Einsicht in spruchkörper­interne Geschäfts­verteilungs­pläne als „Jedermannrecht“?

Steht jedermann ein Einsichtsrecht in kammer- bzw. senatsinterne Geschäftsverteilungspläne zu? Oder bedarf es dafür eines besonderen Interesses? Mit dieser Frage hat sich der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 25.09.2019 – IV AR(VZ) 2/18 – beschäftigt.

Sachverhalt

Der Antragsteller begehrt Einsicht in den senatsinternen Geschäftsverteilungsplan eines Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf für das Jahr 2018 einschließlich etwaiger Änderungsbeschlüsse. Der Antragsgegner (also die Verwaltung des Gerichts, der „Präsident des Oberlandesgerichts“) wies diesen Antrag mit der Begründung zurück, der Antragsteller habe kein anerkennenswertes Interesse an einer Einsichtnahme dargelegt. Insbesondere sei er nicht an einem Rechtsstreit vor jenem Senat beteiligt. Dagegen wendete sich der Antragsteller mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 ff. EGGVG. Das Oberlandesgericht verpflichtete den Antragsgegner daraufhin, dem Antragsteller die begehrte Einsicht durch Übersendung eines Ausdrucks zu gewähren. Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

Die verfahrensrechtliche Einkleidung des Falles ist Justizverwaltungsrecht und auch für die Ausbildung spannend. Das OLG war an dem Verfahren nämlich in zwei verschiedenen Rollen beteiligt: Als Organ der rechtsprechenden „dritten Gewalt“ und als Justizverwaltungsbehörde. Es hatte– insoweit handelnd als „Gericht“ – den Präsidenten des Oberlandesgerichts – insoweit handelnd als Justizverwaltungsbehörde unter der Bezeichnung „der Präsident“ (ähnlich wie „der Bürgermeister“ oder „der Landrat“) – verpflichtet, dem Antragsteller Einsicht in den Geschäftsverteilungsplan eines Senats des Oberlandesgerichts zu gewähren. (Geschäftsverteilungspläne gibt es nämlich nicht nur auf der Ebene eines Gerichts (§ 21e GVG), sondern auch auf der Ebene jeder Kammer oder jedes Senats (§ 21g GVG). Damit wird für den jeweiligen Spruchkörper festgelegt, welcher Richter oder welche Richterin für welches „Geschäft“ zuständig ist. Das hatte das Gericht verweigert. Und diese Entscheidung wollte der Antragsteller nun überprüfen lassen. Für die Überprüfung solchen Justizverwaltungshandelns der ordentlichen Gerichte enthält das EGGVG in § 23 EGGVG eine abdrängende Sonderzuweisung i.S.d. § 40 VwGO: Zuständig sind nicht die Verwaltungsgerichte, sondern es entscheiden die Oberlandesgerichte (§ 25 EGGVG) im Rahmen eines sog. Antrags auf gerichtliche Entscheidung. Gegen die Entscheidung ist gem. § 29 EGGVG die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn das Oberlandesgericht sie zulässt. Dies war hier der Fall, so dass nun der BGH darüber zu entscheiden hatte, ob und ggf. wie dem Antragsteller Einsicht zu gewähren war.

Entscheidung

Der BGH hat sich der Ansicht des Senats weitgehend angeschlossen:

„a) Das Oberlandesgericht hat zu Recht angenommen, dass der Präsident des Oberlandesgerichts im Streitfall richtiger Antragsgegner ist. (…)

b) Das Oberlandesgericht hat weiter richtig erkannt, dass der Antragsteller einen Anspruch darauf hat, dass der Antragsgegner ihm Einsicht in den senatsinternen Geschäftsverteilungsplan gewährt.

aa) Anspruchsgrundlage sind die §§ 21g Abs. 7, 21e Abs. 9 Halbsatz 1 GVG. Diese Vorschriften ordnen nicht nur an, dass Geschäftsverteilungspläne aufzulegen sind, sondern bestimmen darüber hinaus, dass die Auflegung „zur Einsichtnahme“ erfolgt. Wie das Oberlandesgericht zutreffend ausgeführt hat, folgt aus dieser Festlegung des Zwecks der Auflegungspflicht, dass Einsicht in Geschäftsverteilungspläne zu gewähren ist, es sich insofern also nicht um eine Ermessensentscheidung handelt.

bb) Richtig ist ferner die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass das Recht auf Einsichtnahme in einen spruchkörperinternen Geschäftsverteilungsplan auch für denjenigen besteht, der – wie der Antragsteller – nicht an einem Verfahren beteiligt ist, das bei dem Spruchkörper anhängig ist (…).

Hierfür spricht bereits der Wortlaut der §§ 21g Abs. 7, 21e Abs. 9 Halbsatz 1 GVG, der nicht vorsieht, dass die Einsichtnahme an die Darlegung eines besonderen Interesses geknüpft wäre. Die genannten Vorschriften sind insofern anders gefasst als andere gesetzliche Bestimmungen, die Einsichtsrechte gewähren und das Erfordernis der Darlegung oder Glaubhaftmachung eines näher bezeichneten Interesses ausdrücklich nennen (vgl. etwa § 299 Abs. 2 ZPO, § 13 Abs. 2 Satz 1 FamFG, § 475 Abs. 1 und 2 StPO). Auch die Gesetzesbegründungen zu § 21g Abs. 7 GVG und § 21e Abs. 9 GVG enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den Anspruch auf Einsichtnahme in Geschäftsverteilungspläne nur unter der genannten Voraussetzung zubilligen wollte (...).

