Auch bei Anwendung ausländischen Sachrechts - „durchwurschteln“ geht nicht!
Entscheidung
Das OLG hat das Urteil auf den Hilfsantrag der Beklagten aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Das Urteil beruhe auf unzulänglichen Sachverhaltsfeststellungen (§§ 513 I 2 Alt., 529 I Nr. 1 ZPO) sowie einem Missverständnis sachlichen Rechts (§§ 513 I 1. Alt., 546 ZPO) und damit zu einer unvollständigen Anwendung ausländischen Rechts (§ 293 ZPO).„a) Der Streitfall war und ist nach dem Sachrecht der italienischen Republik zu entscheiden (Art. 24, 4 I, 15 Rom II-VO), weil nach der allgemeinen Kollisionsnorm der behauptete Schaden durch eine unerlaubte Handlung in Italien eingetreten ist, und keine vorrangigen Anknüpfungspunkte (Art. 4 II, III Rom II-VO) bestehen.
- Zum einen wäre deswegen zu prüfen und in den Entscheidungsgründen darzustellen gewesen, ob und in welchem Umfang dem Kläger – über die grundsätzliche Haftung für Schäden durch den Verkehr eines Fahrzeugs hinaus – der Nachweis gelungen ist, der die gesetzliche Vermutung widerlegt, dass jeder der Lenker in gleichem Ausmaß zur Verursachung des an den einzelnen Fahrzeugen entstandenen Schadens beigetragen hat (Art. 2054 S. 1, 2 Italienisches Zivilgesetzbuch). (…)
- Zum zweiten wäre zu erörtern gewesen, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Auswirkungen nach italienischem Recht ein verabredeter Unfall anzunehmen wäre, und wie die Beklagten einen entsprechenden Nachweis zu führen hätte. Insoweit bezieht sich das Ersturteil jedoch ausschließlich auf die nach deutschem Recht entwickelten Grundsätze (…)
1. Das italienische Sachrecht wurde nicht vollständig und nicht ordnungsgemäß untersucht und festgestellt (…). Stattdessen wendet das Erstgericht ohne Begründung deutsches Recht zu vereinbarungsgemäß herbeigeführten scheinbaren Unfällen an. Trotz den Parteien bekannt gegebener Unkenntnis des italienischen Rechts wurde von einer sachverständigen Begutachtung im stillschweigenden Einverständnis der Parteien (…) abgesehen.
Dagegen hätten von Amts wegen nicht nur ausländisches Gesetzesrecht, sondern auch dessen Auslegung und Anwendung in der Rechtspraxis, wie sie in der Rechtsprechung der Gerichte des betreffenden Landes zum Ausdruck kommt, berücksichtigt werden müssen (…).
Zwar wäre es dem pflichtgemäßen Ermessen der Tatrichterin vorbehalten geblieben, in welcher Weise sie sich die notwendigen Erkenntnisse verschafft, vorliegend wurden jedoch keinerlei Ermessen ausgeübt und keinerlei Erkenntnisquellen genutzt (…). Durch den Verzicht auf eine derartige Beweiserhebung wurde dem Gericht die Möglichkeit genommen, die Entlastungsmöglichkeiten der Beklagten zu klären und insbesondere die gültige Beweislastverteilung anzuwenden. Bei – im Streitfall gebotener – Anwendung ausländischen Rechts sind diesem auch die Beweislastregeln zu entnehmen, ohne Rücksicht darauf, ob die Normen der Beweislastverteilung selbst dem sachlichen Recht zuzurechnen sind (…). Folglich stützt sich das Erstgericht hinsichtlich der streitentscheidenden Einwendungen der Beklagten auf untaugliche und deswegen durch die erhobenen Beweise nicht belegte und nicht begründbare Feststellungen (…).
