BGH: Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit einer notariellen Urkunde trotz abweichenden Entwurfs
Entscheidung
Der V. Zivilsenat hat den Beschluss des Kammergerichts wenig überraschend aufgehoben und die Sache zurückverwiesen:„Die notarielle Kaufvertragsurkunde […] ist eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 415 ZPO. Solche Urkunden erbringen vollen Beweis darüber, dass die Erklärung mit dem niedergelegten Inhalt so, wie beurkundet, abgegeben wurde […].
Darüber hinaus besteht für die über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunden nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit […]; es wird also vermutet, dass das, was im beurkundeten Text steht, der Vereinbarung entspricht und nur das vereinbart ist […].
Die Partei, die sich auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände – sei es zum Nachweis eines vom Urkundstext abweichenden übereinstimmenden Willens der Beteiligten, sei es zum Zwecke der Deutung des Inhalts des Beurkundeten aus der Sicht des Erklärungsempfängers (§§ 133, 157 BGB) – beruft, trifft die Beweislast für deren Vorliegen […]. Da der Beklagte behauptet, abweichend von dem Inhalt der Kaufvertragsurkunde seien weder eine bestimmte Hallengröße zugesagt noch Einrichtungsgegenstände verkauft worden, muss er die durch den notariellen Kaufvertrag begründete Vermutung widerlegen. Es reicht nicht, dass die Beweiswirkung erschüttert ist […].
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Beklagte die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit des notariellen Kaufvertrages nicht durch die Vorlage des Vertragsentwurfs widerlegt. Mit dieser Sichtweise verkennt das Berufungsgericht den Zweck der notariellen Beurkundung und des Beurkundungsverfahrens.
aa) Zweck der in § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB vorgeschriebenen notariellen Beurkundung von Verträgen über Grundstücke ist es, Veräußerer und Erwerber vor übereilten Verträgen zu bewahren, sie auf die Wichtigkeit des Geschäftes hinzuweisen und ihnen die Möglichkeit rechtskundiger Belehrung und Beratung zu eröffnen […]. Mit der Durchführung eines strengen Regeln unterworfenen Beurkundungsverfahrens, insbesondere durch die dem Notar in §§ 17 ff. BeurkG auferlegten Prüfungs- und Belehrungspflichten, soll sichergestellt werden, dass der Inhalt der Urkunde dem Willen der mit der rechtlichen Tragweite vertraut gemachten Beteiligten entspricht […].
Die bei Verbraucherverträgen in § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG normierte Amtspflicht des Notars […], den beabsichtigten Text des Rechtsgeschäfts den Vertragsparteien schon vor der Beurkundung zur Verfügung zu stellen, dient dazu, ihnen Gelegenheit zu geben, sich vorab mit dem Gegenstand der Beurkundung auseinanderzusetzen, Unklarheiten und Änderungswünsche vorher zu klären und sich auf die Beurkundungsverhandlung vorzubereiten […]. Der Entwurf dokumentiert hingegen nicht den abschließenden Parteiwillen. Die Aufgabe des Notars, diesen zu ermitteln und den Erklärungen eine Fassung zu geben, die den Absichten und Interessen der Beteiligten gerecht wird […], bringt es gerade mit sich, dass es während der Beurkundungsverhandlung – etwa aufgrund einer Anregung durch den Notar oder aufgrund entsprechender Parteiwünsche – noch zu Änderungen in dem vorab zur Verfügung gestellten Entwurfstext kommen kann […]. Erst mit der in der Beurkundungsverhandlung gefertigten Niederschrift (§§ 8, 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeurkG) erhalten die Erklärungen der Beteiligten ihre endgültige Form […]. Die notarielle Urkunde dokumentiert, zu welchem Ergebnis die Beurkundungsverhandlung vor dem Notar geführt hat. Die Erklärungen der Beteiligten gelten mit der Beweiskraft des § 415 ZPO als abgegeben […].
bb) Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass allein durch die Vorlage des Vertragsentwurfes die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit notarieller Urkunden widerlegt werden könne, führte zu dem Ergebnis, dass nicht der notariellen Urkunde, sondern letztlich dem vorläufigen Entwurfstext, der gerade nicht Bestandteil der Beurkundungsverhandlung ist […] und daher auch nicht die tatsächlich abgegebenen Erklärungen der Parteien dokumentiert, die maßgebliche Bedeutung zukommt.
Dies ist mit dem Sinn und Zweck des strengen Anforderungen unterliegenden Beurkundungsverfahrens und der darin begründeten Beweiskraft notarieller Urkunden (§ 415 ZPO) nicht vereinbar.“