BGH zur Bindung des Streitverkündeten an das Ergebnis eines selbständigen Beweisverfahrens

Mit zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehenem Urteil vom 18.12.2014 – VII ZR 102/14 hat der Bundesgerichtshof wichtige Grundsätze zur Reichweite der Bindungswirkung einer Streitverkündung im selbständigen Verfahren aufgestellt.

Sachverhalt

In dem Rechtsstreit ging es um einen Schaden am PKW des Klägers, für den entweder der Beklagte oder die K-GmbH verantwortlich war. Denn die K-GmbH hatte einige Zeit zuvor einen neuen Kühler in das Fahrzeug eingebaut; der Beklagte hatte kurz zuvor einen Motorschaden an dem PKW repariert. Sowohl die K-GmbH als auch der Beklagte schoben einander gegenseitig die Verantwortung für den Schaden zu. Beide lehnten es auch ab, einen unabhängigen Sachverständigen mit der Feststellung der Schadensursache zu beauftragen.

Der Kläger leitete daher gegen die K-GmbH ein selbständiges Beweisverfahren ein und verkündete dem Beklagten dem Streit, der dem Verfahren aber nicht beitrat. Der Sachverständige stellte fest, dass nicht der Antragsgegner sondern der Beklagte für den Mangel verantwortlich sei. Von diesem verlangte der Kläger nun im nachfolgenden Prozess Schadensersatz. Der Beklagte war der Ansicht, dass ihn das Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens nicht binde.

Der Kläger befand sich hier in einem Dilemma: Es sprach alles dafür, dass entweder der Beklagte oder aber die K-GmbH für den Schaden an seinem PKW verantwortlich war. Der Kläger wusste nur nicht, wer von beiden. Einfach eine Klage gegen einen der beiden zu erheben, wäre riskant gewesen. Denn möglicherweise wäre in diesem Prozess gerade die Verantwortlichkeit des anderen festgestellt worden. Dann hätte der Kläger nicht nur die Kosten des ersten Prozesses tragen, sondern gegen den anderen einen weiteren Prozess führen müssen, ohne dass das vorherige Prozessergebnis für den neuen Rechtsstreit bindend gewesen wäre.

In diesen Fällen hilft eine Streitverkündung gem. §§ 72 ff. ZPO. Denn gem. § 74 ZPO trifft den Streitverkündeten im Falle einer zulässigen Streitverkündung (Abs. 3) oder eines Beitritts (Abs. 1) die Interventionswirkung des § 68 ZPO. Der Streitverkündete muss dann in einem Folgeprozess die „tragenden tatsächlichen Feststellungen und deren rechtliche Beurteilung“ im Erstprozess gegen sich gelten lassen. Der Kläger landet daher im Falle einer zulässigen Streitverkündung niemals „zwischen den Stühlen“. Über den Wortlaut des § 72 ZPO gilt die Vorschrift nach h. M. nicht nur für Rückgriffsansprüche, sondern auch - wie hier - in sog. Alternativverhältnissen.

Der Kläger hatte hier aber nicht sofort Klage erhoben, sondern zunächst die Durchführung eines deutlich günstigeren selbständigen Beweisverfahrens gem. §§ 485 ZPO beantragt. Damit kann während oder außerhalb eines Prozesses über eine streitige Tatsachenfrage Beweis erhoben werden. Das Beweisergebnis kann gem. § 493 ZPO später im Prozess verwendet werden. Steht – wie hier – vor allem eine Tatsachenfrage zwischen den Parteien im Streit, kann schon das (bindende) Ergebnis der Beweisaufnahme geeignet sein, den Streit beizulegen. Auch in einem solchen selbständigen Beweisverfahren ist eine Streitverkündung zulässig.

In diesem selbständigen Beweisverfahren hatte der Sachverständige nun festgestellt, dass nicht der Antragsgegner sondern der Beklagte für den Mangel verantwortlich war. Fraglich war nur, ob dieses Ergebnis von der Interventionswirkung des § 68 ZPO umfasst war. Denn in einem selbständigen Beweisverfahren gibt es keine „tragenden tatsächlichen Feststellungen“, weil eben es nicht zu einem Urteilsspruch kommt, sondern lediglich eine Beweisaufnahme durchgeführt wird.

