Zustellung von Anwalt zu Anwalt – Auch AnwGH NRW sieht keine Mitwirkungspflicht

Das Anwaltsgericht Düsseldorf hat im Frühjahr mit seinem Urteil vom 17.03.2014 – 3 EV 546/12 für einigen Wirbel gesorgt und die Zustellung von Anwalt zu Anwalt erheblich erschwert. Denn das Gericht entschied, dass ein Anwalt berufsrechtlich nicht zur Mitwirkung an einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt verpflichtet ist. Die dagegen gerichtete Berufung hat der Anwaltsgerichtshof für Nordrhein-Westfalen nun mit Urteil vom 07.11.2014 – 2 AGH 9/14 zurückgewiesen.

Das Anwaltsgericht hatte seine Entscheidung insbesondere damit begründet, dass die Satzungsermächtigung in § 59b Abs. 2 Ziff. 6 lit. b) BRAO nur Berufspflichten gegenüber Gerichten und Behörden regele. § 14 BORA, der auf dieser Ermächtigung fuße, könne über diese Satzungsermächtigung nicht hinausgehen und daher keine Pflicht zur Mitwirkung bei der Zustellung von Anwalt zu Anwalt begründen.

Dieser Argumentation schließt sich nun auch der Anwaltsgerichtshof an:

„Die BORA kann […] nur solche Pflichten normieren, zu deren Konkretisierung die Satzungsversammlung über § 59b BRAO (Vorbehalt des Gesetzes) ermächtigt worden ist […].

(1) Gemäß § 14 Satz 1 BORA hat der Rechtsanwalt ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen. Die Regelung des § 14 BORA soll nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft auf Zustellungen von Anwalt zu Anwalt anwendbar sein.

(b) Eine Ermächtigungsgrundlage, nach der die Berufsordnung Berufspflichten im Zusammenhang mit einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt regeln kann, besteht entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht.

(aa) Eine Ermächtigungsgrundlage ist nicht in § 59b Abs. 2 Nr. 5 a) BRAO zu sehen. Zwar dar die Berufsordnung nach § 59b Abs. 2 Nr. 5 a) BRAO „die besonderen Berufspflichten im Zusammenhang mit der Annahme, Wahrnehmung und Beendigung eines Auftrags“ regeln, dies betrifft aber nicht die Zustellung von Anwalt zu Anwalt denn der Anwendungsbereich des § 59b Abs. 2 Nr. 5 a) BRAO ist auf das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber beschränkt […].

(bb) Entgegen einer weitverbreiteten Auffassung stellt auch die Bestimmung des § 59b Abs. 2 Nr. 6 b) BRAO keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage dar, denn sie regelt „die besonderen Berufspflichten gegenüber Gerichten und Behörden […] bei Zustellungen“. Schon nach dem Wortlaut geht es ausschließlich um Pflichten gegenüber Gerichten und Behörden bei Zustellungen, nicht aber um Pflichten, die bei Zustellungen von Anwalt zu Anwalt bestehen.

Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass die Zustellung hier im Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren erfolgt ist. Selbst wenn die Zustellung von Anwalt zu Anwalt durchgeführt wird, um einem gerichtlichen Verfahren Fortgang zu geben oder Vollstreckungsvoraussetzungen zu schaffen, handelt es sich nicht um eine Pflicht gegenüber einem Gericht oder eine Behörde. […].

Das Anwaltsgericht Düsseldorf hat zu recht die Auffassung vertreten, dass die Satzungskompetenz gem. § 59b Abs. 2 Nr. 6 b) BRAO die „besonderen Berufspflichten gegenüber Gerichten und Behörden“ umfasse. Da Rechtsanwälte weder Gericht noch Behörden seien, könne keine Berufspflicht zur Erteilung eines Empfangsbekenntnisses bei der Zustellung von Anwalt zu Anwalt bestehen.

Auch eine historische Betrachtung führt nicht zu einer anderen Wertung. Die Regelung des § 14 BORA stellt eine vereinfachende Zusammenfassung der früheren §§ 12, 27 RichtlRA dar. Im Hinblick darauf, dass diese RichtlRA durch das Bundesverfassungsgericht […] mangels Regelungskompetenz beanstandet worden sind, kann die Neuregelung nur dann wirksam sein, wenn eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage vorliegt. Daran fehlt es hier allerdings.“

Der Anwaltsgerichtshof zitiert dann noch die Gesetzesbegründung zu § 59b BRAO und stellt dazu fest:

