BGH zu den Folgen des Widerrufs einer Prozessführungsermächtigung

Bild des Bundesgerichtshofs„Prozessrecht am Hochreck“ im Bereich der Prozessstandschaft ist das nicht gerade kurze, aber sehr instruktive Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27.02.2015 – V ZR 128/14.

Darin geht es um die seit langem umstrittene Frage, welche Auswirkungen es hat, wenn die einmal erteilte Prozessführungsermächtigung im Laufe des Rechtsstreits widerrufen wird.

Sachverhalt

Die Kläger waren Eigentümer einer Wohnung in einem aus zwei Wohnungen bestehenden Haus. Mit Einverständnis des weiteren Eigentümers begehrten sie die Feststellung, dass das mit dem Haus bebaute Grundstück keinem Anschluss- und Benutzungszwang an die Heizungs- und Warmwasserbereitungsanlage der Beklagten unterliege.

Vor Beginn der Berufungsverhandlung änderte der weitere Eigentümer aber seine Meinung, widerrief die zuvor erteilte Prozessführungsermächtigung und trat dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenient bei. Das Berufungsgericht hat die Klage daraufhin als unzulässig abgewiesen. Denn den Klägern fehle nach dem Widerruf der Prozessführungsrmächtigung die Prozessführungsbefugnis, da sie einen Anspruch geltend machten, dessen prozessuale Durchsetzung nicht dem einzelnen Wohnungseigentümer, sondern dem Verband der Wohnungseigentümer unterliege. Die Beklagte sei auch nicht schutzwürdig, da sie sich mit einer Abweisung der Klage als unzulässig ausdrücklich einverstanden erklärt habe.

Die Prozessführungsbefugnis ist im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung selten problematisch, weil die klagende Partei in aller Regel eigene Ansprüche geltend macht. Hier lag aber ein Ausnahmefall vor, weil die Kläger einen Anspruch geltend machten, der nicht den Klägern als Eigentümer einer der Wohnungen sondern sämtlichen (beiden) Eigentümern gemeinsam zustand.

Die Kläger machten daher ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend. Diese sog. gewillkürte Prozessstandschaft ist außerhalb der im Gesetz vorgesehenen Fälle (s. z.B. § 1629 Abs. 3 BGB oder § 265 ZPO) nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig:

  1. Die Kläger mussten ein eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben (das war unproblematisch der Fall),
  2. es musste sich um einen übertragbaren Anspruch handeln (das ist mit Ausnahme von §§ 985 und 1004 BGB eigentlich auch immer der Fall),
  3. der Gegner durfte durch die Prozessstandschaft nicht benachteiligt werden (dafür ist nichts ersichtlich) und
  4. der Anspruchsinhaber muss die klagende Partei ermächtigt haben, den Anspruch geltend zu machen.

Und genau hier lag das Problem. Denn der andere Eigentümer hatte die Kläger zwar zunächst ermächtigt, diese Ermächtigung allerdings widerrufen. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung lagen die Voraussetzungen der Prozessstandschaft also nicht mehr vor.

Der BGH musste daher entscheiden, ob die Klage daher als unzulässig abzuweisen war oder ob die einmal erteilte Ermächtigung fortwirkte.

Entscheidung

Der BGH legt zunächst ausführlich dar, dass die Voraussetzungen der Prozessstandschaft ursprünglich vorlagen. Insbesondere habe es keines förmlichen Beschlusses der Wohnungseigentümergemeinschaft bedurft, um die Kläger zu ermächtigen, den Anspruch geltend zu machen.

Das Berufungsgericht habe die Klage aber zu Recht als unzulässig abgewiesen.

„Die Voraussetzungen für eine Prozessstandschaft müssen (noch) im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorliegen […].

Da der Nebenintervenient seine Ermächtigung zur Prozessführung durch die Kläger vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht materiell-rechtlich wirksam widerrufen und die Beklagte sich mit der Abweisung der Klage als unzulässig einverstanden erklärt hat, sind die Voraussetzungen der zunächst gegebenen gewillkürten Prozessstandschaft der Kläger entfallen.

aa) Ob die von dem Rechtsinhaber erteilte Prozessermächtigung während eines laufenden Prozesses widerrufen werden kann und welche Auswirkungen ein solcher Widerruf auf die Zulässigkeit der Klage hat, ist allerdings bislang nicht hinreichend geklärt.

(1) Der Senat hat in einer älteren Entscheidung ohne weitere Differenzierung den Widerruf als jederzeit möglich angesehen (Urteil vom 12. Juli 1985 - V ZR 56/84, NJW-RR 1986, 158). Dem haben sich andere Senate des Bundesgerichtshofs […] und auch Teile der Literatur angeschlossen […].

