Entscheidung
Der BGH hat den Beschluss gem.
§ 544 Abs. 7 ZPO wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufgehoben und die Sache zurückverwiesen:
„a) Mit Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde zunächst als Gehörsverstoß, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Kläger, die Genussscheine seien von Mitarbeitern der A. AG ohne Rücksprache mit den Klägern für die Kläger erworben worden, deshalb für unerheblich hält, weil die Kläger „in erster Instanz auch vorgetragen“ hätten, der Erwerb der Genussscheine sei aufgrund einer vorherigen Beratung durch die A. AG erfolgt. (…)
Im Prozessrecht findet sich keine Grundlage, Parteivortrag nur deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil er im Widerspruch zu vorangegangenem, ausdrücklich aufgegebenem Vortrag steht. Im Gegenteil ist eine Partei nicht daran gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen; eine Vortragsänderung kann nur bei der Beweiswürdigung Bedeutung erlangen (…)
b) Weiter hat das Berufungsgericht die Kläger in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch dadurch verletzt, dass es den dargestellten Vortrag im angefochtenen Beschluss nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zurückgewiesen hat. Diese Zurückweisung findet in § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO schon deshalb keine Grundlage, weil die Vortragsänderung (…) bereits in erster Instanz erfolgte.“
Anmerkung
Das klingt zunächst wie eine Einladung zu einem äußerst taktischen Umgang mit der Wahrheit, vor allem, weil die Begründung („die Kollegin ist schuld“) ja tatsächlich den Eindruck einer eher schlechten Ausrede erweckt. Trotzdem ist das Ergebnis des BGH überzeugend, weil es einer Partei schlicht nicht verwehrt sein kann, ihren Sachvortrag zu ändern, wenn sich dieser als falsch herausstellt. Es wäre völlig unverständlich und gerade mit
§ 138 Abs. 1 ZPO nicht zu vereinbaren, einer Partei nicht die Möglichkeit zu geben, im Laufe des Rechtsstreis Irrtümer zu korrigieren und sie stattdessen zu zwingen, an einem als falsch erkannten Vortrag festzuhalten. Das Problem dürfte sich praktisch regelmäßig schon verringern, wenn das Gericht die Parteien stets persönlich anhört, soweit deren persönliche Wahrnehmungen Gegenstand des Rechtsstreits sind. Hätte das Gericht hier eine ausführliche Schilderung der Kläger „im Kasten (ergo: Diktiergerät) gehabt“, wonach sie die Genusscheine nach einer Beratung durch die A. AG erworben hätten, wäre es für sie deutlich schwieriger gewesen, eine spätere Änderung des dahingehenden Vortrags zu begründen. Außerdem weist der BGH – zu Recht – den gut geebneten Weg zu
§ 286 ZPO: Denn selbstverständlich darf das Gericht eine Änderung des Vortrags im Rahmen seiner Feststellungen berücksichtigten – und wird dabei zu Recht um so höhere Anforderungen an seine Überzeugungsbildung stellen, je „taktischer“ ein solches Prozessverhalten und je unplausibler die Begründung für die Änderung wirkt.
tl;dr: Eine Partei ist nicht daran gehindert, ihren Sachvortrag im Laufe des Rechtsstreits zu ändern. Der geänderte Sachvortrag darf deshalb nicht unberücksichtigt bleiben; die Änderung und die dafür angegebene Begründung können jedoch im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 24.07.2018 – VI ZR 599/16. Wenn Sie diesen Artikel verlinken wollen, können Sie dafür auch folgenden Kurzlink verwenden: www.zpoblog.de/?p=6726 Foto: Andreas Praefcke,
Karlsruhe BGH Eingangsbereich,
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