BAG: Keine Klage auf künftige Leistung von Arbeitslohn (Rechtsprechungsänderung)

Bild des BundesarbeitsgerichtsMit schon etwas älterem Urteil vom 22.10.2014 – 5 AZR 731/12 hat der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts still und leise (und wenig überzeugend) seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Klagen auf künftige Leistung von Arbeitslohn geändert. Die Zulässigkeit soll sich nicht (mehr) aus § 259 ZPO ergeben können.

Die Entscheidung dürfte nicht nur für arbeitsgerichtliche Verfahren sondern auch darüber hinaus relevant sein, da sie den Anwendungsbereich von § 259 ZPO neu (und sehr eng) definiert.

Sachverhalt

In dem Rechtsstreit ging es um die „Anrechnung individueller Grundentgelterhöhungen auf ERA-Besitzstandszulagen“. (Was das genau ist, entzieht sich meiner Kenntnis, werden aber vielleicht die mitlesenden Arbeitsrechtler wissen.) Soweit hier relevant hielt sich die Klägerin für unterbezahlt und klagte daher sowohl rückwirkend als auch für die Zukunft die Differenz zwischen dem gezahlten und dem ihr nach ihrer Auffassung zustehenden Entgelt ein.

Eingeklagt werden in der Regel nur fällige Ansprüche. Die ZPO sieht aber in den §§ 257-259 ZPO auch die Möglichkeit vor, Ansprüche einzuklagen, die erst in Zukunft fällig werden (s. dazu auch den instruktiven Fall bei Peter, JuS 2011, 322.).

Bei allen in §§ 257-259 ZPO geregelten Fällen ist dabei erforderlich, dass 1) der Anspruch schon entstanden ist (und nicht erst noch entstehen wird) und 2) der Fälligkeitszeitpunkt feststeht. Letzteres ist wegen der Vollstreckung gem. § 751 Abs. 1 ZPO wichtig, damit die Vollstreckungsklausel pünktlich erteilt werden kann. (S. dazu auch den instruktiven Fall bei Peter, JuS 2011, 322.)

Die §§ 257 und 258 einerseits und § 259 ZPO andererseits stellen dabei jeweils eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung auf:

  • §§ 257, 258 ZPO erfordern, dass der Anspruch von keiner Gegenleistung abhängt. § 257 ZPO erklärt unter dieser Voraussetzung eine Klage auf (einmalige) Geldleistung (z.B. Rückzahlung eines Darlehens) oder Räumung für zulässig, soweit es bei letzterer nicht um Wohnraum geht. § 258 ZPO erklärt unter diesen Voraussetzungen eine Klage für zulässig, die auf wiederkehrende Leistungen gerichtet ist (z.B. Zahlung von Zinsen oder Unterhalt). Vor sinnlosen Klagen „auf Vorrat" ist der Schuldner dadurch geschützt, dass er den Anspruch sofort anerkennen kann, und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger/Gläubiger zur Last fallen, § 93 ZPO.
  • Praktisch relevanter ist § 259 ZPO. Danach ist eine Klage auf künftige Leistung zulässig, wenn der Schuldner den Anspruch bestreitet. Auf den Anspruchsinhalt (Zahlung, Räumung) kommt es anders als bei §§ 257 , 258 nicht an, ebenso ist irrelevant, ob der Anspruch von einer noch zu erbringenden Gegenleistung abhängt.

Aus § 258 ZPO konnte sich die Zulässigkeit der Klage hier in keinem Fall ergeben, denn es ging zwar um „wiederkehrende Leistungen“, die Vergütung der Klägerin hing aber logischerweise davon ab, dass diese arbeitete (bzw. sich ihr Arbeitgeber in Annahmeverzug befand, § 615 BGB). Die Zulässigkeit der Klage konnte sich daher nur aus § 259 ZPO ergeben. Dessen Voraussetzungen erscheinen gegeben, insbesondere schien der Anspruch dadurch gefährdet, dass er vom Arbeitgeber bestritten wurde.

Entscheidung

In der bisherigen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wurden Klagen auf zukünftige Zahlung von Arbeitslohn für zulässig gehalten (s. nur BAG, Urteil vom 20.08.2002 – 9 AZR 710/00, Urteil vom 28.01.2009 - 4 AZR 904/07 und  Urteil v. 06.05.2009 – 10 AZR 390/08 Urteil vom 28.01.2009 - 4 AZR 904/07 sowie LAG Köln, Urteil vom 24.01.2012 – 6 Sa 962/11).

Das hatte auch der hier entscheidende 5. Senat mit Urteil vom 13. 3. 2002 - 5 AZR 755/00 (noch) so gesehen. Er hatte aber schon damals einschränkend gefordert, dass die Gegenleistung in das Urteil aufzunehmen sei, damit der Rechtspfleger die Voraussetzungen des § 726 ZPO prüfen könne.

