Beweisantritt bei Vieraugengespräch - Muss beweisbelastete Partei Gegenzeugen benennen?

Der „richtige“ Beweisantritt bei sog. Vieraugengesprächen, bei denen nur die Gegenpartei vertreten wurde und deshalb auch nur die Gegenpartei einen Zeugen benennen kann, dürfte zu den absoluten „ZPO-Klassikern“ gehören.

Mit diesem Thema befasst sich auch ein bemerkenswertes Urteil des Landgerichts Kleve vom 26.05.2015 – 4 O 391/13, das von der beweisbelasteten Partei verlangt, vorrangig den „Gegenzeugen“ zu benennen, bevor eine Parteianhörung bzw. -Vernehmung in Betracht komme.

Sachverhalt

Der Kläger begehrte von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Kapitalanlage und behauptete, von dem Mitarbeiter der Beklagten, dem „Bankmitarbeiter L“ bei dem Erwerb falsch beraten worden zu sein. Zum Beweis der Falschberatung hatte er – wie üblich – seine Anhörung (§ 141 ZPO) sowie seine Vernehmung als Partei (§ 448 ZPO) angeboten.

Im konkreten Fall stellt sich wie beispielsweise in Kapitalanlagefällen oder Arzthaftungsfällen häufig das Problem, dass eine der Parteien bei dem streitigen Gespräch vertreten wurde (durch den Bankmitarbeiter oder den Arzt), die andere Partei aber persönlich teilgenommen hat. Eine der Parteien kann für ihre Version des streitigen Gesprächsinhalts dann den Vertreter als (Bankmitarbeiter oder den Arzt) als Zeugen benennen. Der anderen Partei steht kein Beweismittel außer ihrer eigenen Aussage zur Verfügung, sie befindet sich in „Beweisnot“.

Um zwischen den Parteien „Waffengleichheit“ herzustellen, ist es nach ständiger Rechtsprechung des BGH (in der Folge einer Entscheidung des EGMR) in derartigen Fällen i.d.R. geboten, die Partei gem. § 141 ZPO anzuhören oder sogar gem. § 448 ZPO von Amts wegen zu vernehmen. Nur dann kann sich das Gericht ein umfassendes Bild vom Inhalt des Gesprächs verschaffen. Auch auf den Inhalt der Anhörung, erst Recht auf den Inhalt der Parteivernehmung kann das Gericht dann im Rahmen der Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) seine Überzeugung stützen.

Die einzelnen möglichen Konstellationen und das richtige Vorgehen des Gerichts lässt sich einem sehr lesenswerten Aufsatz von Greger, MDR 2014, 313 ff. entnehmen. Die dort genannte Vereidigung ist alledings – jedenfalls in Norddeutschland – sehr unüblich.

Entscheidung

Das LG hat die Klage u.a. deshalb abgewiesen, weil der Kläger den Beratungsfehler nicht ordnungsgemäß unter Beweis gestellt habe:

„Der Kläger hat nur seine eigene informatorische Anhörung nach § 141 ZPO bzw. seine eigene Vernehmung als Partei als Beweis angeboten. Die Vernehmung des Klägers als Partei gemäß § 447 ZPO kommt nicht in Betracht, weil die Beklagte dem widersprochen hat.

Das Angebot der eigenen Anhörung/Vernehmung nach § 141 ZPO/§ 448 ZPO ist auch unter Berücksichtigung der "Vieraugengespräch-Rechtsprechung" kein hinreichender Beweisantritt. Diese bestimmt lediglich, dass zum Zwecke der prozessualen Waffengleichheit und um einen lauteren Prozess und wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten, der Partei eines Vieraugengesprächs Gelegenheit gegeben wird, ihre Darstellung des Gesprächs in den Prozess persönlich einzubringen und gemäß § 448 ZPO zu vernehmen oder gemäß § 141 ZPO persönlich anzuhören ist, wenn der Zeuge dem „Lager der Gegenpartei“ angehört […].

