BGH zur Aussetzung wegen des Verdachts einer Straftat (§ 149 ZPO)
Entscheidung
Auch der Bundesgerichtshof hat den Aussetzungsbeschluss für rechtmäßig gehalten:„1. Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass das Vorliegen des Aussetzungsgrundes uneingeschränkt zu überprüfen ist (…). Ebenso zutreffend geht es davon aus, dass ein solcher gegeben ist.
a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden ermöglicht § 149 Abs. 1 ZPO die Aussetzung eines Zivilverfahrens auch dann, wenn bereits vor dem Zivilverfahren an anderer Stelle der Verdacht einer Straftat besteht und im Hinblick auf diesen ausgesetzt werden soll (…).
aa) Der Wortlaut der Norm, wonach das Gericht, wenn sich „im Laufe eines Rechtsstreits“ der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen kann, steht dem nicht entgegen. Denn die Norm richtet sich an das Zivilgericht und ermächtigt es, nach eigenständiger Prüfung das Verfahren unter den näher beschriebenen Voraussetzungen auszusetzen. Die Wendung „im Laufe des Rechtsstreits“ ist im Kontext mit dem Adressaten der Norm daher so zu verstehen, dass es auf den – naturgemäß erst nach Beginn des Zivilverfahrens – entstehenden Verdacht des mit der Sache befassten Zivilgerichts ankommt (…).
bb) Dies entspricht auch Sinn und Zweck des Gesetzes. Denn der Normzweck besteht darin, es dem Zivilgericht zu ermöglichen, die Ermittlungen und den Ausgang eines Strafverfahrens abzuwarten, um abweichende Entscheidungen und nicht prozessökonomische Mehrarbeit zu vermeiden (…). Diese Gesichtspunkte greifen aber unabhängig davon Platz, ob der Verdacht einer Straftat vor oder erst nach Beginn eines Zivilrechtsstreits entsteht.
b) Soweit die Rechtsbeschwerden die auf einen Beschluss des OLG Celle (NJW 1969, 280) gestützte Ansicht vertreten, ein Aussetzungsgrund bestehe nicht, wenn es sich in Straf- und Zivilverfahren um denselben Sachverhalt handele, ist dem nicht zu folgen.
Die Auffassung wird damit begründet, die Ermittlung der strafbaren Handlung sei nicht von Einfluss auf das Zivilverfahren, weil das Zivilgericht die Ergebnisse des Strafverfahrens nicht ohne weiteres verwerten dürfe. Die von den Rechtsbeschwerden damit unterstellte völlige Unabhängigkeit von Zivil- und Strafverfahren besteht jedoch so nicht (…). Das Gesetz geht davon aus, dass die Ermittlungen im Strafverfahren auf die Entscheidung des Zivilrechtsstreits von Einfluss sein können.
Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften der §§ 149 , 411a , 581 ZPO bewusst weitere Verzahnungen zwischen den Verfahren geschaffen. Gerade mit dem 2006 ergänzten § 411a ZPO sollen Ergebnisse des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens in Form von Sachverständigengutachten im Zivilverfahren verwertet werden können (BT-Drucks. 16/3038, S. 38 reSp). Daher ist bei Sachverhaltsidentität eine Aussetzung nicht unzulässig, sondern regelmäßig geboten (…). Die behauptete Straftat im Sinne des § 149 Abs. 1 ZPO kann zugleich Grundlage des zivilrechtlichen Anspruchs sein (…).
2. Ohne Erfolg wenden sich die Rechtsbeschwerden auch gegen die Ermessensausübung des Beschwerdegerichts, das gewichtige Gründe im Sinne des § 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO für gegeben erachtet und damit eine (erstmalige) Aussetzung des Verfahrens für zulässig gehalten hat, selbst wenn das Strafverfahren voraussichtlich länger als ein Jahr dauern wird.
Die Rechtsbeschwerden selbst ziehen nicht in Zweifel, dass die Aussetzung der Verhandlung auch bei voraussichtlich mehr als einjähriger Strafverfahrensdauer jedenfalls dann zulässig ist, wenn hierfür absehbar gewichtige Gründe vorliegen. Sie wenden sich allein gegen die Würdigung des Beschwerdegerichts, gewichtige Gründe lägen vor. Die entsprechende Beurteilung des Beschwerdegerichts ist jedoch nicht zu beanstanden.
Das Beschwerdegericht hat sich mit der Komplexität des möglichen Tatgeschehens, der fehlenden unmittelbaren Wahrnehmung eines möglichen Tatgeschehens durch den Kläger, der Frage der laufenden Verjährungsfrist, ohne dass der Kläger Einfluss auf das Ermittlungs- oder Strafverfahren nehmen könnte, sowie der dem Kläger im Interesse des Staates nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO verweigerten Akteneinsicht auseinandergesetzt und diese in seine Gesamtschau eingestellt. (…)
3. Soweit die Rechtsbeschwerden schließlich meinen, der Kläger übe – für das Gericht im Sinne der Ausübung seiner Dispositionsmaxime bindend – sein Wahlrecht aus, ob er sich im Wege des Adhäsionsverfahrens (§ 403 StPO) am Strafverfahren beteilige oder ein Zivilverfahren anstrenge, und daraus ableiten wollen, dass im Rahmen der ausgeübten Auswahl eines Zivilverfahrens ein „Rückgriff“ auf das Strafverfahren nach § 149 ZPO ausgeschlossen sei, ist ihnen auch hierin nicht zu folgen.
Es liegt in der Hand der Parteien, ein Zivilverfahren anzustrengen und zu führen. Normadressat des § 149 Abs. 1 ZPO ist aber das Zivilgericht. Die prozessleitende Ermessensentscheidung des Zivilgerichts kann – entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerden – im Interesse von Prozessökonomie und einheitlichen Prozessergebnissen durchaus dazu führen, dass der Wille der Parteien, ein Verfahren fortzusetzen, in zeitlich begrenztem Umfang suspendiert wird. Der 2001 eingefügte Absatz 2 der Vorschrift gibt den Parteien nach Ablauf der Jahresfrist die Möglichkeit, mit einem Fortsetzungsantrag das Zivilgericht zur Verfahrensförderung anzuhalten (vgl. BT-Drucks. 14/6036, S. 121 liSp), sofern nicht gewichtige Gründe für den Fortbestand der Aussetzung streiten.“
Anmerkung
Das ist in der Sache nicht wirklich etwas Neues – dass die Argumentation mit der Formulierung „im Laufe eines Rechtsstreits … ergibt“ etwas spitzfindig war, wird den Beklagten wohl selbst klar gewesen sein. Der Entscheidung lässt sich aber m.E. relativ deutlich entnehmen, womit sich das Gericht im Rahmen seiner Ermessensausübung gem. § 149 ZPO auseinandersetzen muss (und was folglich in die Begründung eines Aussetzungsantrags gehört), insbesondere wenn das Strafverfahren voraussichtlich länger als ein Jahr dauern wird:- die Komplexität des (möglichen) Tatgeschehens und damit der Umfang der zu erwartenden Beweisaufnahme,
- eine fehlende unmittelbare Wahrnehmung des (möglichen) Tatgeschehens durch die klagende Partei,
- das Interesse an einer Unterbrechung der laufenden Verjährungsfrist,
- eine ggf. gem. § 406e Abs. 2 StPO verweigerte Akteneinsicht.