Nunmehr erklärt der 5. Senat des BAG Klagen auf zukünftige Leistung von Arbeitslohn insgesamt für unzulässig:

„Ein auf die Vornahme einer künftigen Handlung gerichteter Antrag ist nach § 259 ZPO zulässig, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, der Schuldner werde sich der rechtzeitigen Leistung entziehen […]. Die Besorgnis der Leistungsverweigerung kann sich auf einen bedingten Anspruch beziehen, sofern abgesehen vom Eintritt der Bedingung die Verpflichtung des Schuldners zur Erbringung der künftigen Leistung in ihrem Bestand gewiss ist. § 259 ZPO ermöglicht aber nicht die Verfolgung eines erst in der Zukunft entstehenden Anspruchs. Er setzt vielmehr voraus, dass der geltend gemachte Anspruch bereits entstanden ist […].

Diese Vorrausetzungen sind nicht erfüllt.

a) Die von der Klägerin geltend gemachten künftigen Ansprüche waren im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz noch nicht entstanden. Vergütungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis entstehen erst mit Erbringung der Arbeitsleistung, weil der Vertrag durch Kündigung beendet werden kann oder der Arbeitnehmer die ihm obliegende Leistung, ohne Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen ein Anspruch auf Vergütung ohne Arbeitsleistung gegeben wäre, verweigern kann […].

Der Abschluss des Arbeitsvertrags reicht für die Entstehung des Anspruchs nicht aus […]. Dies gilt unabhängig davon, ob als Voraussetzung für den künftigen Anspruch auf Arbeitsentgelt die Arbeitsleistung zu erbringen wäre oder ob künftig aus sonstigem Rechtsgrund Arbeitsentgelt ohne Arbeitsleistung beansprucht werden könnte […]. Auch im letztgenannten Fall entsteht der Anspruch erst, wenn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.

b) Es ist überdies zu berücksichtigen, dass § 259 ZPO die Besorgnis der Leistungsverweigerung zum Fälligkeitstermin voraussetzt. Auch hieran fehlt es vorliegend. Auch hieran fehlt es vorliegend. Denn allein das Bestreiten der vom Arbeitnehmer beanspruchten Forderungen durch den Arbeitgeber reicht hierfür nicht aus […]. Nur weil der Arbeitgeber - wie hier - aufgrund (vertretbarer) Auslegung des Tarifvertrags bisher Zahlungen ablehnte, kann nicht davon ausgegangen werden, er werde sich, trotz einer Verurteilung zur Zahlung bereits fälliger Forderungen, künftig der rechtzeitigen Leistung entziehen.“

Anmerkung

Schade ist zunächst, dass der Senat die Sache angesichts der abweichenden Rechtsprechung anderer Senate (s.o.) nicht gem. § 45 ArbGG dem großen Senat vorgelegt hat. Der 5. Senat begründet seine Nichtvorlage damit, die anderen Senate hätten nicht „tragend auf die Frage der Anspruchsentstehung“ abgestellt.

Überzeugend finde ich die Argumentation des BAG auch in der Sache nicht. Hinsichtlich der Argumentation unter b) schon deshalb, weil die dort vorgenommene Differenzierung (vertretbare Auslegung?) kaum geeignet ist, Rechtssicherheit zu schaffen.

Aber auch die Argumentation unter a), die Ansprüche seien mangels erbrachter Arbeitsleistung noch nicht entstanden, überzeugt nicht. Denn ob der Anspruch von einer Gegenleistung abhängig ist, ist nach der Systematik der ZPO lediglich im Rahmen von § 258 ZPO zu prüfen. Der 5. Senat des BAG liest mit seiner Auslegung aber die Voraussetzungen von § 258 mit in § 259 ZPO herein, so dass § 259 ZPO faktisch leerliefe. § 259 ZPO setzt schon nach seinem Wortlaut aber einen Anwendungsbereich von § 259 ZPO auch bei wiederkehrenden Leistungen voraus. Sonst wäre die dortige Bezugnahme auf § 258 ZPO sinnlos. Die Auslegung des 5. Senats ist daher mit Wortlaut und Systematik nicht überzeugend in Einklang zu bringen. Im Übrigen wären damit z.B. auch Klagen auf künftige Zahlung von Miete nicht mehr zulässig (anders aber zu Recht z.B. BGH, Urteil v. 04.05.2011 − VIII ZR 146/10, Rn. 15).

Anmerkung/Besprechung, BAG, Urteil vom 22.10.2014 - 5 AZR 731/12.

Foto: TomKidd, Bundesarbeitsgericht, CC BY-SA 3.0