BGH zur Kostenfolge bei konkurrierender Rechtshängigkeit i.S.d. Art. 29 ff. EuGVVO
„Wenn ein Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt, der Beklagte dem aber widerspricht und Klageabweisung beantragt, hat das Gericht durch Urteil zu entscheiden, ob Erledigung eingetreten ist oder nicht (…). Die Hauptsache ist erledigt, wenn die Klage im Zeitpunkt des nach ihrer Zustellung eingetretenen erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war und durch das behauptete Ereignis unzulässig oder unbegründet wurde (…). Das Gericht muss die Klage abweisen, wenn eine der beiden Voraussetzungen nicht vorlag (…).“
Für die Entscheidung über den geänderten Antrag war es deshalb entscheidend, ob die Klage in Deutschland trotz der gleichzeitig rechtshängigen Klage in Österreich zulässig gewesen war oder nicht. Denn bei einer unzulässigen Klage konnte keine Erledigung eintreten, so dass die Klage abzuweisen war und der Kläger die Kosten zu tragen hatte. Das hatte das Gericht erster Instanz hier angenommen, das Berufungsgericht hatte das aber anders gesehen.Entscheidung
Der BGH hat das Urteil des Landgerichts auf die Berufung des Klägers aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt:„Die vor dem Amtsgericht erhobene Klage war von Anfang an unzulässig, weil der Kläger wegen desselben Anspruchs gegen den Beklagten bereits vor einem international zuständigen Gericht in Österreich einen Rechtsstreit führte, der bis zu dessen vergleichsweiser Beendigung rechtshängig blieb.
a) Die Rechtshängigkeit der Streitsache hat nach deutschem Zivilprozessrecht die Wirkung, dass während der Dauer der Rechtshängigkeit die Streitsache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden kann (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Dadurch soll verhindert werden, dass der Beklagte und die Gerichte sich in mehreren Verfahren mit derselben Sache befassen müssen und dass einander widersprechende Urteile ergehen (…). Das deutsche Prozessrecht behandelt die anderweitige Rechtshängigkeit als negative Prozessvoraussetzung, die von Amts wegen zu beachten ist (…). Eine später gegen dieselbe Partei über denselben Streitgegenstand erhobene Klage ist während der Dauer der anderweitigen Rechtshängigkeit von Anfang an unzulässig (…).
b) § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO regelt unmittelbar nur die Wirkungen der Rechtshängigkeit einer Streitsache vor einem deutschen Gericht. Die Rechtshängigkeit der Streitsache vor einem ausländischen Gericht steht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Rechtshängigkeit vor einem inländischen Gericht aber gleich, wenn das ausländische Urteil hier anzuerkennen sein wird (…). Sie steht unter dieser Voraussetzung einer nachfolgenden Klage in gleicher Weise von Anfang an entgegen, wie gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO die anderweitige Rechtshängigkeit der Streitsache in Deutschland.
c) Aus Art. 29 EuGVVO nF ergibt sich nicht, dass die in Deutschland erhobene Klage abweichend von den vorstehenden Grundsätzen zunächst zulässig war.
aa) Für den hier gegebenen Fall der doppelten Rechtshängigkeit einer Streitsache bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Union bestimmt Art. 29 Abs. 1 und 3 EuGVVO nF, dass das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen auszusetzen hat, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht; sobald dies der Fall ist, hat sich das später angerufene Gericht zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für unzuständig zu erklären (…).
bb) Die Regelung der Verordnung hat Vorrang vor dem Prozessrecht der einzelnen Mitgliedstaaten (…). Der Vorrang gilt jedoch nur insoweit, als die Regelung der Verordnung reicht.
Art. 29 EuGVVO nF bestimmt die Rechtsfolge der doppelten Rechtshängigkeit dahin, dass sich das später angerufene Gericht, sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, für unzuständig zu erklären hat. In welcher Weise und auf wessen Kosten der später begonnene Rechtsstreit prozessual beendet wird, überlässt die Regelung dem nationalen Recht (…). Die deutsche Rechtsprechung hat schon zu den früheren Bestimmungen in Art. 21 EuGVÜ und Art. 27 EuGVVO aF entschieden, dass die Klage bei dem später angerufenen Gericht als unzulässig abzuweisen ist (…). Dies entspricht der Rechtslage nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. Die durch die anderweitige Rechtshängigkeit bewirkte Unzulässigkeit der späteren Klage besteht von Anfang an. Deswegen ist dem Kläger auch der Weg versperrt, die Kosten über eine Erledigungserklärung auf den Beklagten abzuwälzen.
d) Selbst unter der Annahme, Art. 29 EuGVVO nF regle auch den Zeitpunkt, ab dem die Klage beim später angerufenen Gericht unzulässig ist, träfe die Ansicht des Berufungsgerichts, die spätere Klage sei bis zur Feststellung der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts zulässig, nicht zu. Eine solche vorübergehende Zulässigkeit der später erhobenen Klage kann nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass Art. 29 Abs. 1 EuGVVO nF eine Aussetzung des Verfahrens vorschreibt, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Das Aussetzungsgebot betrifft ausschließlich das vom Zweitgericht einzuhaltende Verfahren. (...)
Die Regelung in Art. 29 Abs. 1 und 3 EuGVVO nF entspricht, wie schon die Vorgängerregelung in Art. 27 EuGVVO aF, im Wesentlichen derjenigen in Art. 21 EuGVÜ nF. Auch sie schiebt lediglich die Befugnis des Zweitgerichts, sich im Hinblick auf die doppelte Rechtshängigkeit für unzuständig zu erklären, zeitlich hinaus (...). Das Zweitgericht hat die Entscheidung des Erstgerichts zur internationalen Zuständigkeit abzuwarten und im Verfahren bis dahin innezuhalten.
Hierdurch sollen negative Kompetenzkonflikte vermieden werden, die im Falle einer sofortigen Abweisung der zweiten Klage wegen der anderweitigen Rechtshängigkeit drohten, wenn sich das erste Verfahren letztlich doch mangels internationaler Zuständigkeit als unzulässig erweist (...). Die Parteien sollen in einem solchen Fall nicht mit ihrem Prozess von neuem beginnen müssen (...). Damit ist den Interessen des Klägers im Rahmen des von Art. 29 EuGVVO nF verfolgten Regelungszwecks hinreichend Rechnung getragen. Eine weitergehende Bevorzugung seiner Interessen gebietet Art. 29 EuGVVO nF nicht.
Insbesondere bezweckt die Bestimmung entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht, dass ein Kläger gegen ein und denselben Beklagten wegen desselben Streitgegenstandes bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten ohne Kostenrisiko gerichtlich vorgehen kann. Art. 29 EuGVVO nF dient auch dem Schutz des Beklagten vor der Gefahr, sich einer doppelten Verurteilung und entsprechenden Kostenfolgen ausgesetzt zu sehen (…)."