(2) Demgegenüber soll sich nach Auffassung des VI. Zivilsenats und weiter Teile der Literatur der Widerruf einer rechtswirksam erteilten Ermächtigung während des gerichtlichen Verfahrens auf ihren Fortbestand nicht auswirken […]

(3) Schließlich findet sich in der Literatur die Meinung, dass zwar der Widerruf auch nach Klageerhebung wirksam sei, allerdings müsse zum Schutz des Prozessgegners entweder der Prozess in analoger Anwendung des § 265 Abs. 2 ZPO zwischen den bisherigen Parteien weitergeführt oder aber ein gesetzlicher Parteiwechsel von dem Prozessstandschafter auf den Rechtsinhaber gemäß § 239 ff. ZPO analog angenommen werden […].

bb) Richtigerweise bestimmt sich die Wirksamkeit des Widerrufs einer Ermächtigung zur Prozessführung zunächst nach den materiell-rechtlichen Grundlagen der Ermächtigung.

(1) Die Qualifizierung der Ermächtigung zur Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen als Prozesshandlung […] ändert nichts daran, dass sich Erteilung, Bestand und Willensmängel der Ermächtigung mangels näherer Regelung in der Zivilprozessordnung grundsätzlich nach den Vorschriften des Rechtsgebiets richten, dem das streitige Recht angehört, im Zivilprozess also regelmäßig nach bürgerlichem Recht […].

(a) Materiell-rechtlich ist die Ermächtigung zur Prozessführung mit einer Verfügungsermächtigung gemäß § 185 Abs. 1 BGB vergleichbar […]. Diese legitimiert einen Nichtberechtigten zur Verfügung über einen fremden Gegenstand im eigenen Namen.

Sie ist funktional und systematisch mit der unmittelbaren Stellvertretung verwandt, da beide es ermöglichen, unmittelbar auf den Rechtskreis eines anderen einzuwirken. Sie unterscheiden sich allerdings darin, dass der Ermächtigte im eigenen Namen auftritt, während bei der Stellvertretung ausschließlich der Vertretene Geschäftspartei ist […].

Die Prozessführungsermächtigung berechtigt den Ermächtigten zur Durchsetzung eines fremden Rechts im eigenen Namen. Diese Ähnlichkeit zwischen Verfügungsermächtigung und Prozessführungsermächtigung rechtfertigt es, die Regelung über die Widerruflichkeit einer Verfügungsermächtigung (§ 183 BGB) auch auf die Prozessführungsermächtigung anzuwenden […].

(b) Hieraus folgt aber nicht, dass eine Prozessführungsermächtigung nur bis zur Erhebung der Klage widerrufen werden kann. Die Einwilligung ist ebenso wie die Vollmacht (§ 168 Satz 2 BGB) frei widerruflich, soweit sich nicht aus dem Gesetz oder aus dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis ein anderes ergibt […].

Die Widerruflichkeit einer Ermächtigung endet erst mit der Vornahme des Hauptgeschäfts (§ 183 Satz 1 BGB). Insoweit kommt es auf dessen vollständige Verwirklichung an; bei mehraktigen Verfügungsgeschäften ist der Widerruf bis zu dem Zeitpunkt möglich, in dem das letzte Teilstück des Rechtsgeschäfts vorgenommen wird […].

Bei einer Prozessführungsermächtigung ist Hauptgeschäft die gerichtliche Durchsetzung eines Rechts. Demgemäß umfasst eine Prozessführungsermächtigung nicht nur die Einleitung eines Rechtsstreits, sondern dessen Führung insgesamt. Zur Durchsetzung des Rechts genügt in den wenigsten Fällen die Erhebung der Klage. Um das erstrebte Ziel – eine verbindliche Entscheidung über den materiellen Anspruch – zu erreichen, sind regelmäßig vielfältige weitere Maßnahmen und Erklärungen des Prozessstandschafters notwendig (z. B. Antragstellung in der mündlichen Verhandlung, Beweisantritte, Rechtsmitteleinlegung).

Dies hat zur Folge, dass eine Prozessführungsermächtigung mit materiell-rechtlicher Wirkung auch während des Rechtsstreits widerrufen werden kann, solange zur Durchsetzung des Rechts noch Prozesshandlungen des Prozesstandschafters geboten sind. Etwas anderes gilt nur, wenn sich aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis Abweichendes, z. B. die Unwiderruflichkeit der Ermächtigung, ergibt.

(2) Ein hiernach im Verhältnis zwischen dem Rechtsinhaber und dem Ermächtigten materiell-rechtlich wirksamer Widerruf der Prozessführungsermächtigung führt allerdings nicht in jedem Fall zur Unzulässigkeit der Klage.

(a) Erfolgt der Widerruf nach dem Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten, bleibt er verfahrensrechtlich allerdings ohne Auswirkungen auf die Prozessführungsbefugnis des Klägers, sofern nicht der Beklagte einer Abweisung der Klage als unzulässig zustimmt. Das folgt aus den Grundsätzen über den Widerruf von Prozesshandlungen.

(aa) Prozesshandlungen sind wegen ihrer prozessgestaltenden Wirkung grundsätzlich unwiderruflich, wenn sie als so genannte Bewirkungshandlungen die Prozesslage unmittelbar beeinflussen, wie dies etwa bei der Rücknahme der Klage oder der Rücknahme eines Rechtsmittels der Fall ist […]. Der Ermächtigung eines Dritten zur Prozessführung kommt eine derartige prozessgestaltende Funktion allerdings nicht zu, vielmehr dient sie – wie beispielsweise auch die Erteilung einer Prozessvollmacht – der Vorbereitung des unmittelbar prozessbezogenen Geschehens […].

