BGH: Gerichtsstandsvereinbarung nach LugÜ/EuGVVO – Textform ausreichend

Das internationale Zivilprozessrecht kommt hier häufig etwas kurz, was vor allem daran liegt, dass Entscheidungen des BGH oder des EuGH dazu häufig sehr speziell sind (s. beispielsweise BGH, Urteil vom 09.02.2017 – IX ZR 67/16 zum Verbrauchergerichtsstand in Kapitalanlagesachen). Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15.01.2017 – VIII ZR 257/15 zu den Anforderungen an eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung dürfte hingegen nicht nur für die prozessuale, sondern auch für die rechtsgestaltende Praxis erhebliche Bedeutung haben.
Sachverhalt
Die in Deutschland wohnende Klägerin kaufte von der Beklagten, die in der Schweiz einen Pferdehandel betreibt, ein Pferd. In dem schriftlichen Kaufvertrag heißt es: „Gerichtsstand ist der Wohnsitz des Verkäufers.“ Beide Vertragsausfertigungen sind nur von der Klägerin unterschrieben. Das Pferd wurde der Klägerin bestimmungsgemäß von der Beklagten an ihren Wohnsitz geliefert. Wegen Mängeln des Pferdes trat die Klägerin schließlich vom Kaufvertrag zurück und nahm die Beklagte an dem für ihren Wohnsitz zuständigen Landgericht auf Rückabwicklung des Kaufvertrages in Anspruch. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage als unzulässig abgewiesen, da deutsche Gerichte nicht zuständig seien. [wpex more="Hintergrund" wpex less="Hintergrund"]

Die internationale Zuständigkeit zwischen den Mitgliedsstaaten der europäischen Union und der Schweiz richtet sich nach dem Lugano-Übereinkommen (das im Wesentlichen wortgleich ist mit der bis zum 14.01.2015 geltenden alten Fassung der praktisch deutlich wichtigeren EuGVVO [VO (EG) Nr. 44/2001] die wiederum mit im Wesentlichen wortgleich ist mit der aktuellen Fassung der EuGVVO [VO (EU) 1215/2012]).

Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten befand sich hier zwar in der Schweiz, Artt. 2, 3 LugÜ, weshalb die Schweizer Gerichte grundsätzlich zuständig waren. Gem. Art. 5 Abs. 1 LugÜ (Art. 7 Abs. 1 EuGVVO) waren aber (auch) die Gerichte am Wohnsitz der Klägerin zuständig, weil es um die Rückabwicklung eines Kaufvertrages ging und der Erfüllungsort der Pflichten aus einem Rückgewährschuldverhältnis der Belegenheitsort der Sache ist. Diesen besonderen Gerichtsstand konnten die Parteien hier aber abbedungen haben, wenn die Parteien eine den Anforderungen von Art. 23 LugÜ (Art. 25 EuGVVO) entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung getroffen hatten, die eine ausschließliche Zuständigkeit der schweizer Gerichte begründete.

Die Vorinstanzen hatten die internationale Zuständigkeit verneint und die Gerichtsstandsvereinbarung für wirksam gehalten. Dabei entsprach diese nicht der Schriftform i.S.d. § 126 BGB, weil sie nicht von beiden Parteien unterschrieben war. Das hatten die Vorinstanzen aber für unerheblich gehalten.

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Entscheidung
Dem hat sich der Kaufrechtssenat angeschlossen. Deutsche Gerichte seien zwar grundsätzlich gem. Art. 5 Nr.  lit. a) LugÜ zuständig, weil sich der Erfüllungsort am Wohnsitz der Klägerin befinde. Die Parteien hätten jedoch wirksam die Zuständigkeit schweizerischer Gerichte vereinbart. Der Senat wertet zunächst ausführlich die dazu im deutschsprachigen Schrifttum und in der Rechtsprechung der deutschen und europäischen Obergerichte vertretenen Ansichten aus und schließt sich dann der von den Vorinstanzen vertretenen Auffassung an:

„Der Senat sieht […] das in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 Buchst. a LugÜ geregelte Schriftformerfordernis im Streitfall ungeachtet der unterbliebenen Unterschrift der Beklagten unter den gemeinsam ausgehandelten Kaufvertrag vom 1. Mai 2011 der Parteien als gewahrt an.

(1) Ob eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 Abs. 1 LugÜ beziehungsweise Art. 25 Abs. 1 EuGVVO wirksam zustande gekommen ist, ist durch autonome Auslegung der in diesen Bestimmungen aufgeführten Merkmale ohne Berücksichtigung der Anforderungen und Begriffsverständnisse der einzelnen nationalen Rechte zu ermitteln […]

(2) Bei dem autonom aus dem hier anwendbaren Luganer Übereinkommen [...] zu bestimmenden Anforderungen an das im Streit stehende Schriftformerfordernis kann einerseits […] für die von Art. 23 Abs. 1 Satz 3 Buchst. a LugÜ geforderte Schriftlichkeit aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht auf eine textliche Fixierung der Gerichtsstandsvereinbarung verzichtet werden.

Andererseits werden aber die mit dem Schriftformerfordernis erstrebten Zwecke, nämlich den Umfang der Willenseinigung klarzustellen und durch deren textliche Fixierung die Vertragsparteien davor zu schützen, dass unbemerkt Gerichtsstandsklauseln in den Vertrag einfließen, mit denen sie nicht ohne Weiteres rechnen müssen […], schon dann erreicht, wenn die Identität der am Vertrag Beteiligten sowie die Authentizität und Echtheit ihrer in der Vertragsurkunde fixierten Erklärungen feststehen […].

