Ausschluss einer Partei während der Zeugenvernehmung im Zivilprozess?

Bild des OLG SaarbrückenRegelungen der StPO sind für den Zivilprozess insbesondere maßgeblich, soweit es darum geht, ob und wann das Gericht von einer eigentlich gebotenen Beweiserhebung absehen kann (§ 244 Abs. 3-5 StPO), weil beispielsweise ein Zeuge unerreichbar ist. Mit einem eher unbekannten Fall der analogen Anwendung strafprozessualer Vorschriften hatte sich das OLG Saarbrücken mit Beschluss vom 10.11.2016 - 4 U 26/15 zu befassen.
Sachverhalt
Der Kläger war in einem Strafprozess wegen sexuellen Missbrauchs seiner Pflegetochter zu einer Haftstrafe verurteilt worden, wobei das Gericht seine Verurteilung maßgeblich auf ein Glaubwürdigkeitsgutachten der Beklagten stützte. In einem späteren Wiederaufnahmeverfahren wurde der Kläger freigesprochen. Der Kläger, der 22 Monate in Haft verbracht hatte, nahm die Beklagte daraufhin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch (§ 839a BGB) und obsiegte damit in erster Instanz weitgehend. (Der sehr bedrückende Sachverhalt ist auch dieser Pressemitteilung des OLG Saarbrücken zu entnehmen). In der Berufungsverhandlung vor dem OLG beantragte die als Zeugin geladene damalige Pflegetochter unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen und Atteste, den Kläger während ihrer Vernehmung auszuschließen.

Gem. § 357 ZPO ist es den Parteien (auch bei anwaltlicher Vertretung) gestattet, einer Beweisaufnahme beizuwohnen. Gem. § 397 Abs. 1 ZPO können die Parteien einem Zeugen (oder Sachverständigen, § 402 ZPO) Fragen vorlegen lassen, gem. Abs. 2 kann ihnen das Gericht auch gestatten, selbst Fragen an einen Zeugen zu richten.

Hier hatte die Zeugin aber beantragt, den Kläger während ihrer Aussage aus dem Sitzungssaal zu entfernen. Eine Regelung, nach der Parteien während einer Zeugenaussage ausgeschlossen werden können, enthält die ZPO aber - anders als die StPO - nicht.

Fraglich war daher, ob das Gericht trotzdem anordnen konnte, dass der Kläger den Sitzungssaal während der Vernehmung der Zeugin verlassen muss.

Entscheidung
Das OLG hat dem Antrag entsprochen:

„1. Besteht die ernsthafte Gefahr, dass ein Zeuge in Gegenwart einer Partei keine wahrheitsgemäße Aussage machen werde (vgl. § 247 Abs. 1 Satz 1 StPO), oder besteht bei der Vernehmung einer Person als Zeuge in Gegenwart einer Partei die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit der Auskunftsperson (vgl. § 247 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 StPO), dann kann das Zivilgericht nach herrschender Meinung gemäß dem im Zivilprozess entsprechend heranzuziehenden Rechtsgedanken des § 247 StPO anordnen, dass während der Vernehmung des Zeugen die betreffende Partei den Sitzungssaal zu verlassen hat […].

Die Gegenauffassung, die annimmt, § 247 StPO sei im Zivilprozess nicht entsprechend anwendbar (OLG Koblenz, Beschluss vom 15.03.2011 – 5 W 145/11 […]), überzeugt nicht. […] Das OLG Koblenz hat – ohne Auseinandersetzung mit der herrschenden Meinung im Zivilprozess – in diesem Rahmen angenommen, die ZPO weise keine Regelungslücke auf, die es erfordere und gestatte, auf eine derart verfahrensfremde Ausnahmevorschrift zurückzugreifen. […] [D]ie These des Fehlens einer (planwidrigen) Regelungslücke [trifft] nicht zu. So ist etwa in Bezug auf die Ablehnung von Beweisanträgen die entsprechende Anwendbarkeit von § 244 Abs. 3 bis 5 StPO anerkannt […], obwohl der Gesetzgeber bei zahlreichen Novellen des Beweisrechts der ZPO weder die strafrechtliche Regelung aufgegriffen noch zivilprozessuale Regelungen hierzu getroffen hat.

