BGH zur Ungeeignetheit eines angebotenen Zeugenbeweises

Geht es um die Frage, wann von der Vernehmung eines erheblichen Beweisangebots abgesehen werden kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bekanntlich eine sehr restriktive Linie erkennbar. Insbesondere braucht die beweisführende Partei beispielsweise i.d.R. nicht dazu vortragen, warum der Zeuge Wahrnehmungen zur streitigen Tatsache gemacht hat. Wie weit diese Rechtsprechung geht, zeigt ein Beschluss vom 12.12.2018 – XII ZR 99/17.

Sachverhalt

Die Kläger hatten der Beklagten ab Oktober 2005 Räume zum Betrieb eines Autohauses vermietet. Der Vertrag sah eine Laufzeit von 10 Jahren vor, außerdem war ein Sonderkündigungsrecht mit einer Frist von zwölf Monaten vereinbart u.a. für den Fall, dass der Hersteller, die B. AG, eine Standortveränderung vom Mieter verlangen sollte. Im September 2012 kündigte die Beklagte den Mietvertrag zum 31. Oktober 2013 und verwies zur Begründung auf zwei Schreiben der B. AG vom 14.05.2012 und 03.09.2012. In diesen Schreiben verlangte die B. AG von der Beklagten als Voraussetzung für die Verlängerung des zum 30. September 2013 auslaufenden Händlervertriebsvertrags die Verlagerung der Betriebsstätte an einen anderen Standort, um einen „Standard 2013+“ zu erfüllen. Im Herbst 2013 räumte die Beklagte das Mietobjekt und verlegte den Standort des Autohauses in eine von ihr erbaute Betriebsimmobilie, deren Grundstück sie schon 2008 erworben hatte. Die Kläger nahmen die Beklagte daraufhin auf Zahlung des Mietzinses auch nach Räumung in Anspruch und behauptete, die beiden Schreiben der B. AG aus dem Jahr 2012 seien bloße „Gefälligkeitsbescheinigungen“; die Beklage habe damit die Voraussetzungen für das Entstehen eines Sonderkündigungsrechts treuwidrig selbst herbeigeführt. Das Landgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung des seinerzeit bei der Herstellerin tätig gewesenen Zeugen G. abgewiesen. Den außerdem von den Klägern benannten Zeugen K vernahm das Landgericht nicht. Dieser habe seine Position als Vertriebsleiter Deutschland der B. AG erst seit dem 1. März 2013 ausgeübt, er könne deshalb zur Frage der Ernsthaftigkeit der Forderung der B. AG nach Verlagerung des Standorts laut deren Schreiben vom 14. Mai 2012 und vom 3. September 2012 mit Angaben aus eigener Kenntnis nicht beitragen. Das Oberlandesgericht wies die dagegen gerichtete Berufung der Kläger zurück, wogegen sich die Kläger mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde wenden.

Die Kläger hatten sich hier zum Beweis der Tatsache, dass die Aufforderungsschreiben der B. AG nur „Gefälligkeitsschreiben“ waren, auf zwei Mitarbeiter berufen, K und G. Dabei hatte das Gericht G vernommen; dessen Vernehmung war aber wohl unergiebig geblieben. K hatte das Gericht aber gar nicht erst geladen und vernommen und dabei die Ansicht vertreten, der Beweisantritt sei schon ungeeignet. Denn K sei im Zeitpunkt der fraglichen Schreiben gar nicht in Deutschland für die B. AG tätig gewesen; er könne also aus eigener Wahrnehmung gar nichts über die Schreiben wissen. Das war im Grundsatz richtig, weil der Zeugenbeweis allein zulässig ist, soweit es um unmittelbare sinnliche Wahrnehmungen des Zeugen (Hören und Sehen, ggf. aber auch Fühlen, Riechen, Schmecken) geht und der Zeuge insoweit keine unmittelbaren Wahrnehmungen gemacht haben kann. Allerdings war ja nicht ausgeschlossen, dass K durch andere Mitarbeiter oder Akten Kenntnis von den Umständen rund um die beiden Schreiben erlangt hatte.

Entscheidung

Der für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat hat das Urteil des OLG wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufgehoben und die Sache zurückverwiesen:

„Zu Recht beanstanden die Kläger, dass das Berufungsgericht seine Feststellungen unter Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) getroffen hat.

