BGH: Auch einen Zeugen vom Hörensagen muss das Gericht vernehmen!

Mit gleich zwei praktisch äußerst relevanten Fragen/Problemkreisen hat sich der Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 01.03.2018 – IX ZR 179/17 befasst. Darin geht es einerseits um die Frage, ob das Gericht einen Zeugen auch dann vernehmen muss, wenn dieser die unter Beweis gestellte Tatsache schon nach dem Vorbringen der beweisführenden Partei gar nicht unmittelbar wahrgenommen hat. Und zum anderen geht es darum, wann das Gericht bei fehlenden Sprachkenntnissen einer Partei gem. § 185 GVG einen Dolmetscher zur mündlichen Verhandlung laden muss.

Sachverhalt

Die Klägerin nahm – vereinfacht – ihre Schwester und deren Ehemann aus abgetretenem Recht ihrer Mutter auf Zahlung in Anspruch. Dazu behauptete sie, ihre Mutter (die Zedentin) habe 2011 Grundbesitz in Kolumbien veräußert und aus dem Erlös einmal 68.525 € und einmal 130.802 € auf ein Konto der Beklagten überwiesen. Damit habe sie den Beklagten Darlehen gewährt. Zum Beweis berief sich die Klägerin auf das Zeugnis des Zeugen J: Dieser habe ein Telefonat zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 mitgehört, in dem die Beklagte zu 1 die Forderungen der Mutter bestätigt haben soll. Außerdem habe die Beklagte zu 1 dem Zeugen gegenüber in einer E-Mail die Begründetheit der Ansprüche eingeräumt. Diese Beweisanträge auf Vernehmung des Zeugen J hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausdrücklich wiederholt. Das OLG hat den Zeugen jedoch nicht vernommen und dies damit begründet, dass der Zeuge bei den Ansprachen zwischen der Mutter und den Beklagten gar nicht zugegen gewesen sei. Es hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin die Darlegung der Beklagten nicht widerlegt habe, dass es sich insoweit um eine Schenkung gehandelt habe.

Hier stellte zunächst eine praktisch äußerst relevante aber häufig schwierige Beweislastfrage: Musste die Klägerin die von ihr behaupteten Darlehensverträgen beweisen oder mussten die Beklagten die von ihnen behaupteten Schenkungen beweisen? Richtig ist: Der Kläger muss seinen Anspruch beweisen, bevor der Beklagte seine Einwendungen beweisen muss. Deshalb obliegt der Klägerin der Beweis, dass zwischen ihrer Mutter und den Beklagten zwei Darlehensverträge geschlossen wurden. Um diesen Beweis zu führen hatte die Klägerin den Zeugen J benannt. Diesen hatte das Gericht jedoch nicht vernommen und dies damit begründet, er sei ja nur ein Zeuge vom Hörensagen; beim Abschluss der behaupteten Darlehensverträge sei er gar nicht anwesend gewesen, weshalb die im Streit stehenden Tatsache – die Darlehensvertragsabrede – gar nicht in sein Wissen gestellt werden könne.

Entscheidung

Der BGH wendet sich zunächst dem von der Vorinstanz nicht vernommenen Zeugen zu und sieht darin (wenig überraschend) eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör:

„a) Art 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (…).

b) In dieser Weise verhält es sich im Streitfall, soweit das Berufungsgericht von der Vernehmung des Zeugen J. abgesehen hat.

aa) Die Klägerin hat [den Zeugen J] zum Nachweis benannt, dass die Zedentin den Beklagten durch die Überweisungen von 68.525 € und 130.802 € Darlehen gewährt habe.

Die Beweisanträge haben insbesondere den Inhalt eines zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 geführten Telefongesprächs zum Gegenstand, in dem die Beklagte zu 1 unter Beteiligung des Zeugen die Forderungen der Zedentin bestätigt haben soll. Ferner wurde der Zeuge zum Beweis dafür benannt, dass die Beklagte zu 1 ihm gegenüber durch E-Mail-Nachrichten die Begründetheit der Ansprüche der Zedentin eingeräumt habe. (…)

bb) Das Berufungsgericht hat von der beantragten Beweisaufnahme hinsichtlich der Gewährung von Darlehen über 68.525 € und 130.802 € mit der Begründung abgesehen, dass der Zeuge bei den zwischen der Zedentin und der Beklagten geführten Absprachen nicht zugegen gewesen sei und daher nur über Äußerungen berichten könne, die ihm gegenüber gemacht worden seien. Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil der Zeuge an einem zwischen der Klägerin und der Beklagten geführten Telefonat unmittelbar mitgewirkt haben soll.

cc) Davon abgesehen ist das Beweismittel entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts nicht deshalb ungeeignet, weil es sich nur um einen Zeugen vom Hörensagen handelt. Auch der Zeuge vom Hörensagen ist Zeuge, weil er seine eigene konkrete Wahrnehmung bekunden soll. Zwar haftet dieser Art des Beweises eine besondere Unsicherheit an, die über die allgemeine Unzuverlässigkeit des Zeugenbeweises hinausgeht, so dass an die Beweiswürdigung hohe Anforderungen zu stellen sind. Dies kann es aber nicht rechtfertigen, ein solches Beweismittel als unzulässig anzusehen (…).

