BGH: Kein Teilurteil bei Teilaussetzung gegen Streitgenossen

Sparkasse SantanterEiner der absolut „klassischen“ prozessualen Fehler auf Seiten des Gerichts ist der Erlass eines unzulässigen Teilurteils ohne einhergehende Grundurteil.

Mit Urteil vom 23.09.2015 – I ZR 78/14 (Sparkassen-Rot/Santander-Rot) hat sich der Bundesgerichtshof insoweit mit der  Zulässigkeit Frage befasst, inwieweit ein Teilurteil gegen einzelne Streitgenossen zulässig ist, wenn der Prozess gegen andere Streitgenossen gem. § 148 ZPO ausgesetzt ist.

Sachverhalt

Der Kläger, der Dachverband der Sparkassen-Finanzgruppe, verlangte – stark vereinfacht – gestützt auf die zu seinen Gunsten eingetragene Farbmarke, dass die Santander-Bank es unterlassen möge, ebenfalls die Farbe Rot für Bankdienstleistungen im Privatkundenbereich zu verwenden. Dazu hatte der Kläger sowohl die deutsche Tochtergesellschaft (Beklagte zu 1) als auch die spanische Muttergesellschaft des Finanzkonzerns Santander (Beklagte zu 2) verklagt. Die Beklagten hatten „im Gegenzug" beim Deutschen Patent- und Markenamt beantragt, die Farbmarke des Klägers zu löschen. Das Löschungsverfahren war noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

Das Landgericht gab der gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage statt und wies die Klage gegen die Beklagte zu 2 ab. Dagegen legten der Kläger und die Beklagte zu 1 Berufung ein. Das Berufungsgericht setzte das Verfahren gegen die Beklagte zu 1 im Hinblick auf das Löschungsverfahren vorläufig gem. § 148 ZPO aus; die auf die Beklagte zu 2 bezogene Berufung wies das Berufungsgericht durch Teilurteil zurück. Gegen dieses Teilurteil wendete sich der Kläger mit seiner (zugelassenen) Revision.

Nicht selten sind einzelne Teile eines Verfahrens schon in einem relativ frühen Verfahrensstadium entscheidungsreif, so z.B. die Klage oder die Widerklage oder einzelne Ansprüche bei subjektiver oder objektiver Klagehäufung. Das Gericht kann dann über den zur Entscheidung reifen Teil gem. § 301 ZPO durch Teilurteil zu entscheiden.

Über den Wortlaut von § 301 Abs. 1 Satz 2 ZPO hinaus darf ein Teilurteil aber nach ständiger Rechtsprechung dann nicht ergehen, wenn die Gefahr besteht, dass ein späteres Schlussurteil im Widerspruch zu dem bereits erlassenen Teilurteil stehen würde (sog. „Gefahr widerstreitender Entscheidungen“). Hängen daher mehrere Prozessteile aufgrund gemeinsamer Vorfragen miteinander zusammen, muss das Gericht in einem sog. Grund- und Teilurteil zugleich auch durch Grundurteil (§ 304 ZPO) insgesamt über die gemeinsamen Vorfragen entscheiden.

Hier machte der Kläger Ansprüche gegen zwei verschiedene Beklagte geltend, die deshalb einfache Streitgenossen gem. §§ 59, 60 ZPO waren (sog. subjektive Klagehäufung). Für die Entscheidung hinsichtlich beider Beklagter konnte es naheliegender Weise auf dieselben wettbewerbs- und markenrechtlichen Fragen ankommen. Trotzdem hatte das Berufungsgericht zunächst lediglich über den Rechtsstreit entschieden, soweit es um Ansprüche betreffend die Beklagte zu 2 ging.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hat das Teilurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

„Das angefochtene Urteil kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht über die gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Klageanträge nicht durch Teilurteil (§ 301 ZPO) entscheiden durfte.

Der Erlass eines unzulässigen Teilurteils stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu berücksichtigen ist […] und zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht führt.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Teilurteil nur ergehen, wenn es von der Entscheidung über den Rest des geltend gemachten prozessualen Anspruchs unabhängig ist, so dass die Gefahr einander widerstreitender Erkenntnisse, auch durch das Rechtsmittelgericht, nicht besteht. Das gilt ebenfalls bei Klagen gegen mehrere einfache Streitgenossen. Ein Teilurteil ist schon dann unzulässig, wenn nicht auszuschließen ist, dass es in demselben Rechtsstreit zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt […].

Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen – auch infolge einer abweichenden Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht – ist gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann.

Dazu reicht die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen aus, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden […]. Ein Teilurteil darf deshalb nur ergehen, wenn der weitere Verlauf des Prozesses die zu treffende Entscheidung unter keinen Umständen mehr berühren kann […].