Die vom Oberlandesgericht vertretene Auffassung steht insbesondere auch in Einklang mit dem Sinn und Zweck des § 21g GVG. Wie der Bundesgerichtshof (…) ausgeführt hat, sind die gesetzlichen Vorgaben zur Aufstellung spruchkörperinterner Geschäftsverteilungspläne Teil des Regelwerks, welches das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in eine nach allen Seiten unabhängige, unparteiische und von sachfremden Einflüssen freie Rechtsprechung sichert (…). § 21g GVG ist im Lichte der Verfassung, namentlich der Gewährleistung des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, zu betrachten (…); mit der verfassungsrechtlichen Garantie des gesetzlichen Richters soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (...). § 21g GVG betrifft danach nicht nur Rechtsuchende, sondern auch die Öffentlichkeit. Das legt es nahe, das Einsichtsrecht nach §§ 21g Abs. 7, 21e Abs. 9 Halbsatz 1 GVG als ein „Jedermannrecht“ zu verstehen, was für den unmittelbar aus § 21e Abs. 9 Halbsatz 1 GVG resultierenden Anspruch auf Einsichtnahme in den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts auch der allgemeinen Ansicht entspricht (…)

c) Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Annahme des Oberlandesgerichts, dass von dem Einsichtsrecht gemäß §§ 21g Abs. 7, 21e Abs. 9 Halbsatz 1 GVG auch die (kostenpflichtige) Übersendung eines Ausdrucks des spruchkörperinternen Geschäftsverteilungsplans umfasst sei.

Nach dem Gesetzestext ist der Zugang zu Geschäftsverteilungsplänen dadurch eröffnet, dass sie auf der Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme aufliegen (§ 21e Abs. 9 Halbsatz 1 GVG). Weitere Zugangsarten (vgl. hierzu § 1 Abs. 2 IFG, § 3 Abs. 2 UIG, § 6 Abs. 1 VIG) nennt das Gesetz nicht. Es bestehen keine Anhaltpunkte dafür, dass die §§ 21g Abs. 7, 21e Abs. 9 Halbsatz 1 GVG einen über ihren Wortlaut hinausgehenden Anspruch gewähren; insbesondere sind die Gesetzesbegründungen insofern unergiebig (...). Die vom Oberlandesgericht für seinen gegenteiligen Standpunkt angeführten Regelungen in § 299 Abs. 1 ZPO und § 13 Abs. 3 Satz 1 FamFG betreffen Akteneinsichtsrechte und lassen schon aufgrund ihres andersartigen Regelungsgegenstandes keine Rückschlüsse auf die Reichweite des Zugangsrechts nach den §§ 21g Abs. 7, 21e Abs. 9 Halbsatz 1 GVG zu (…). Dasselbe gilt für die von der Rechtsbeschwerdeerwiderung herangezogene, die schriftliche oder elektronische Bestätigung eines mündlichen Verwaltungsaktes regelnde Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 2 VwVfG. Auch die praktischen Erwägungen, die das Oberlandesgericht angestellt hat, vermögen seine vom Gesetzeswortlaut abweichende Rechtsauffassung nicht zu rechtfertigen. Dem entspricht es, dass ein Anspruch auf Übersendung einer Kopie von Geschäftsverteilungsplänen in Rechtsprechung und Literatur nahezu einhellig abgelehnt wird (…).

d) Ein weitergehender Anspruch auf Übersendung der Pläne folgt nicht aus § 4 Abs. 1 IFG NRW. (…)

e) Das bedeutet allerdings nicht, dass die Übersendung eines Ausdrucks oder einer Kopie eines spruchkörperinternen Geschäftsverteilungsplans unzulässig wäre. Wenn der nach §§ 21g Abs. 7, 21e Abs. 9 Halbsatz 1 GVG Einsichtsberechtigte um eine vom Gesetz nicht vorgesehene Art des Zugangs zu einem Geschäftsverteilungsplan ersucht, ist hierüber nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden (…). Dabei ist es denkbar, dass dem Einsichtsberechtigten nach den Grundsätzen der Ermessensreduzierung auf null oder der Selbstbindung der Verwaltung (….) sogar ein Anspruch darauf zusteht, dass ihm der Geschäftsverteilungsplan in der begehrten, von §§ 21g Abs. 7, 21e Abs. 9 Halbsatz 1 GVG nicht vorgesehenen Art zugänglich gemacht wird. Hierfür ist im Streitfall allerdings nichts ersichtlich.

Der Antragsgegner hat sein danach bestehendes Ermessen, ob dem Antragsteller - wie von ihm erwünscht - eine Kopie oder ein Ausdruck des senatsinternen Geschäftsverteilungsplans übersandt wird, bislang nicht ausgeübt. Das hat er nachzuholen.

Anmerkung

Und damit darf das OLG jetzt noch einmal prüfen, ob es dem Antragsteller „eine Kopie oder einen Ausdruck“ des senatsinternen Geschäftsverteilungsplans übersendet - oder ob der Antragsteller vorbeikommen muss, um den zur Einsichtnahme aufliegenden“ Geschäftsverteilungsplan einzusehen. Angesichts der im Jahr 2019 eröffneten Kommunikationswege (Email!) ein irgendwie bemerkenswertes Ergebnis. tl;dr: Über die Einsichtnahme in einen spruchkörperinternen Geschäftsverteilungsplan hat der Präsident oder aufsichtführende Richter des jeweiligen Gerichts zu entscheiden. Die Einsichtnahme setzt nicht die Darlegung eines besonderen Interesses voraus. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 25.09.2019 – IV AR(VZ) 2/18. Foto: Andreas Praefcke, Karlsruhe BGH Eingangsbereich, CC BY 3.0