Mit der Vernehmung eines Zeugen vom Hörensagen wird nicht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, weil die Vernehmung eines Zeugen, der aus eigener Kenntnis nur Bekundungen Dritter über entscheidungserhebliche Tatsachen wiedergeben kann, grundsätzlich zulässig ist (…). Die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) zu berücksichtigen (…).

dd) Nach diesen Maßstäben war das Vordergericht gehalten, den von der Klägerin benannten Zeugen zu vernehmen.

Soweit der Zeuge nach Darstellung der Klägerin an einem zwischen ihr und der Beklagten zu 1 geführten Ferngespräch teilgenommen hat, ist, weil es sich um eine aktive Mitwirkung und nicht um ein heimliches Mithören gehandelt haben soll, bisher nicht ersichtlich, dass die Erkenntnisse des Zeugen unverwertbar wären (…).“

Der Senat wendet sich dann noch dem Umstand zu, dass das Berufungsgericht zur Verhandlung keinen Dolmetscher geladen hatte:

„Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung gemäß § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG von Amts wegen einen Dolmetscher hinzuzuziehen haben wird, sofern die der deutschen Sprache nicht mächtige Klägerin sich selbst zu den der Klageforderung zugrunde liegenden tatsächlichen Vorgängen zu erklären beabsichtigt (§ 137 Abs. 4 ZPO).

a) Vom Schutzbereich des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wird die Frage nicht umgriffen, ob und in welchem Umfang ein der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtiger Verfahrensbeteiligter einen Anspruch darauf hat, dass das Gericht ihm über einen Dolmetscher oder Übersetzer zur Überbrückung von Verständigungsschwierigkeiten verhilft (…).

Den aus solchen Verständigungsproblemen erwachsenden Gefährdungen begegnet das Grundgesetz durch die Gewährung eines rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens, auf das der Verfahrensbeteiligte nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG einen grundrechtlich gesicherten Anspruch hat (…). In Einklang mit diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist gemäß § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Die Bestimmung dient als Ausprägung des Grundsatzes des fairen Verfahrens der Wahrheitsfindung (…). Es kann nicht hingenommen werden, einen der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtigen Verfahrensbeteiligten zu einem unverstandenen Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen. Darum ist bei der Auslegung des § 185 GVG zu berücksichtigen, dass ein Verfahrensbeteiligter in die Lage versetzt werden muss, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge zu verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können (…).

b) Vor diesem Hintergrund wird die Hinzuziehung eines Dolmetschers allgemein in allen Fällen als geboten erachtet, in denen eine der deutschen Sprache nicht mächtige Partei in einer mündlichen Verhandlung anwesend ist (…). Es kann dahinstehen, ob dieser naheliegenden Auffassung uneingeschränkt beizutreten und ein Dolmetscher auch hinzuzuziehen ist, wenn die der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtige, durch einen Verfahrensbevollmächtigten ordnungsgemäß vertretene Partei ohne zwingende prozessuale Notwendigkeit aus eigenem Entschluss an einer mündlichen Verhandlung teilnimmt (…).

Jedenfalls hat das Gericht für die Hinzuziehung eines Dolmetschers Sorge zu tragen, wenn es das persönliche Erscheinen einer der deutschen Sprache nicht mächtigen Partei anordnet (…). Gleiches gilt, wenn zwar nicht das persönliche Erscheinen der Partei angeordnet wird, diese sich aber – wie im Streitfall – auf der Grundlage des § 137 Abs. 4 ZPO in der mündlichen Verhandlung persönlich zu äußern beabsichtigt (…). In beiden Gestaltungen kann, weil das prozessuale Äußerungsrecht der Partei auch nicht infolge von Sprachbarrieren Einschnitte erleiden darf, nur die Beiziehung eines gerichtlichen Dolmetschers die gebotene einwandfreie Übersetzung ihrer Erklärungen sicherstellen.

c) Etwaige Angaben der Klägerin zu dem hier maßgeblichen Sachverhalt sind im Rahmen der abschließenden umfassenden Beweiswürdigung zu beachten.

Anmerkung

Der interessantesten ist dabei eigentlich der letzte Satz: Der IX. Zivilsenat weist das Berufungsgericht vorsorglich auf den – vielen Gerichten offenbar unbekannten – Umstand hin, dass auch Äußerungen der Parteien im Prozess, insbesondere das Ergebnis einer Parteianhörung, im Rahmen der Beweiswürdigung gem. § 286 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen ist. Denn § 286 Abs. 1 ZPO spricht bekanntlich davon, das Gericht habe „unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme“ zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Dass der IX. Zivilsenat sich genötigt sah, dies dem Berufungsgericht ohne konkreten Anlass „mit auf den Weg zu geben“, ist jedenfalls bemerkenswert. Dass er das Gericht ebenfalls gleichsam vorsorglich auf die Notwendigkeit eines Dolmetschers hingewiesen hat, ist ebenfalls erstaunlich.

Und was den „Zeugen vom Hörensagen“ angeht, ist die Entscheidung wiederum ein hervorragendes Beispiel dafür, dass die Wertgrenze bei der Nichtzulassungsbeschwerde in § 26 Ziff. 8 EGZPO nicht verlängert, sondern abgeschafft gehört – jedenfalls insoweit, als der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör verletzt ist. Denn es bleibt die immer gleichen Frage: Wie wird der Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt, wenn - anders als hier - das der Wert des Beschwerdegegenstandes 20.000 EUR nicht erreicht?