Hinsichtlich des von § 247 StPO ersichtlich bezweckten Schutzes von Zeugen […] ist die Interessenlage im Zivilprozess nicht wesentlich anders als im Strafprozess. Insoweit hat das OLG Frankfurt überzeugend ausgeführt, dass gerade Zeugen als Personen, die sich auch gegen ihren Willen als Beweismittel in fremde Zivilprozesse – hier geht es um einen Regressprozess gegen eine Gutachterin – ziehen lassen und nicht nur im staatlichen Interesse der Gewährleistung der Zivilrechtspflege, sondern auch für fremde private Interessen – hier nach den Klageanträgen: Vermögensinteressen – zur Verfügung stehen müssen, in besonderer Weise ein Recht auf Wahrung ihrer eigenen Grundrechte als Personen haben, was die Wahrung ihrer psychischen Gesundheit einschließt (OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 13.01.2003 – 25 W 97/02 […]).

2. In der Sache kommt der Ausschluss einer Partei nur unter engen Voraussetzungen in Betracht, d. h. es muss eine auf bestimmte Umstände gegründete hohe Wahrscheinlichkeit für einen schwerwiegenden Nachteil für die körperliche, geistige oder seelische Gesundheit des Zeugen gegeben sein […]. Die mit der Vernehmung in Gegenwart der betreffenden Partei für einen Zeugen oft anzunehmenden seelischen Belastungen und geringeren Störungen des Wohlbefindens genügen nicht […].

Diese sachlichen Voraussetzungen für den Ausschluss sind hier unter Berücksichtigung der von der Zeugin vorgelegten Bescheinigungen zweifellos gegeben. […]

3. Die Vermeidung der andernfalls vorgezeichneten schwerwiegenden Nachteile für die körperliche, geistige und seelische Gesundheit der Zeugin überwiegt unter den gegebenen Umständen das Interesse des Klägers an der ungeschmälerten Wahrnehmung seiner Rechte aus § 357 ZPO bei weitem. Unabhängig davon dürfte eine möglichst umfassende und störungsfreie Beweiserhebung auch im Interesse des für die Voraussetzungen der Gutachterhaftung beweisbelasteten Klägers liegen.

Auszugleichen ist die mit dem Ausschluss (trotz Verbleibens der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Sitzungssaal) verbundene Einschränkung so weit wie möglich dadurch, dass die ausgeschlossene Partei anschließend durch das Gericht über den Inhalt der Zeugenaussage möglichst umfassend zu informieren ist […]. Die Ausübung des Fragerechts nach § 397 ZPO muss allerdings technisch so gestaltet werden, dass der durch analoge Anwendung des § 247 StPO erzielte Aussageerfolg nicht nachträglich vereitelt wird, indem der Zeuge nunmehr durch das Erscheinen der zunächst entfernten Partei verunsichert wird und seine Aussage unter diesem Eindruck modifiziert oder widerruft […] oder, was hier nahe liegt, eine schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigung erleidet.“

Anmerkung
Das Gericht erwägt zum Schluss noch der Möglichkeit einer Videovernehmung gem. § 128a Abs. 2 ZPO. Eine solch komme aber nicht in Betracht, weil sich das Gericht – vereinfacht – einen persönlichen Eindruck von der Zeugin verschaffen wolle. Dabei wäre m.E. aber auch zu berücksichtigen, dass eine Entfernung der Partei aus dem Sitzungssaal entsprechend § 247 StPO i.d.R. Vorrang vor einer Videovernehmung gem. § 128a Abs. 2 ZPO haben dürfte (OLG Frankfurt im zitierten Beschluss vom 04.10.1993 – 3 WF 103/97). Der Eingriff in die Rechte der ausgeschlossenen Partei lässt sich übrigens noch dadurch minimieren, dass die Zeugenaussage entsprechend § 128a ZPO in das Zimmer übertragen wird, in dem sich die Partei während der Vernehmung aufhält. Foto: Anna16 | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0