Diesem Verständnis folgt im Übrigen unübersehbar auch die über die Fassung des Art. 17 EuGVÜ hinausgehende Erweiterung des nachfolgenden Art. 23 EuGVVO aF um die in dessen Absatz 2 aufgenommene Bestimmung, wonach elektronische Mitteilungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, der Schriftform gleichgestellt worden sind […].

Spätestens diese Gleichstellung belegt die Maßgeblichkeit der Textform, sofern die Vertragsparteien deren Inhalt hinreichend autorisiert haben. Ohnehin ging auch zuvor schon das Verständnis zum Schriftformerfordernis nach Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a EuGVÜ/LugÜ aF dahin, dass diesem sogar bei einer Übermittlung der Vertragserklärungen durch moderne Kommunikationsmittel, welche keine handschriftlichen Unterzeichnungen ermöglichen, genügt war [...].

(3) Bei diesem am Zweck der schriftlichen Fixierung einer Gerichtsstandsvereinbarung orientierten und nicht über Gebühr verselbständigten Schriftlichkeitsverständnis stellt sich das Vorhandensein eigenhändiger Unterschriften der Parteien unter eine solche Vereinbarung deshalb zwar als praktisch unwiderlegbares Indiz für das Vorhandensein und den Umfang der jedenfalls zum Zeitpunkt der Fixierung erzielten Willenseinigung und damit das wirksame Zustandekommen dieser Abrede dar […], ohne dass es noch zusätzlich darauf ankommt, ob die Parteien das so Fixierte auch tatsächlich (in vollem Umfang) gelesen und damit zur Kenntnis genommen haben […].

Jedoch erfordert die genannte Zweckrichtung bei einer wie im Streitfall schriftlich fixierten Vertragsurkunde nicht zwingend die Unterschrift beider Parteien. Es genügt vielmehr, wenn – korrespondierend zu der von der Klägerin in ihrer Unterschrift unter die Vertragsurkunde zum Ausdruck kommenden Identifizierung mit ihren Vertragserklärungen – die Beklagte den gemeinsam ausgehandelten Vertrag nach den getroffenen Feststellungen anschließend zeitnah seinem Wortlaut gemäß dadurch in Vollzug gesetzt hat, dass sie nach einer der schriftlichen Vertragsfixierung absprachegemäß vorangegangenen Ankaufsuntersuchung das Pferd dem Vereinbarten entsprechend bei der Klägerin in Deutschland angeliefert hat, welche ihrerseits vereinbarungsgemäß den Kaufpreis entrichtet hat.

Insofern ist die beschriebene wechselseitige Vertragsdurchführung jedenfalls geeignet, gerade auch seitens der Beklagten die erzielte Willensübereinstimmung hinsichtlich der sie begünstigenden Gerichtsstandsklausel in einer Weise zu belegen, die dem Zweck des Schriftformerfordernisses und dem damit einhergehenden Bedürfnis nach Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gerecht wird […].“

Der Senat verneint dann noch die Anwendbarkeit des ausschließlichen Verbrauchergerichtsstands gem. Art. 15 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 LugÜ/Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 EuGVVO. Die Beklagte habe ihren Pferdehandel nicht in der von Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ/Art. 17 Abs. 1 lit. c. EuGVVO geforderten Weise auf Deutschland oder auf mehrere Staaten einschließlich Deutschlands ausgerichtet.
Anmerkung
Die Anforderungen an eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung dürften damit jedenfalls für Rechtsstreite vor deutschen Gerichten und auch für die rechtsgestaltende Praxis (vorläufig) und wohl auch im Ergebnis zutreffend geklärt sein. Dass der BGH sich aber einmal mehr auf die acte éclairé-Doktrin beruft und die Sache nicht dem EuGH zur Entscheidung vorlegt, ist jedenfalls misslich. Denn so ausführlich die Entscheidung im Original auch begründet ist – so unumstritten ist die Frage eben doch nicht. So haben das OLG Karlsruhe (Urteil vom 15.01.2009 – 4 U 72/07) und unter Bezugnahme darauf auch das OLG Köln (Urteil vom 19.10.2011 – 16 U 161/10 Rn. 26) die Frage abweichend beantwortet. Auch gewichtige Stimmen in der Literatur (beispielsweise MünchKommZPO/Gottwald, 4. Aufl. 2013, Art. 23 EuGVO Rn. 32; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 14. Aufl. 2017, Art. 25 EuGVVO Rn. 9) sind ebenfalls anderer Ansicht. Diese Ansichten zu zitieren und gleichzeitig davon zu sprechen, dass „die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum mehr bleibt“, scheint beinahe despektierlich. tl;dr: Die Schriftform des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 lit. a LugÜ/Art. 25 Abs. 1 Satz 3 lit. a EuGVVO ist schon dann gewahrt, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung in Textform niedergelegt ist und sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass es sich um einen von den Vertragsschließenden autorisierten Text handelt. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 25.01.2017 – VIII ZR 257/15. Foto: Tobias Helfrich | Karlsruhe bundesgerichtshof alt | CC BY-SA 3.0