Entscheidung

Der BGH ist der Ansicht, der Beklagte müsse die Feststellung aus dem selbständigen Beweisverfahren, das er den Mangel zu verantworten habe, entsprechend § 74 Abs. 3 i.V.m. § 68 ZPO gegen sich gelten lassen.

Auch ohne Beitritt des Beklagten treffe diesen die Interventionswirkung des § 74 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 68 ZPO, denn die Streitverkündung sei zulässig gewesen. Insbesondere sei die Streitverkündung über den Wortlaut des § 72 Abs. 1 ZPO hinaus auch zulässig, wenn die Ansprüche gegen den Antragsgegner und den Streitverkündeten in einem tatsächlichen oder rechtlichen Alternativverhältnis stünden. Das brauche sogar noch nicht einmal von vornherein sicher festzustehen; ausreichend sei, dass der Sachverhalt – wie hier – eine alternative Schuldnerschaft nahe lege.

Zur Reichweite der Bindungswirkung führt der BGH aus:

„aa) Die Bindungswirkung einer in einem Rechtsstreit erfolgten Streitverkündung kommt nicht nur dem Entscheidungsausspruch, sondern auch den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen zu, auf denen das Urteil im Vorprozess beruht. Sie greift dagegen nicht für Feststellungen des Erstgerichts, auf denen sein Urteil nicht beruht (sog. überschießende Feststellungen).

Dafür kommt es nicht auf eine subjektive Sichtweise des Gerichts, sondern darauf an, worauf die Entscheidung des Erstprozesses objektiv nach zutreffender Rechtsauffassung beruht. Jedoch muss der Empfänger einer Streitverkündung auch damit rechnen, dass sich das Erstgericht für einen Begründungsansatz entscheidet, den er nicht für richtig hält. Dieser Begründungsansatz gibt den Rahmen vor. Eine in diesem Rahmen objektiv notwendige Feststellung wird nicht deshalb überschießend, weil sie sich bei der Wahl eines anderen rechtlichen Ansatzes erübrigt hätte […].

bb) Bei der entsprechenden Anwendung auf ein selbständiges Beweisverfahren bedeutet dies, dass dessen Beweisergebnis Bindungswirkung gegenüber dem Streitverkündeten nach § 68 ZPO entfaltet, wenn es im Verhältnis zum Antragsgegner von rechtlicher Relevanz ist. Das ist auch dann der Fall, wenn die vom Sachverständigen durchgeführte Begutachtung zugleich zu Erkenntnissen darüber führt, ob ein Dritter die Ursache des Mangels oder des Schadens gesetzt hat.

Dagegen besteht keine rechtliche Relevanz im Verhältnis zum Antragsgegner, soweit das Beweisergebnis nicht geeignet ist, zur Klärung der Frage beizutragen, ob der Antragsgegner den streitgegenständlichen Mangel oder Schaden verursacht hat.“ [Hervorhebungen durch Bearb.]

Hier hatte der Sachverständige ausdrücklich festgestellt, dass nicht der Antragsgegner (die K-GmbH) sondern der Streitverkündete und spätere Beklagte für den Schaden verantwortlich war. Dieses Ergebnis war dem Antragsgegner gegenüber relevant (denn es entlastete ihn) und entfaltete daher auch gegenüber dem Streitverkündeten Bindungswirkung.

Anmerkung

Will der Antragsteller den Streitverkündeten aufgrund des Ergebnisses selbständigen Beweisverfahrens in Anspruch nehmen, hat die Bindungswirkung allerdings noch eine zweite Voraussetzung, die der BGH leider nur am Rande thematisiert. Denn dann muss das Ergebnis nicht nur dem Antragsgegner gegenüber relevant sein, sondern es muss gleichzeitig auch die Verantwortlichkeit des Streitverkündeten positiv festgestellt werden. Die Streitverkündung darf nämlich nicht dazu führen, dass aufgrund der Unaufklärbarkeit im Verhältnis zu einem der möglichen Anspruchsgegner im Wege einer Bindungswirkung plötzlich der andere haftet, ohne dass dessen Verantwortlichkeit positiv festgestellt wäre.

tl;dr: Die Bindungswirkung des § 68 ZPO bei alternativer Haftung umfasst im selbständigen Beweisverfahren ein Beweisergebnis, das im Verhältnis zum Antragsgegner von rechtlicher Relevanz ist.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil v. 18.12.2014 - VII ZR 102/14. Foto: ComQuat, BGH - Palais 2, CC BY-SA 3.0