(bb) Prozesshandlungen, deren bezweckter Erfolg erst auf Grund eines Tätigwerdens des Gerichts eintritt (so genannte Erwirkungshandlung, […]), und zu denen auch die Prozessführungsermächtigung gezählt werden kann, sind dagegen widerruflich, solange durch sie keine geschützte Position der Gegenseite entstanden ist […].

Eine geschützte Rechtsposition erlangt die beklagte Partei, wenn sie bereits zur Hauptsache mündlich verhandelt hat. Von diesem Zeitpunkt an kann die Klage nur noch mit ihrer Zustimmung zurückgenommen werden (§ 269 Abs. 1 ZPO). Der Kläger hat es also nicht mehr allein in der Hand, eine Entscheidung des Gerichts durch eine Klagerücknahme zu vermeiden.

Diese Rechtsposition des Beklagten muss auch zum Tragen kommen, wenn dem Kläger die Prozessführungsbefugnis mittels Widerrufs seiner Prozessführungsermächtigung durch den Rechtsinhaber entzogen wird. Denn der Widerruf wirkte für die beklagte Partei wie eine Klagerücknahme, wenn er ohne weiteres zur Unzulässigkeit der Klage führte. Durch einen willentlichen, der Sphäre des Klägers zuzurechnenden Akt wäre einer Entscheidung des Gerichts in der Sache der Boden entzogen, eine erneute Klage aber jederzeit möglich.

Dies muss ein Beklagter, der bereits zur Hauptsache mündlich verhandelt hat, nach dem Rechtsgedanken des § 269 Abs. 1 ZPO nicht hinnehmen. Stimmt er einer Abweisung der Klage als unzulässig nicht zu, ist die Ermächtigung des Klägers, auch wenn sie materiell-rechtlich wirksam widerrufen wurde, mit Rücksicht auf den Vorrang des Prozessrechts in diesem Bereich (vgl. § 51 ZPO) als fortbestehend anzusehen und der Rechtsstreit […] mit dem Prozessstandschafter fortzusetzen. Soweit sich aus dem Senatsurteil vom 12. Juli 1985 (V ZR 56/84, NJW-RR 1986, 158) etwas anderes ergibt, wird daran nicht festgehalten.

(b) Ist der Widerruf vor der Einlassung des Beklagten zur Hauptsache erfolgt, sind schutzwürdige Belange der Gegenseite des Prozessstandschafters nicht berührt. Es besteht daher kein Grund, dem materiell-rechtlich wirksamen Widerruf der Ermächtigung eine prozessrechtliche Wirkung zu versagen. Dieser entzieht vielmehr dem Kläger die Prozessführungsbefugnis mit der Folge, dass die Klage als unzulässig abzuweisen ist […]

Die in der Literatur […] für die Annahme einer trotz Widerrufs der Ermächtigung fortbestehenden Prozessführungsbefugnis herangezogenen prozessualen Vorschriften stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Aus § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO lässt sich der Fortbestand der Prozessführungsbefugnis trotz Widerrufs der Ermächtigung weder unmittelbar noch aufgrund einer entsprechenden Anwendung herleiten. Nach dieser Bestimmung hat die Veräußerung der im Streit befangenen Sache oder die Abtretung des geltend gemachten Anspruchs auf den Prozess keinen Einfluss. Dies bedeutet, dass bei einer Rechtsnachfolge auf Klägerseite grundsätzlich der bisherige Kläger den Prozess für den Rechtsnachfolger in gesetzlicher Prozessstandschaft fortführt […].

Hiermit ist der nachträgliche Wegfall der Voraussetzungen für eine gewillkürte Prozessstandschaft nicht vergleichbar, weil das materielle Recht, um das es im Prozess geht, bei einer Prozessstandschaft nicht übertragen wird. Es steht vielmehr schon während der Dauer der Prozessstandschaft ebenso wie nach deren Ende unverändert dem Rechtsinhaber zu […]. Der in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO im Zusammenhang mit der Zuständigkeit des Prozessgerichts statuierte Grundsatz der perpetuatio fori regelt einen speziellen Fall, der dem nach Klageerhebung erklärten Widerruf einer Prozessführungsermächtigung ebenfalls nicht gleichgestellt werden kann.

cc) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.“

tl;dr: Eine Prozessführungsermächtigung kann entsprechend § 183 BGB widerrufen werden, solange zur Durchsetzung des Rechts noch Prozesshandlungen des Prozessstandschafters geboten sind. Nach Beginn der mündlichen Verhandlung (§ 137 ZPO) gilt dies zum Schutz der beklagten Partei aber nur, wenn diese einer Abweisung der Klage als unzulässig zustimmt.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil v. 27.02.2015 – V ZR 128/14. Foto: © Kucharek | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0