Hemmung der Verjährung auch bei unwirksamer öffentlicher Zustellung?

Die öffentliche Zustellungen einer Klageschrift ist in der Praxis nicht ohne Risiko. Denn eine öffentliche Zustellung wegen unbekannten Aufenthalts der Person (§ 185 Nr. 1 ZPO) darf nur erfolgen, wenn zuvor alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden. Daran werden in der obergerichtlichen Rechtsprechung hohe Anforderungen gestellt. Wird eine Klageschrift öffentlich zugestellt, ohne dass diese Anforderungen erfüllt sind, hemmt die Zustellung die Verjährung nicht (s. nur jüngst BGH, Urteil v. 03.05.2016 – II ZR 311/14). Dass letzteres aber nicht uneingeschränkt gilt, hat der BGH in einem aktuellen Urteil vom 08.12.2016 – III ZR 89/15 klargestellt.
Sachverhalt
Die Klägerin verlangte vom Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung. Im Vorfeld der Klageerhebung zeigte eine Anwaltskanzlei an, dass sie den Beklagten vertrete und bat, weitere Korrespondenz über die Kanzlei zu führen. Außerdem erklärte die Kanzlei, sie sei im Falle einer Klageerhebung zustellungsbevollmächtigt. Die in der Folge bei Gericht eingegangene Klageschrift, der das Anwaltsschreiben beigefügt war, konnte dem Beklagten unter zwei von der Klägerin angegebenen Anschriften nicht zugestellt werden. Der Klägervertreter beantragte sodann unter Vorlage zweier Mitteilungen des Einwohnermeldeamts, die Klageschrift öffentlich zuzustellen. Dem kam das Gericht nach. Der Beklagte wurde nach Zustellung der Klageschrift durch Versäumnisurteil antragsgemäß verurteilt. Erst im Laufe des Kostenfestsetzungsverfahrens mehrere Jahre später erfuhr der Beklagte von dem Versäumnisurteil und legte gegen dieses Einspruch ein. Das Landgericht hob das Versäumnisurteil auf und wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht wies die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurück. Beide Vorinstanzen begründeten ihre Entscheidungen damit, dass die öffentliche Zustellung unwirksam gewesen sei und die Verjährung der Klageforderung deshalb nicht gehemmt habe.

Ist der Aufenthaltsort der beklagten Partei nicht bekannt, kommt eine Zustellung nach den §§ 170 ff. ZPO nicht in Betracht. Gleichzeitig kann es aber nicht richtig sein, dass eine Partei untertaucht und der klagenden Partei dadurch die Möglichkeit nimmt, Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Deshalb sieht § 185 ZPO vor, dass eine Klage öffentlich zugestellt werden kann; gem. § 185 Nr. 1 ZPO beispielsweise dann, wenn „der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist“. Diese Voraussetzungen waren hier aber offenkundig nicht gegeben, denn das Gericht hätte ja an den Anwalt des Beklagten zustellen können (§ 172 ZPO). Da die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung nicht vorlagen, war diese unwirksam. Und da die Zustellung unwirksam war, konnte sie grundsätzlich auch nicht gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verjährung des Anspruchs hemmen. Deswegen hatten die Vorinstanzen das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Verjährung abgewiesen.
Entscheidung
Der BGH schließt sich zunächst der Auffassung der Vorinstanzen an, wonach die öffentliche Zustellung unwirksam gewesen sei:

„[D]as Berufungsgericht [hat] mit Recht angenommen, dass die vorgenommene öffentliche Zustellung der Klageschrift unwirksam gewesen ist, weil unabhängig von der Frage, ob der Aufenthaltsort des Beklagten bekannt gewesen ist, eine Zustellung an die Rechtsanwaltssozietät […] hätte erfolgen […] können.

Eine Zustellung an diese Kanzlei wäre gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 171 ZPO möglich gewesen; denn der damalige anwaltliche Vertreter des Beklagten hatte […] mitgeteilt, seine Rechtsanwaltskanzlei könne für ein Klageverfahren als zustellungsbevollmächtigt angegeben werden […]. Daraus war entgegen der Auffassung der Revision zu entnehmen, dass dem eine entsprechende, wenn auch zwangsläufig noch allgemeine, Bevollmächtigung bereits zugrunde lag. Deshalb hätte die Klägerin dies bereits in der Klageschrift berücksichtigen, jedenfalls aber nach zweimaligem Fehlschlagen einer Zustellung an den Beklagten an diese Rechtsanwälte zustellen lassen können.

