Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufgehoben:
„a) Hat das Gericht die Akten nach Erlass eines Beweisbeschlusses gemäß § 379 Satz 2, § 402 ZPO wegen nicht fristgerechter Einzahlung des Auslagenvorschusses durch den Beweisführer nicht an den Sachverständigen versandt, sondern Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt, so kann zwar unter den Voraussetzungen des § 296 Abs. 2, § 525 ZPO der Beweisantrag auch dann als verspätet zurückgewiesen werden, wenn der Kostenvorschuss bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung noch eingezahlt wird […].
Jedoch hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO, wonach Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht werden oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, zurückgewiesen werden können, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Fahrlässigkeit beruht, aus Gründen als gegeben erachtet, die im Prozessrecht keine Stütze mehr finden.
aa) Bereits die Fristsetzung zur Einzahlung des Auslagenvorschusses von 1.500 € von nur zwei Wochen war nach Lage des Falles im Hinblick auf die bereits dem Prozessbevollmächtigen der Kläger zuzubilligende Zeit zur Prüfung sowie zur Korrespondenz mit den Klägern (beziehungsweise deren Rechtsschutzversicherer) sowie der auch ihnen gebührenden Zeit zur Prüfung des Beweisbeschlusses und zur Bewirkung der – nicht unbedeutenden – Zahlung unverhältnismäßig kurz und deshalb unwirksam […].
bb) Auch eine Verzögerung des Verfahrens im Sinne des § 296 Abs. 2 ZPO durch die nicht fristgerechte Einzahlung des Auslagenvorschusses kann hier nicht angenommen werden, weil im gegebenen Fall ohne jeden Aufwand erkennbar ist, dass die Verspätung allein nicht kausal für eine Verzögerung ist […]. Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Zeitspanne, die die Befunderhebung durch den Sachverständigen in Anspruch nimmt, sowie des den Parteien gebührenden angemessenen Zeitraums zur Stellungnahme (§ 411 Abs. 4 ZPO) drängt sich ohne weitere Erwägungen auf, dass ein Sachverständigengutachten bei fristgerechter Einzahlung des Auslagenvorschusses bis zum 30. Januar 2015 nicht innerhalb von sechs Wochen bis zur mündlichen Berufungsverhandlung hätte eingeholt werden können.
cc) Überdies hat das Berufungsgericht zu der für eine Zurückweisung erforderlichen groben Nachlässigkeit keine Feststellungen getroffen. Grobe Nachlässigkeit im Sinne des § 296 Abs. 2 ZPO liegt nur dann vor, wenn eine Prozesspartei ihre Pflicht zur Prozessförderung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei als notwendig hätte einleuchten müssen […]. Die diesen Vorwurf begründenden Tatsachen muss das Gericht in seinem Urteil feststellen […]. Daran fehlt es hier. Die nicht fristgerechte Zahlung des Auslagenvorschusses indiziert noch keine grobe Fahrlässigkeit […].
dd) Ferner fehlt es im gegebenen Fall an der Ausübung des dem Berufungsgerichts bei der Entscheidung nach § 296 Abs. 2 ZPO eingeräumten Ermessens […]. Die vom Berufungsgericht gewählte Formulierung, wonach der Beweisantrag als verspätet zurückzuweisen „war“, spricht im Gegenteil dafür, dass es sich als gebunden angesehen hat.
ee) Ohnehin hätte eine Zurückweisung als verspätet nicht bereits aufgrund der mündlichen Berufungsverhandlung vom 16. März 2015 ausgesprochen, sondern erst nach einem Hinweis des Gerichts und Gelegenheit zur Äußerung erfolgen dürfen […].
b) Auch gemäß § 379 Satz 2, § 402 ZPO durfte das Berufungsgericht nicht von der Beweiserhebung absehen, weil – wie ausgeführt – die Frist zur Zahlung des Auslagenvorschusses unter den gegebenen Umständen zu kurz bemessen […] und die verspätete Zahlung des Auslagenvorschusses offenkundig nicht kausal für eine Verzögerung war […].
c) Nach § 356 ZPO durfte das Berufungsgericht – selbst wenn, was hier offen bleiben kann, diese Bestimmung nicht ohnehin von den Sondervorschriften der § 379 Satz 2, § 402 ZPO verdrängt werden sollte […] – die Beweiserhebung schon deshalb nicht unterlassen, weil die Kläger den ihnen auferlegten Auslagenvorschuss vor der mündlichen Berufungsverhandlung entrichtet haben […].“
Anmerkung
Bleibt die Frage, warum eine mit drei Berufsrichter besetzte Kammer ernsthaft glaubt, damit „durchzukommen“.
tl;dr: 1.) Vor einer Zurückweisung wegen Verspätung ist die betroffene Partei i.d.R. auf die beabsichtigte Zurückweisung hinzuweisen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 2.) Die Frist zur Einzahlung eines Auslagenvorschusses muss i.d.R. mehr als zwei Wochen betragen.
Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 10.05.2016 – VIII ZR 97/15. Foto: ComQuat | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0