2. In ähnlicher Weise hat das Landgericht gegen zwingende Grundsätze der Beweiserhebung verstoßen (…), weil nicht erkennbar wird, auf welcher Tatsachengrundlage das wenigstens in einzelnen Vorschriften angewandte italienische Sachrecht erforscht und festgestellt wurde (…). Zudem fehlen dem Ersturteil die Grundsätze der italienischen Rechtsprechung, welche Verkehrspflichten im Streitfall galten, welche Auswirkungen die grundlegende Vermutung zur Haftungsverteilung habe, und wie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Haftungsverteilung nach italienischem Recht getroffen und anhand der Gesetzeslage gerechtfertigt worden wäre.
- Zwar wäre auch insoweit der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen frei (§ 293 S. 1, 2 ZPO), wie er sich fehlende Kenntnisse ausländischen Rechts verschafft (…); jedoch müssen die entsprechenden Maßnahmen geeignet und zielführend sein. Nicht ausreichend ist dagegen, ausdrücklich zu erklären, dass Kenntnisse nicht vorhanden seien (…), und stattdessen deutsches Recht anzuwenden (…).
- Das Landgericht geht selbst zutreffend davon aus, dass eine solche Beweiserhebung ohne weiteres möglich gewesen wäre (…), wobei auch weitere mögliche Beweismittel zwar vorhanden sind, jedoch nicht in Betracht gezogen wurden. Etwa beschafft und erteilt das Auswärtige Amt über die italienische Botschaft nähere Auskünfte und vermittelt sachkundige Einrichtungen, zudem könnte eine Auskunft eines italienischen Gerichts oder ein Gutachtens eines italienischen Professors für Zivil- und Zivilprozessrecht eingeholt werden (…). Weiterhin kann nach dem Europäischen Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht vom 07.09.1968 (Londoner Übereinkommen) eine Auskunftsanfrage an das italienische Justizministerium gerichtet werden (…). Zuletzt bietet der Internetauftritt des europäischen Justizportals (https://e-justice.europa.eu/home.do) weiterführende Hinweise.
- Bei dieser Sachlage ist unter Würdigung aller Gesamtumstände die vollständig unterlassene Beweiserhebung durch ein Sachverständigengutachten zum italienischen Recht verfahrensfehlerhaft und schließt aus, dass die Beweiserhebung des Erstgerichts auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht (…)
b) Auch der sachlich-rechtliche Ansatz des Erstgerichts (§§ 513 I 1. Alt., 546 ZPO) ist zu beanstanden, sodass insbesondere die entscheidenden Fragen der Beweislastverteilung und der Anspruchs- und Einwendungsgrundlagen nicht frei von Rechtsfehlern beantwortet wurden. Derzeit lässt sich weder feststellen, noch vorhersagen, ob sich das erstinstanzlich gefunden Ergebnis auch nach erneuten Feststellungen und Anwendung italienischen Rechts als zutreffend erweisen werde und so der Rechtsfehler keine für die Beklagte nachteilige Auswirkungen gehabt haben könne.
1. Zutreffend ist, dass für das Zivilverfahren deutsches Zivilprozessrecht anzuwenden sei (lex fori), einschließlich der Regeln zum Beweisrecht (…). Mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung unvereinbar ist dagegen die – vom Erstgericht verfolgte (…) – Auffassung, dass deutsches Recht als Verfahrensrecht auch für alle Fragen der Darlegungs-, Beweisführungs- und Feststellungslast zu gelten habe; diese sind allein Fragen des sachlichen Rechts (…).
2. Deswegen hätte das Erstgericht auch hinsichtlich der Beweislast italienisches Recht ermitteln und seiner Entscheidung zugrunde legen müssen (…), um eine tragfähige Tatsachengrundlage zu schaffen. Die in der deutschen Rechtsprechung entwickelten rechtlichen Voraussetzungen des Nachweises eines verabredeten oder einverständlichen Unfalls (…) sind solange nicht weiterführend als nicht geklärt ist, ob das italienische Recht gleiche oder wenigstens ähnliche Rechtsgrundsätze verfolgt.“