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (…). So liegt der Fall hier.

b) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht die von den Klägern beantragte Vernehmung des Zeugen K. nicht hätte ablehnen dürfen. Die Kläger haben den Zeugen K. – unter anderem – zum Beweis der Tatsache benannt, dass der Händlervertrag der Beklagten für das Vertriebsgebiet (…) von der B. AG auch dann über den 30. September 2013 hinaus verlängert worden wäre, wenn die Beklagte sich (lediglich) dazu verpflichtet hätte, eine den „Standards 2013+“ entsprechende neue Betriebsstätte nach Ablauf der regulären Laufzeit des Mietvertrages am 30. September 2015 in Betrieb zu nehmen. (…)

(Bei der) Zurückweisung einer beantragten Zeugenvernehmung wegen Ungeeignetheit des Beweismittels ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs äußerste Zurückhaltung geboten. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass diese Vernehmung sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann. Weder die Unwahrscheinlichkeit der Tatsache noch die Unwahrscheinlichkeit der Wahrnehmung der Tatsache durch den benannten Zeugen berechtigen den Tatrichter dazu, von der Beweisaufnahme abzusehen (…).

Gemessen daran hätte das Berufungsgericht die Vernehmung des von den Klägern angebotenen Zeugen K. nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, dass der Zeuge zur Ernsthaftigkeit der in den beiden Schreiben vom 14. Mai 2012 und 3. September 2012 formulierten Forderungen der B. AG nach Standortverlagerung „aus eigener Kenntnis“ nichts beitragen könne, weil dieser erst ab dem 1. März 2013 die Position als Vertriebsleiter Deutschland der B. AG bekleidet habe.

Mit Recht verweisen die Kläger darauf, dass es für die grundsätzliche Eignung des Zeugen K. als Beweismittel nicht darauf ankommt, wie dieser beruflich mit dem – grundsätzlich in seinen Verantwortungsbereich fallenden – Sachverhalt in Berührung gekommen sein könnte, sei es durch Aktenstudium, durch mündliche Einweisung in die Vorgeschichte des Standorts oder durch bloßes Hörensagen. Mag es auch eher unwahrscheinlich sein, dass der Zeuge K. als unterhalb der Vorstandsebene angesiedelter Vertriebsleiter Deutschland der B. AG unmittelbar mit Geschäftsfällen an einzelnen Standorten befasst worden war, rechtfertigt dies aber nicht das Absehen von seiner Vernehmung.

Eine Vernehmung konnte entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht deshalb unterbleiben, weil der Zeuge K. alle relevanten Erkenntnisse – auch durch Aktenstudium oder mündliche Einweisung – über den ihm unterstellten Zeugen G. hätte erlangen müssen, der im Jahr 2012 bei der B. AG bezüglich des Standorts der Beklagten der zuständige Mitarbeiter für die Verlängerung des Händlervertrags und für die Einhaltung der neuen „Standards 2013+“ gewesen sei. Denn soweit hierdurch unterstellt werden soll, dass der Zeuge K. bei einer Vernehmung nichts anders bekunden könnte als der bereits vernommene Zeuge G. bereits bekundet hat, würde dies auf eine unzulässige Vorwegnahme des Beweisergebnisses hinauslaufen.“

Anmerkung

Der BGH führt außerdem noch aus, dass der Beweisantritt auch nicht etwa rechtsmissbräuchlich und daher unzulässig sei. Das sei zwar insbesondere dann der Fall, wenn eine Partei ohne jeden greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstelle. Denn eine Partei sei im Zivilprozess häufig darauf angewiesen, Tatsachen zu behaupten, über die sie zwar keine genauen Kenntnisse besitzt, die sie nach Lage der Dinge aber für wahrscheinlich halte. Da sich die Geschehnisse hier außerhalb der Wahrnehmung der Kläger abspielten hätten und die Kläger sich darauf beriefen, dass in der Region selbst in den Jahren 2014 und 2015 zahlreiche Autohäuser von Vertragshändlern der B. AG dem neuen Standard (noch) nicht entsprochen hätten, bestehe keine Veranlassung, das Vorbringen der Kläger als willkürlich zu bewerten. tl;dr: Weder die Unwahrscheinlichkeit einer Tatsache noch die Unwahrscheinlichkeit der Wahrnehmung der Tatsache durch einen benannten Zeugen berechtigen das Tatgericht, von einer beantragten Zeugenvernehmung wegen Ungeeignetheit abzusehen. Erforderlich ist, dass es völlig ausgeschlossen erscheint, dass die Vernehmung sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 12.12.2018 – XII ZR 99/17. Foto: ComQuat, BGH - Empfangsgebäude, CC BY-SA 3.0