„Die Formulierung gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine Ermächtigungsgrundlage für eine Regelung der Zustellung von Anwalt zu Anwalt schaffen wollte. Wenn der Gesetzgeber der Auffassung ist, dass ein Rechtsanwalt an der einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt mitzuwirken verpflichtet sein soll, dann obliegt es ihm, eine gesetzliche und eindeutige Ermächtigungsgrundlage dafür zu schaffen. Es kann nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, den sehr differenziert gestalteten Katalog des § 59b Abs. 2 BRAO durch Auslegung zu erweitern. Dafür spricht auch, dass es im Einleitungssatz von § 59b Abs. 2 BRAO nicht „insbesondere“ oder „zum Beispiel“ heißt […]. Das Fehlen einer solchen Einleitung intendiert, dass der Gesetzgeber eine abschließende Regelung treffen wollte, um Rechtssicherheit zu schaffen. Die damit erreichte Rechtssicherheit darf nicht durch die Rechtsprechung der Berufsgerichte in Frage gestellt werden.“

Die Argumentation überzeugt mich im Ergebnis nicht. Sicherlich lässt sich dem Wortlaut des § 59b Abs. 2 Nr. 6 b) BRAO eine Mitwirkungspflicht bei der Zustellung von Anwalt zu Anwalt nicht entnehmen.

Die Argumentation des Anwaltsgerichtshofs geht über den Wortlaut aber leider kaum hinaus. Dass § 59b BRAO keine Regelbeispiele sondern eine abschließende Aufzählung enthält, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass alles andere wohl nicht die Zustimmung des BVerfG fände. Darauf hinzuweisen, der Gesetzgeber müsse eben eindeutige Regelungen schaffen, erscheint mir – jedenfalls außerhalb des Strafrechts – ein wenig wohlfeil. Damit könnte man sich als Gericht so gut wie jeder Auslegungsdiskussion entziehen, was dann wohl den nicht ganz von der Hand zu weisenden Vorwurf richterlicher Arbeitsverweigerung nach sich zöge.

Auch aus der zitierten Gesetzesbegründung zu § 59b BRAO lässt sich m.E. kein Argument für die Ansicht des AnwGH entnehmen. Die Gesetzgebungsmaterialien sprechen im Gegenteil eher dafür, dass der Gesetzgeber die Zustellung von Anwalt zu Anwalt bei der engen Formulierung des § 59b Abs. 2 Nr. 6 b) BRAO schlicht nicht bedacht hat.

Denn den Materialien ist keine Begründung dafür zu entnehmen, warum die Vorschrift nur für „hoheitliche“ Zustellungen gelten sollte. Angesichts der in § 195 Abs. 1 ZPO normierten Gleichwertigkeit der Zustellungsarten wäre eine solche Differenzierung aber durchaus begründungsbedürftig. Es spricht daher einiges dafür, dass der Gesetzgeber auch die Zustellung von Anwalt zu Anwalt in den Wortlaut der Vorschrift aufgenommen hätte.

Außerdem hat die Regelung in § 195 Abs. 2 ZPO ohne eine Mitwirkungspflicht wenig praktischen Nutzen. Denn in Konsequenz der seitens des AnwGH vertretenen Ansicht kann nunmehr bei drohendem Fristablauf von Anwalt zu Anwalt sicherheitshalber nur noch durch den Gerichtsvollzieher zugestellt werden soll. Die Regelung in § 195 ZPO soll aber gerade dem Zweck dienen, die Zustellung zu beschleunigen und vereinfachen. Dem wird eine Auslegung, die wieder auf eine Zustellung durch den Gerichtsvollzieher setzt, kaum gerecht.

Der AnwGH hat die Revision zum Bundesgerichtshof übrigens zugelassen.

tl;dr: Die Mitwirkungspflicht in § 14 BORA gilt nur für Zustellungen von Behörden und Gerichten, nicht aber für die Zustellung von Anwalt zu Anwalt.

Anmerkung/Besprechung, AnwGH NRW, Urteil vom 07.11.2014 – 2 AGH 9/14.

Ganz vielen Dank an RA Strömer, der mich auf die Entscheidung hingewiesen hat.

Update vom 20.01.2015: In den Kommentaren bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass die von der Generalstaatsanwaltschaft (und mir) favorisierte Auslegung von § 59b BRAO wegen der berufsrechtlichen Ahndungsmöglichkeit im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG Bedenken begegnet. Das scheint mir - leider - nicht völlig von der Hand zu weisen zu sein.

Foto: Rolle Ruhland/OLG Hamm 4/7 | flickr.com | CC BY-SA 2.0