Angesichts dieser Umstände war für die Klägerin und auch das Landgericht erkennbar, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung noch nicht vorlagen und deshalb eine Hemmung der Verjährung nicht hat eintreten können.“

Daraus folge hier aber (ausnahmsweise) noch nicht, dass die geltend gemachten Ansprüche verjährt seien:

„Eine andere Beurteilung könnte sich jedoch nach dem Vortrag der Klägerin ergeben, wonach eine Zustellung an den damaligen Bevollmächtigten des Beklagten nicht möglich gewesen sei. Denn der seinerzeit zuständige Richter R. habe unmissverständlich erklärt, dies genüge nicht, weil er für die Zulässigkeit der Klage ebenfalls die Adresse des Beklagten benötige […].

Mit diesem, von dem Beklagten in Abrede gestellten und mit Beweisantritten versehenen Vorbringen der Klägerin hat sich das Berufungsgericht zu Unrecht nicht auseinandergesetzt.

a) Beruht die Unwirksamkeit einer Zustellung auf einer unrichtigen Sachbehandlung durch das Gericht, kann eine Hemmung der Verjährung wegen höherer Gewalt in Betracht kommen (vgl. § 206 BGB). Sie greift jedoch nur ein, wenn die verjährungshemmende Wirkung einer Zustellung infolge eines – für den Gläubiger unabwendbaren – gerichtlichen Fehlers nicht eintritt […].

Auch wenn der Klägerin die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung im Hinblick auf die Möglichkeit einer Zustellung an die Rechtsanwaltskanzlei erkennbar war, ist vorliegend von einer dementsprechenden Fallgestaltung auszugehen, wenn festgestellt wird, dass das Ausbleiben der Zustellung an den damaligen anwaltlichen Vertreter des Beklagten von der Klägerin nicht zu beeinflussen war und ihr keine mitwirkende Verantwortung für die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung anzulasten ist.

b) Die Berufung auf eine für sie unabwendbare Beantragung der öffentlichen Zustellung der Klageschrift aufgrund des Verhaltens des zuständigen Richters setzt aber voraus, dass die Klägerin ihrerseits alles ihr Zumutbare getan hat, um der behaupteten Auffassung des Richters zu entsprechen, trotz des Hinweises auf die Anwaltskanzlei eine zustellungsfähige Adresse des Beklagten herauszufinden. Dieses Erfordernis folgt daraus, dass es im Rahmen des § 185 Nr. 1 ZPO stets Sache der Partei ist, die durch die Zustellung begünstigt wird, alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anzustellen, um so eine wirksame Zustellung bewirken zu können, und ihre gegebenenfalls ergebnislosen Bemühungen im Einzelnen darzulegen. Dabei kann allerdings die Frage, ob der Aufenthaltsort des Beklagten allgemein unbekannt ist, nicht ohne Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten beantwortet werden […].

c) Zu einem möglichen Mitverantwortungsbeitrag der Klägerin in diesem Sinn und der danach maßgeblichen Frage, ob sie alle gebotenen Ermittlungsmöglichkeiten genutzt hat, um eine zustellungsfähige Adresse herauszufinden, hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – bislang keine Feststellungen getroffen. […]“

Anmerkung
An der Entscheidung zeigt sich noch einmal, wie hoch die Anforderungen an eine wirksame öffentliche Zustellung sind: Selbst die mangelnde Rechtskunde des Gerichts -  nach Ansicht des BGH ein Fall höherer Gewalt - entlastet die Partei nur, wenn sie wenigstens im Rahmen dessen alle zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat. Dass das OLG offensichtlich überhaupt keine „Bauchschmerzen“ hatte und die Berufung kurz und bündig nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen hat, ist übrigens einmal mehr keine besonders gelungene Werbung für diese Vorschrift. tl;dr: Auch eine unwirksame öffentliche Zustellung der Klageschrift kann die Verjährung hemmen, wenn die öffentliche Zustellung auf einer unrichtigen Sachbehandlung durch das Gericht beruht. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 09.12.2016 – III ZR 89/15. Foto: ComQuat | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0