Welche Frist gilt für Befangenheitsanträge gegen Sachverständige?

Oftmals ist nach Vorlage von Gutachten die vom Gericht bestimmte Stellungnahmefrist des § 411 Abs. 4 ZPO länger als die sich aus § 406 Abs. 2 ZPO ergebende Frist zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit. Dass die Stellungnahmefrist der Frist für ein Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen vorgeht, hat das OLG Celle mit Beschluss vom 18.01.2018 - 7 W 79/17 klargestellt.

Sachverhalt

In einem selbständigen Beweisverfahren holte das Landgericht Bückeburg (1 OH 6/13) ein Sachverständigengutachten ein und setzte den Parteien eine Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO. Auf Antrag des Antragsgegners hat das Gericht die Frist verlängert. Am 10.07.2017 – einen Tag vor Ablauf der verlängerten Frist – hat der Antragsgegner den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dies begründet. Das Landgericht Bückeburg hat das Ablehnungsgesuch als unzulässig gewertet. Denn der Antrag sei nicht unverzüglich im Sinne des § 406 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB eingelegt worden. Der Antragsgegner hat sich hiergegen mit der sofortigen Beschwerde gewehrt, welcher das Landgericht Bückeburg nicht abgeholfen hat.

Entscheidung

Die sofortige Beschwerde hatte zwar im Ergebnis keinen Erfolg – allerdings sei das Ablehnungsgesuch nicht unzulässig, sondern unbegründet, so das OLG Celle. Denn die Frage nach der Rechtzeitigkeit eines Ablehnungsantrages dürfe nicht von der Beurteilung der Umstände des Einzelfalles durch das Prozessgericht abhängig gemacht werden, da die Parteien aus Gründen der Rechtssicherheit in jedweder Hinsicht wissen müsse, welcher Zeitraum ihr zur Prüfung des Gutachtens zur Verfügung stehe.

„(…) Muss sich die Partei zur Begründung ihres Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen, läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit im Allgemeinen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab (BGH, Beschl. v. 15.3.2005 - VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869, juris-Rdnr. 12).

2. So verhält es sich hier. Der Befangenheitsantrag gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen ist am vorletzten Tag (10.7.2017) der verlängerten Frist zur Stellungnahme (bis zum 11.7.2017) eingegangen und damit rechtzeitig gestellt worden. Der Antragsgegner hat seinen Antrag mit Darlegungen aus dem Gutachten begründet. Die Auseinandersetzung mit dem Gutachten war demnach Voraussetzung des Ablehnungsgesuchs. Insoweit ist ein unterschiedlicher Fristlauf für die Stellungnahme zum Gutachten und die Einbringung eines Ablehnungsgesuchs sachlich nicht zu rechtfertigen (entsprechend auch BGH, Beschl. v. 15.3.2005 - VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869, juris-Rdnr. 13; insb. gegen OLG Celle, Beschl. v. 25.2.2004 - 16 W 16/04, MDR 2004, 709) (…)

Die im Nichtabhilfebeschluss vertretene andere Ansicht (unter Verweis auf Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 406 Rn. 11 mwN) setzt sich nicht (...) damit auseinander, dass zumindest in umfangreichen Sachverhalten und Begutachtungen - wie hier - ein zweigleisiger Fristlauf nicht sachgerecht erscheint. Die Parteien müssten unter Ansatz dieser Meinung zunächst etwaige Ablehnungsgründe prüfen und diese sodann unverzüglich geltend machen, danach aber - unter Bezug auf die Ablehnung jedoch nur vorsorglich und hilfsweise - in die weitere Sachprüfung des Gutachtens eintreten.“

Anmerkung

Die Entscheidung ist sehr praxisrelevant. Denn ohne Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten können insbesondere Arzthaftungs- und Bauprozesse nicht entschieden werden. Der Ausgang der Verfahren hängt somit maßgeblich von dem Ergebnis und der Auseinandersetzung mit den Gutachten ab. Die Parteien haben deshalb nach Vorlage des Gutachtens die Möglichkeit, Einwendungen, Stellungnahmen und Fragen vorzulegen (§ 411 Abs. 4 ZPO). Das Gericht hat hierfür nach pflichtgemäßen Ermessen eine angemessene Frist zu bestimmen. Bei umfangreichen und/oder komplexen Angelegenheiten werden in der Regel nach meiner Erfahrung mindestens vier Wochen eingeräumt. Die Frist kann auch auf Antrag verlängert werden, was oftmals auch genutzt wird, so dass im Ergebnis die verlängerte Frist des § 411 Abs. 4 ZPO durchaus mehrere Monate betragen kann. Ein Ablehnungsgesuch kann eine mögliche Einwendung gegen das Gutachten sein. Dabei müssen freilich Fristen beachtet werden. Wird der Befangenheitsantrag nicht aus Gründen des schriftlichen Gutachtens, sondern zuvor – z.B. wegen der Person des Sachverständigen – begründet, ist eine Zwei-Wochen-Frist zu beachten (§ 406 Abs. 2 S. 1 ZPO). Nach Vorlage eines schriftlichen Gutachtens gilt insoweit § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO. Der Antrag ist demnach nur dann zulässig, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie den Sachverständigen unverschuldet nicht früher ablehnen konnte. Die Partei muss den Antrag folglich wie bei § 121 Abs. 1 S. 1 BGB unverzüglich ab ihrer Kenntnis des Ablehnungsgrundes einreichen. In der Regel wird hierfür eine Frist von zwei Wochen zugrundegelegt (OLG Hamm 28.02.2013 – 32 W 1/13; OLG Thüringen 30.10.2015 – 1 WF 536/15; OLG Köln 03.12.2012 – 17 W 141/12). Das OLG Celle hat unter Bezugnahme auf den BGH (s. oben) zutreffend entschieden, dass diese Frist dann nicht gilt, wenn das Gericht den Parteien gemäß § 411 Abs. 4 ZPO eine längere Frist als zwei Wochen für Einwendungen, Stellungnahmen und Anträge gewährt hat. Aufgrund der überzeugenden Begründung des BGH, auf das sich auch das OLG Celle bezieht, ist die teilweise gegenteilige Ansicht abzulehnen, wobei beachtet werden muss, dass nach meinen Feststellungen die andere Ansicht in rechtskräftigen Entscheidungen seit dem Beschluss des BGH nicht mehr vertreten wird. tl;dr: Die Frist des § 411 Abs. 4 ZPO geht derjenigen aus § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO vor, soweit sich die Partei zur Begründung ihres Ablehnungsgesuchs mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen muss. Anmerkung/Besprechung, OLG Celle, Beschluss v. 18.01.2018 - 7 W 79/17. Nikolaos Penteridis ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Sozialrecht. Er ist Partner der Kanzlei Melzer Penteridis Kampe Rechtsanwälte PartGmbB und setzt sich regelmäßig mit medizinischen Sachverständigengutachten auseinander. Zudem ist er als Dozent in der Fachanwaltsfortbildung (Rechtsanwaltskammern und örtliche Anwaltvereine) tätig. Foto: Forevermore | OLG Celle Altbau | CC BY-SA 3.0 Dieser Beitrag unterliegt den Bestimmungen des Urheberrechts.