Was begründet „Zweifel“ i.S.v. § 529 Abs. 1 ZPO?
Entscheidung
Und das hat – wenig überraschend – den VII. Zivilsenat nicht überzeugt:„Mit (seiner) Begründung hat das Berufungsgericht (…) den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, da es die Ausführungen der Klägerin in der Berufungsbegründung zur Beweiswürdigung des Landgerichts nur eingeschränkt in die Bewertung der Erfolgsaussichten der Berufung einbezogen hat.
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Berücksichtigt das Berufungsgericht den Vortrag in der Berufungsbegründung aus rechtlichen Erwägungen nur eingeschränkt, verstößt dies gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn die rechtlichen Überlegungen des Berufungsgerichtes im Prozessrecht keine Stütze finden.
b) So liegt es hier. Die Klägerin hat mit ihrer Berufungsbegründung dargelegt, welche Umstände die Beweiswürdigung des Landgerichtes in Frage stellen und deshalb beantragt, das landgerichtliche Urteil abzuändern und der Klage stattzugeben. Diesen Vortrag hat das Berufungsgericht tragend nur unter dem Gesichtspunkt in seine Erwägungen einbezogen, ob damit Rechtsfehler in der Beweiswürdigung des Landgerichtes zutreffend gerügt sind. Damit hat das Berufungsgericht den Prüfungsmaßstab von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundlegend verkannt und die nach dem Gesetz erforderliche eigene Beweiswürdigung unter Einbeziehung der Argumente der Berufungsbegründung unterlassen.
aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Diese Bindung entfällt aber, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO).
Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Derartige konkrete Anhaltspunkte können sich unter anderem aus dem Vortrag der Parteien, vorbehaltlich der Anwendung von Präklusionsvorschriften auch aus dem Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz ergeben. Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (…). Bei der Berufungsinstanz handelt es sich daher um eine zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls besteht (…). Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen (…).
bb) Diesen Prüfungsmaßstab hat das Berufungsgericht grundlegend verkannt. Das Berufungsgericht hat in seinem die Berufung zurückweisenden Beschluss (…) die mit der Berufungsbegründung von der Klägerin gegen die Beweiswürdigung vorgetragenen Erwägungen tragend nur unter dem Ansatz geprüft, ob dem Landgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das Berufungsgericht hat mehrfach ausgeführt, die Berufungsbegründung „ersetze … nur die gerichtliche Überzeugungsbildung durch ihre eigene“. Das könne aber einen Rechtsfehler nicht begründen. Zwar hat das Berufungsgericht im Beschluss über die Zurückweisung der Berufung auf Seite 3 unten ausgeführt, die Argumentation der Klägerin überzeuge nicht. Auf Seite 4 des Beschlusses über die Zurückweisung der Berufung führt das Berufungsgericht aber sodann aus, es sei jedenfalls „nicht rechtsfehlerhaft“, wenn das Landgericht gleichwohl zu dem Ergebnis seiner Beweiswürdigung gekommen sei.“