BGH zur Antragstellung bei Kombination aus Fristbestimmungs- (§ 255 ZPO) und Schadenersatzantrag

Will die klagende Partei einen Herausgabeanspruch geltend machen, sind die Erfolgsaussichten einer Herausgabevollstreckung aber ungewiss, ist es i.d.R. ratsam, den Herausgabeantrag mit Fristsetzungsantrag gem. § 255 Abs. 1 ZPO und einem Schadensersatzanspruch zu verbinden, der durch die Nichterfüllung innerhalb der gesetzten Frist bedingt ist. Dass in einem solchen Fall bei der Antragstellung besondere Vorsicht geboten ist, zeigt ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs vom 09.11.2017 – IX ZR 305/16.
Sachverhalt
Die Klägerin wendet sich mit der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) gegen die Vollstreckung aus einem landgerichtlichen Versäumnisurteil. Im Vorprozess hatten die Parteien über das Eigentum an einem Chorarchiv gestritten, an dem beide Parteien ein erhebliches immaterielles Interesse hatten. Das Landgericht verurteilte die Klägerin antragsgemäß, das Chorarchiv an den Beklagten herauszugeben, setzte der Klägerin dafür eine Frist von vier Wochen ab Rechtskraft des Urteils und verurteilte die Klägerin weiterhin für den Fall, dass die Frist ohne Erfüllung des Herausgabeanspruchs ablaufen sollte, an den Beklagten Schadensersatz in Höhe von 10.000 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Die Kläger gab das Chorarchiv aber nicht heraus, sondern wartete den Fristablauf ab und zahlte dann 10.000 EUR an den Beklagten. Der Beklagte überwies den Betrag jedoch zurück und betrieb aus dem Herausgabetitel die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin.

Der Beklagte hatte hier im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 260 ZPO) drei Klageanträge geltend gemacht: 1. auf Herausgabe, 2. auf Fristsetzung und 3. auf Zahlung von Schadensersatz, sollte der Herausgabeanspruch nicht innerhalb der Frist erfüllt werden. Dieses Vorgehen war prozessual zulässig:
  • Die Zulässigkeit des zweiten Klageantrages (Fristsetzung) ergab sich aus § 255 Abs. 1 ZPO. Dieser setzt eine materiell-rechtliche Befugnis des Klägers zur Fristsetzung voraus, die sich hier aus §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB ergab. (Der ähnlich lautende § 510b ZPO war hier schon nicht anwendbar, weil das Verfahren nicht am Amtsgericht anhängig war, erfasst aber ohnehin auch keine Herausgabeansprüche.)
  • Die Zulässigkeit des dritten Klageantrags (Zahlung) ergab sich aus § 259 ZPO. Zwar war dieser Antrag auf eine zukünftige Leistung gerichtet, so dass dieser nur zulässig war, wenn die „Besorgnis gerechtfertigt“ war, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen würde. Da die Klägerin das Eigentum des Beklagten bestritt und die Herausgabe verweigerte, war davon auszugehen.

Der Antrag zu 3 ist dabei gleich zweifach (innerprozessual) bedingt: Dadurch, dass der Hauptantrag Erfolg hatte (sog. unechter Hilfsantrag) und dadurch, dass die Frist ergebnislos abgelaufen war.