Diese Rechtsprechung soll lediglich eine konventionsfreundliche Auslegung der zivilprozessualen Vorschriften gewährleisten, die Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht verletzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 27.10.1993 ausdrücklich ausgeführt, dass er nicht dazu berufen ist, allgemein zu entscheiden, ob es zulässig ist, die Zeugenaussage einer Partei gesetzlich auszuschließen (EGMR NJW 1995, 1413, Rn. 31), sondern lediglich prüfe, ob die konkrete Handhabung der Pflicht eines lauteren Verfahrens durch eine lautere Anhörung zum Zwecke der prozessualen Waffengleichheit genüge (EGMR NJW 1995, 1413, Rn. 32/33). Demgemäß besteht für die Gerichte nur die Pflicht, die Partei ebenfalls anzuhören und nicht nur den „im Lager der Gegenseite“ stehenden Zeugen.

Dies enthebt die Partei aber nicht, überhaupt einen ordnungsgemäßen Beweis im Sinne der ZPO anzutreten. Damit hätte der Kläger den Bankberater L als Zeugen benennen müssen. Diesen als Zeugen zu benennen, ist ihm nicht unzumutbar, auch wenn der Zeuge L Mitarbeiter der Beklagten ist. Es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass ein Bankangestellter von Vornherein geneigt sein könnte, einen falschen Sachverhalt zur eigenen Rechtfertigung und zum Nachteil eines Kunden zu konstruieren […]. Es gibt überdies keine Beweisregel, dass in derartigen Konstellationen den Bekundungen der Partei stets der Vorrang einzuräumen wäre […].“

Anmerkung

Die beweisbelastete Partei darauf zu verweisen, sich zum Beweis der ihr günstigen Tatsache auf einen offensichtlich im Lager der Gegenpartei stehenden Zeugen zu berufen und damit tendenziell die Erfolgschancen der Gegenseite zu erhöhen, dürfte mit dem Gedanken eines „fairen Prozesses“ nur entfernt zu tun haben. Ein solches Erfordernis lässt sich auch der herrschenden Ansicht in der Literatur und der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung nicht entnehmen (ausdrücklich OLG Frankfurt, Urteil v. 10.10.2012 – 19 U 235/11; Urteil v. 30.12.2011 - 19 U 1/11; Greger, MDR 2014, 313, 315; Dölling, NJW 2013, 3121, 2127; Lange, NJW 2002, 476, 482; vgl. auch BGH, Urteil v. 14.05.2013 – VI ZR 325/11; Urteil v. 27.09.2005, XI ZR 216/04; Beschluss v. 30.09.2004 – III ZR 369/03; anders aber OLG Saarbrücken, Beschluss v. 25.06.2007 – 8 W 118/07).

Vom LG nicht thematisiert wird die davon zu trennende und vorgelagerte Frage, ob diese „Vier-Augen-Rechtsprechung“ überhaupt anwendbar ist, wenn der beweisbelasteten Partei kein Zeuge zur Verfügung steht. Das wird teilweise unter Berufung auf die Konstellation der ursprünglichen EGMR-Entscheidung abgelehnt (s. nur OLG Frankfurt, Urteil v. 20.04.2011 - 17 U 128/10 und KG, Urteil v. 09.02.2009 - 10 U 145/08). Auch diese Ansicht findet aber in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof keine Stütze, vielmehr wendet dieser die „Vier-Augen-Rechtsprechung“ auch an, wenn der beweisbelasteten Partei außer ihrer selbst kein Beweismittel zur Verfügung steht (s. dazu die Nachweise oben).

Wie Anwälte und Gericht in solchen Konstellationen am besten vorgehen, lässt sich übrigens dem schon zitierten, ganz hervorragenden und instruktiven Beitrag von Prof. Dr. Reinhard Greger in der MDR 2014, 313 ff. nachlesen.

Anmerkung/Besprechung, LG Kleve, Urteil vom 26.05.2015 – 4 O 391/13. Foto: Johannes Otto Först | wikimedia.org | gemeinfrei