Keine (Zulassung der) Rechts­beschwerde gegen Zwischenurteile eines Oberlandesgerichts

Mutmaßlich relativ gravierende Folgen für KapMuG-Verfahren und Musterfeststellungsverfahren dürften sich aus einem aktuellen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 31.07.2018 – X ZB 9/17 ergeben. Darin geht es um die Statthaftigkeit einer vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde gegen dessen Zwischenurteil über die Rechtmäßigkeit einer Zeugnisverweigerung.

Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Schenkung eines Wertpapierdepots. Die Klägerin berief sich dabei auf das Zeugnis eines Rechtsanwalts, der mit dem Entwurf einer Vereinbarung befasst war. Von dieser Vereinbarung behauptetder die Klägerin, sie belege, dass die während des Verfahrens verstorbene vormalige Beklagte ihr den Inhalt eines Wertpapierdepots schenkweise übertragen habe. Der Zeuge verweigerte unter Berufung auf § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO und § 384 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO das Zeugnis. Das Berufungsgericht hat die Zeugnisverweigerung durch Zwischenurteil für berechtigt erklärt. Dagegen wenden sich der Beklagte und die Klägerin mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

Zivilprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte ergeben sich aus §§ 383 Abs. 1 Nr. 1-6 und § 384 Ziff. 1-3 ZPO (im Gegensatz zur StPO unterscheidet die ZPO terminologisch nicht zwischen Aussageverweigerungsrechten und Zeugnisverweigerungsrechten). Der Zeuge hatte sich hier auf § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO und § 384 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO berufen. Das Landgericht hielt das für zulässig und hatte deshalb mit Zwischenurteil (§ 387 ZPO) die Zeugnisverweigerung für rechtmäßig erklärt; es hatte außerdem die Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO) zugelassen.

Entscheidung

Der BGH hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen:

„Das Gesetz sieht gegen das Urteil eines Berufungsgerichts oder des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug im Zwischenstreit über die Zeugnisverweigerung kein Rechtsmittel vor. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 ZPO nur gegen Beschlüsse statthaft.

Eine berichtigende Auslegung der Bestimmung des § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO dahin, dass die Rechtsbeschwerde gegen ein Zwischenurteil statthaft ist, wenn das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie zugelassen hat, scheidet in Anbetracht des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift und fehlender Anhaltspunkte für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers aus (…).

Soweit der VI., VIII. und IX. Zivilsenat im ersten Rechtszug erlassene Zwischenurteile eines Oberlandesgerichts über die Rechtmäßigkeit einer Zeugnisverweigerung für mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar erachtet haben (Beschluss vom 4. Dezember 2012 – VI ZB 2/12 […] Rn. 6; Beschluss vom 8. April 2008 – VIII ZB 20/06 […] Rn. 5; Beschluss vom 9. Dezember 2004 – IX ZB 279/03 […]), haben sie mitgeteilt, hieran nicht mehr festzuhalten.

Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich im Streitfall auch nicht daraus, dass das Berufungsgericht sie zugelassen hat. Die durch die Zulassung der Rechtsbeschwerde eintretende Bindungswirkung nach § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist auf das Vorliegen eines Zulassungsgrundes beschränkt, eröffnet aber nicht ein nach dem Gesetz nicht vorgesehenes Rechtsmittel (…).“

Anmerkung
Der X. Zivilsenat folgt damit im Ergebnis zwei Entscheidungen des I. Zivilsenats aus der jüngeren Zeit (BGH, Beschlüsse v. 05.12.2012 – I ZB 7/12 und vom 30.03.2016 – IX ZB 4/16, jeweils § 71 Abs. 3 ZPO). Und das Ergebnis ist systematisch wenig überzeugend (ebenso z.B. MünchKommZPO/Lipp, § 574 Rn. 20), angesichts der nun wohl übereinstimmenden Rechtsansicht aller BGH-Senate aber nur noch im Wege einer Gesetzesänderung zu korrigieren. Sprengkraft ergibt sich daraus insbesondere für die gerade erst eingeführte Musterfeststellungsklage und für Verfahren nach dem KapMuG. Denn Zwischenurteile in beiden Verfahren ergehen zwingend durch das zur Entscheidung berufene Oberlandesgericht (§§ 118, 119 Abs. 3 GVG n.F.) und sind dementsprechend unanfechtbar. Wie wenig praktikabel die so entstehende Rechtslage ist, zeigen die Prozesse im sog. „Dieselskandal“: Nach dem bisherigen Verlauf der Prozesse vor dem Landgericht Stuttgart (Az.: 22 O 205/16 und 22 O 348/16; s. dazu z.B. hier) kann man davon ausgehen, dass in dem bzw. den KapMuG-Verfahren ebenso wie im Musterfeststellungsverfahren ein erheblicher Teil der als Zeugen benannten Mitarbeiter und Organwalter der VW-AG und ihrer Tochtergesellschaften die Aussage verweigern wird. Die Regelung gilt gem. § 142 Abs. 2 ZPO ZPO im Übrigen für die Anordnung der Urkundenvorlegung entsprechend. Beurteilt der BGH die Rechtmäßigkeit einer Zeugnisverweigerung oder einer Weigerung, Urkunden vorzulegen, im Ergebnis nun anders, als die zur Entscheidung berufenen OLG, wird dann ggf. eine erneute – mutmaßlich äußerst komplexe – Beweisaufnahme erforderlich. tl;dr: Das im Zwischenstreit über die Berechtigung einer Zeugnisverweigerung ergehende Zwischenurteil ist unanfechtbar, wenn es vom Berufungsgericht oder vom Oberlandesgericht im ersten Rechtszug erlassen wird. Dies gilt auch dann, wenn die Rechtsbeschwerde im Zwischenurteil zugelassen worden ist. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 31.07.2018 – X ZB 9/17. Wenn Sie diesen Artikel verlinken wollen, können Sie dafür auch folgenden Kurzlink verwenden: www.zpoblog.de/?p=6661. Foto: Matt Botsford on Unsplash