Nach Rechtskraft des Versäumnisurteils und Ablauf der gesetzten Frist zahlte die damalige Beklagte den geschuldeten Betrag, weil sie wohl dachte, dass sich der Streit mit der Zahlung erledigt hätte und sie das Archiv behalten dürfte. Allerdings vollstreckte der damalige Kläger trotzdem aus dem Herausgabetenor des Urteils. Dagegen wendete sich die Verurteilte mit der Vollstreckungsgegenklage, im Rahmen derer sie sich auf § 281 Abs. 4 BGB berief, wonach der Leistungsanspruch (Herausgabe) ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger sein ihm nach Ablauf der Frist zustehendes Wahlrecht ausgeübt und Schadensersatz verlangt hat. Fraglich war deshalb hier, wie der Titel zu verstehen war: Sollte der Herausgabeanspruch unmittelbar mit Ablauf der gem. § 255 ZPO gesetzten Frist ausgeschlossen sein und gem. § 281 Abs. 4 BGB in einen Schadensersatzanspruch übergehen? Oder sollte der Übergang davon abhängen, dass der Beklagte den Schadensersatzanspruch noch gesondert geltend macht?
Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hat der Klage – ebenso wie das Berufungsgericht – stattgegeben, weil der Anspruch des Beklagten auf Herausgabe des Chorarchivs aus § 985 BGB nach § 281 Abs. 4 BGB ausgeschlossen sei. Der Senat macht zunächst einen großen Schlenker durch das alte Schuldrecht und erläutert § 283 ZPO a.F., um sich schließlich dem „neuen Recht“ zuzuwenden:

„[Der Gläubiger erhält] mit dem Eintritt der Voraussetzungen gemäß § 281 Abs. 1 bis 3 BGB (…) die Befugnis, Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen. Er hat nach Fristablauf die Wahl, vom Schuldner entweder die Primärleistung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen (BGH, Urteil vom 20. Januar 2006 - V ZR 124/05, NJW 2006, 1198 Rn. 17: „sog. elektive Konkurrenz“; vgl. Gsell, JZ 2004, 110, 116; Gruber/Lösche, NJW 2007, 2815, 2817).

Erst mit der Erklärung des Schadensersatzverlangens ist der Anspruch auf die Primärleistung nach § 281 Abs. 4 BGB ausgeschlossen.“

Der Gläubiger könne sich dieses Wahlrecht zwischen Herausgabeverlangen und Schadensersatzerlangen erhalten, wenn er seine Herausgabeklage mit der Klage auf Schadensersatz statt der Leistung verbinde:

„(1) Wenn der Gläubiger Leistungs- und Schadensersatzklage verbindet, ist der Schadensersatzantrag einmal dadurch bedingt, dass der Gläubiger mit seinem Herausgabeantrag Erfolg hat, und weiter dadurch, dass der Schuldner den Gegenstand nicht innerhalb der richterlich gesetzten Frist herausgibt (…).

In der Literatur wird die Frage aufgeworfen, ob die Verurteilung zum Schadensersatz zusätzlich davon abhängig gemacht werden kann, dass der Gläubiger den Schadensersatzanspruch künftig erst geltend macht (…).

(2) Diese Frage ist zu bejahen. Durch die Zulassung eines solchen prozessualen Vorgehens wird die in §§ 280, 281 BGB enthaltene materielle Rechtslage in das Vollstreckungsverfahren übertragen (…). Es wird gewährleistet, dass der Gläubiger auch in der Vollstreckung auf seinem materiellen Recht auf Primärleistung bestehen kann, ohne deswegen den Schadensersatzprozess in eine ungewisse Zukunft verschieben zu müssen (…)“.

Hier habe sich der Beklagte das Wahlrecht nicht erhalten:

„Vielmehr hat der Beklagte schon durch seine Antragstellung, die Klägerin zur Herausgabe und zu Schadensersatz statt der Leistung nach fruchtlosem Ablauf einer ihr gesetzten Frist zu verurteilen, sein Schadensersatzverlangen – bedingt durch den fruchtlosen Ablauf der Frist – erklärt, so dass mit dem Eintritt der Bedingung des Fristablaufs die Geltendmachung des Herausgabeanspruchs ausgeschlossen ist (§ 281 Abs. 4 BGB). Der Vollstreckungstitel folgt diesen Vorgaben (…) und macht den Schadensersatztitel (…) allein vom fruchtlosen Fristablauf abhängig. (…)

