BGH: Kein „kurzer Prozess“ bei Beschlusszurückweisung gem. § 522 Abs. 2 ZPO
Entscheidung
Der V. Zivilsenat hat den Beschluss des Berufungsgerichts hinsichtlich der Anspruchshöhe aufgehoben und zurückverwiesen. Das Berufungsgericht habe das Grundrecht der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz vereinnahmten Mieteinnahmen zu Unrecht nicht Anspruchsmindernd berücksichtigt habe:„aa) Nach dem Abschluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz neu entstandene Angriffs- und Verteidigungsmittel können die Parteien ohne die sich aus § 531 Abs. 2 ZPO ergebenden Beschränkungen jederzeit in das Berufungsverfahren einführen […].
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts gilt nichts anderes, wenn das erstinstanzliche Urteil rechtsfehlerfrei ist und die Berufung – ohne das neue Vorbringen – durch Beschluss zurückzuweisen wäre.
bb) Welche Tatsachen das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist in § 529 Abs. 1 ZPO bestimmt. Die Anwendung dieser Vorschrift im Berufungsverfahren hängt nicht davon ab, ob über die Berufung im Beschluss- oder im Urteilsverfahren entschieden wird. § 522 Abs. 2 ZPO schränkt die Geltung des § 529 ZPO nicht ein. Eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ist im Gegenteil nur dann zulässig, wenn die Berufung auch unter Berücksichtigung nach den §§ 529, 531 ZPO zulässigen neuen Vorbringens offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat […].
cc) Das Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO stellt ein dem schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO ähnliches Verfahren dar. Bei einer Entscheidung über die Berufung durch Beschluss sind die bis zum Ablauf der nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu bestimmenden Frist zur Stellungnahme auf den Hinweis über die beabsichtigte Zurückweisung vorgetragenen Tatsachen nach Maßgabe der §§ 529, 531 ZPO von dem Berufungsgericht zu berücksichtigen […].
Eine andere Handhabung widerspräche dem mit der Neufassung des § 522 Abs. 2 verfolgten Ziel des Gesetzgebers. Das Berufungsgericht soll sich nach verfahrenspraktischen Gesichtspunkten entscheiden können, ob es über die Berufung durch Beschluss oder durch Urteil entscheidet (vgl. BT-Drucks 17/6406, S. 8). Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn es von der Wahl des Verfahrens durch das Berufungsgericht abhinge, ob es die Berufung unter Außerachtlassung der nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz entstandenen Tatsachen durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist oder ob es ihr bei einer Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung unter Berücksichtigung des neuen Vortrags (ganz oder teilweise) stattgibt. […]
Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstandene, begründete Einwendungen im Berufungsverfahren nicht zu berücksichtigen, würde den Berufungskläger im Übrigen zu einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO zwingen. Das stünde im Widerspruch zu dem öffentlichen Interesse an einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits und den schützenswerten Belangen des Berufungsbeklagten.“