2. Nach diesen Maßstäben durfte das Berufungsgericht kein Teilurteil erlassen. [wird ausgeführt]

3. Der Erlass eines Teilurteils über die vom Kläger gegenüber der Beklagten zu 2 geltend gemachten Ansprüche ist nicht deshalb ausnahmsweise zulässig, weil das Berufungsgericht das Verfahren gegen die Beklagte zu 1 bis zur Entscheidung über den die Klagemarke betreffenden Löschungsantrag der Beklagten ausgesetzt hat.

a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist allerdings anerkannt, dass gegen einen einfachen Streitgenossen ein Teilurteil trotz der Gefahr einer widerstreitenden Entscheidung im weiteren Verfahren ergehen kann, wenn das Verfahren durch Insolvenz oder Tod des anderen Streitgenossen unterbrochen ist.

Diese Ausnahme findet ihre Rechtfertigung darin, dass die Unterbrechung des Verfahrens zu einer faktischen Trennung des Rechtsstreits führt, weil regelmäßig nicht voraussehbar ist, ob und gegebenenfalls wann das Verfahren aufgenommen werden wird. Da die übrigen Prozessbeteiligten keine prozessuale Möglichkeit haben, die Aufnahme des Verfahrens und damit den Fortgang des Prozesses insgesamt zu bewirken, wäre es mit ihrem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar, wenn die Unterbrechung des Verfahrens eine Entscheidung nur deshalb nachhaltig verzögern würde, weil die abstrakte Gefahr einer widersprüchlichen Entscheidung nach einer eventuellen Aufnahme des Verfahrens besteht […].

b) Eine vergleichbare Sachlage liegt im Streitfall nicht vor. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass der Kläger und die Beklagte zu 2 im Berufungsverfahren hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens beantragt haben. Bei einer – im Einzelfall auch auf übereinstimmenden Antrag der Parteien angeordneten – Aussetzung des Verfahrens fehlt es an einer mit einer Verfahrensunterbrechung aufgrund von Insolvenz oder Tod eines Streitgenossen vergleichbaren Situation.

Die Unterbrechung des Rechtsstreits durch Tod oder Insolvenz einer Partei müssen die Beteiligten hinnehmen, während sie die Aussetzungsentscheidung des Gerichts gemäß § 252 ZPO mit Rechtsmitteln anfechten können. Gegen die Entscheidung, durch die die Aussetzung des Verfahrens angeordnet oder abgelehnt wird, findet die sofortige Beschwerde (§ 567 Abs. 1 ZPO) oder - wenn wie im Streitfall das Berufungsgericht den Rechtsstreit ausgesetzt hat - bei Vorliegen der weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen die Rechtsbeschwerde statt (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO). Unter diesen Umständen gebietet der Anspruch des Klägers und der Beklagten zu 2 auf effektiven Rechtsschutz nicht den Erlass eines Teilurteils trotz der Gefahr widersprechender Entscheidungen […].

4. Von einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht kann auch nicht aus anderen Gründen ausnahmsweise abgesehen werden.

a) Zwar hat der Bundesgerichtshof bei einer Klage gegen mehrere einfache Streitgenossen die Entlassung eines Streitgenossen durch Teilurteil für zulässig gehalten, wenn die deutschen Gerichte für die Klage gegen diesen Streitgenossen international nicht zuständig sind. In diesem Fall besteht in aller Regel ein rechtlich anzuerkennendes Interesse, den Streitgenossen, gegen den die Klage unzulässig ist, durch Teilurteil aus dem Rechtsstreit zu entlassen […]. So liegt der Streitfall nicht.

b) Es braucht nicht entschieden zu werden, ob bei einer aus anderen Gründen als wegen fehlender internationaler Zuständigkeit unzulässigen Klage gegen einen von mehreren Streitgenossen eine Entscheidung durch Teilurteil gerechtfertigt ist. Die Klage gegen die Beklagte zu 2 kann nicht insgesamt als unzulässig abgewiesen werden."

Anmerkung

Der weitere Inhalt der immer 57 Seiten umfassenden Entscheidung („Für das wiedereröffnete Berufungsverfahren wird auf folgendes Hingewiesen: …“) ist ebenfalls prozessual sehr interessant, weil sich der I. Zivilsenat ausführlich mit der Frage der hinreichenden Bestimmtheit des Klageantrags auseinandersetzt (und diese verneint). Die erörterten Probleme erscheinen mit aber für eine (weitere) Besprechung zu speziell.

Und was mich ein wenig wundert: Ein von großem Medienecho begleitetes Verfahren, viele äußerst spezialisierte und hoch bezahlte (und kompetente) Anwälte auf beiden Seiten – und den „Fehler“ findet der Bundesgerichthof „von Amts wegen“.

tl;dr: Ein Teilurteil ist unzulässig, wenn der der Rechtsstreit gegen einen der Streitgenossen gem. § 148 ZPO ausgesetzt wird und sich daraus die Gefahr widerstreitender Entscheidungen ergibt.