Wenn der Gläubiger im Fall der Klagehäufung neben Herausgabe und Fristsetzung zusätzlich Schadensersatz statt der Leistung begehrt, muss er durch die Art der Antragstellung oder durch Erklärungen im Schriftsatz deutlich machen, ob in seinem Klagebegehren bereits das bedingte Schadensersatzverlangen liegt oder ob er sich das Wahlrecht erhalten möchte. Diese Klarstellung kann dadurch erfolgen, dass er entweder im Antrag erklärt, für den Fall des fruchtlosen Ablaufs der Frist die Primärleistung abzulehnen (…), oder er den Schadensersatzantrag unter die weitere Bedingung eines nach Fristablauf erklärten Schadensersatzverlangens stellt.

Schon aus Gründen des Schuldnerschutzes ist es erforderlich, dass im Urteil die Bedingung des künftigen Schadenersatzverlangens für den Schadensersatzausspruch aufgenommen wird (vgl. oben unter II. 1. b, bb, (2) aE). Darauf hat der Gläubiger durch entsprechende Antragstellung hinzuwirken.

Unterlässt er dies, ist in dem nur unter die Bedingung des fruchtlosen Fristablaufs gestellten Schadensersatzantrag ein entsprechendes bedingtes Schadensersatzverlangen zu sehen.

Anmerkung Die Entscheidung ist sowohl für die Praxis als auch für die Ausbildung von erheblicher Bedeutung: Für die Ausbildung im Referendariat ist die Entscheidung eine gute Gelegenheit, §§ 255, 259 und 260 ZPO zu wiederholen. Außerdem ist aufgrund der Verschränkung materiell-rechtlicher (insbesondere Anwendbarkeit von § 281 BGB auf den Anspruch aus § 985 BGB, s. dazu BGH, Urteil vom 18. März 2016 - V ZR 89/15) und prozessrechtlicher (hinzu kommt ja ggf. noch § 767 ZPO) Probleme durchaus damit zu rechnen, dass die Entscheidung dem einen oder anderen Prüfungsamt als Anregung für eine Klausur dienen wird, wenn auch vielleicht in „entschärfter“ Form. Die gesamte Problematik wird übrigens auch im Anders/Gehle, Abschnitt L, Rn. 3 ff. sehr gut dargestellt. Für die Praxis ergibt sich aus der Entscheidung, dass bei der Abfassung einer Klage mit Fristsetzungsantrag gem. § 255 Abs. 1 ZPO besondere Sorgfalt auf die Formulierung der Anträge zu legen ist. Soll der Herausgabeanspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB nicht sofort mit Fristablauf erlöschen, sondern will der Kläger sich die Wahl zwischen Herausgabe- und Zahlungsvollstreckung vorbehalten. Im Klageantrag zu 3 ist dann klarzustellen, dass der Anspruch vom Ablauf der gesetzten Frist und von einer Geltendmachung durch den Kläger abhängt. Ein solcher Antrag könnte beispielsweise lauten:
„3. den Beklagten für den Fall, dass die Herausgabe nicht fristgerecht erfolgt und der Kläger Schadensersatz verlangt (§ 281 Abs. 4 BGB), an den Kläger einen Betrag in Höhe von … nebst Zinsen ab dem auf die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs folgenden Tag zu zahlen.“
tl;dr: Wird einem Schuldner zugleich mit der Verurteilung zur Herausgabe einer Sache eine Frist gesetzt und er für den Fall der Nichterfüllung zum Schadensersatz verurteilt, erlischt das Wahlrecht des Gläubigers zwischen Herausgabeverlangen und Schadensersatzverlangen grundsätzlich mit Ablauf der gesetzten Frist. Der Gläubiger kann sich das Wahlrecht nur erhalten, wenn sich aus dem Urteil ausdrücklich ergibt, dass die Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz unter der weiteren aufschiebenden Bedingung eines künftigen Schadensersatzverlangens des Gläubigers steht. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 09.11.2017 – 305/16. Foto: Andreas Praefcke, | Karlsruhe BGH Eingangsbereich | CC BY 3.0