu entscheiden, dass dem Zeugen kein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.“