BGH zur Verspätung in der Berufungsinstanz

Die Folgen eines verspätet eingezahlten Auslagenvorschusses waren hier vor rund einem Jahr schon Thema, das Verhältnis von § 296 Abs. 1 und § 296 Abs. 2 ZPO erst kürzlich. In einem aktuellen Beschluss vom 31.05.2017 – VIII ZR 69/16 hat sich der Bundesgerichtshof nun damit befasst, welche Folgen ein in erster Instanz (überhaupt) nicht eingezahlter Auslagenvorschuss im Berufungsverfahren hat. 
Sachverhalt
Die Klägerin kaufte von der Beklagten das Pferd „K“ für 11.000 EUR. Nach Übergabe bemängelte sie eine bei dem Pferd periodisch auftretende Augenentzündung. Die Beklagte bestritt diesen Mangel; die Parteien kamen aber überein, dass die Klägerin sich ein anderes Pferd aus dem Bestand der Beklagten aussuchen solle. Von diesem Pferd, „N“, behauptete die Klägerin in der Folge, es leide an einer Lahmheit. Die Klägerin nahm die Beklagte deshalb u.a. auf Rückzahlung des Kaufvertrages Zug um Zug gegen Rückgabe des (zweiten) Pferdes in Anspruch. Das Landgericht stellte sich auf den (interessanten) rechtlichen Standpunkt, die Abrede der Parteien, wonach nach sich die Klägerin ein anderes Pferd aussuchen sollte, sei als Tauschgeschäft im Sinne des § 480 BGB einzustufen. Im Erfolgsfälle könne die Klägerin daher nicht den Kaufpreis, sondern nur Eigentum und Besitz an dem Pferd „K“ erhalten. Die Klägerin erklärte daraufhin, dass sie den Vorschuss nicht einzahlen werde, weil sie kein Interesse daran habe „statt des lahmen Pferdes das blinde Pferd zu erhalten“. Das Landgericht holte das Sachverständigengutachten mangels Vorschuss nicht ein und wies die Klage ab. Die Berufung blieb erfolglos. Das Berufungsgericht führte aus, zwar sei in der Abrede der Parteien eine Abrede über die Nacherfüllung zu sehen. Mit der Behauptung, das Pferd leide an einer Lahmheit, sei die Klägerin in der Berufungsinstanz aber gem. §§ 531 Abs. 1, 296 Abs. 1, 282 ZPO ausgeschlossen, weil sie den Vorschuss nicht eingezahlt habe.

Die Klägerin hatte hier in erster Instanz den Auslagenvorschuss für das einzuholende Sachverständigengutachten überhaupt nicht eingezahlt, weil sie die Rechtsansicht der Vorinstanz (Tauschvertrag) für unrichtig hielt. Das erstinstanzliche Gericht hatte die Klägerin daher (zu Recht) für beweisfällig gehalten und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hielt die Rechtsansicht (Tauschvertrag) für falsch, war aber der Ansicht, mangels Einzahlung des Vorschusses sei dem Beweisangebot nun aber in der Berufungsinstanz nicht mehr nachzugehen und hatte diese Ansicht auf §§ 531 Abs. 1, 296 Abs. 1, 282 ZPO gestützt. § 531 Abs. 1 ZPO bestimmt insoweit, dass zu Recht zurückgewiesene Angriffs- und Verteidigungsmittel auch in der Berufungsinstanz ausgeschlossen bleiben; Absatz 2 regelt bestimmte - enge - Voraussetzungen, unter denen neue Tatsachen zuzulassen wären. Fraglich war daher hier, ob das Berufungsgericht zu Recht die Voraussetzungen von § 531 Abs. 1 ZPO bejaht hatte.
Entscheidung
Der Senat hat – nach Zulassung der Revision – das Berufungsurteil wenig überraschend aufgehoben und die Sache zurückverwiesen:

„Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin auf Rückabwicklung des Kaufvertrages (§ 346 BGB i.V.m. § 437 Nr. 2, §§ 440, 323 BGB) […] nicht verneint werden.

Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Austausch der beiden Pferde nicht als Tauschvertrag im Sinne des § 480 BGB, sondern als eine einvernehmlich durchgeführte Nacherfüllung (Ersatzlieferung) zu werten ist. Nachdem die Klägerin die Beklagte im Hinblick auf die von ihr behaupteten Mängel des ersatzweise gelieferten Pferdes N. unter Fristsetzung vergeblich zur Nacherfüllung aufgefordert hatte, kam es deshalb für die Begründetheit des Rückabwicklungsbegehrens der Klägerin allein auf die Mangelhaftigkeit des ersatzweise gelieferten Pferdes N. an. Insoweit hatte die Klägerin den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens in der Berufungsinstanz aufrechterhalten.

Diesen Beweisantrag durfte das Berufungsgericht jedoch nicht – wie geschehen – nach § 531 Abs. 1, § 296 Abs. 1, § 282 ZPO zurückweisen.

1. Nach § 531 Abs. 1 ZPO bleiben Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden sind, ausgeschlossen.

Hieran fehlt es. Zwar kann ein Antrag auf Vernehmung eines Zeugen oder auf Einholung eines Sachverständigengutachtens bei unterbliebener Einzahlung des angeforderten Auslagenvorschusses unter den Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden […].

Auf diese Weise ist das Landgericht aber gerade nicht verfahren, denn es hat den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Mangelhaftigkeit des Pferdes N. nicht zurückgewiesen, sondern in seinem Urteil lediglich ausgeführt, das Gutachten sei gemäß §§ 402, 379 Satz 2 ZPO nicht eingeholt worden, weil die angeforderte Vorschusszahlung unterblieben ist. Zudem hat das Landgericht weder die Vorschrift des § 296 ZPO zitiert, noch deren Voraussetzungen geprüft. In einem solchen Fall scheidet eine Zurückweisung durch das Berufungsgericht nach § 531 Abs. 1 ZPO von vornherein aus […].

2. Das Berufungsgericht durfte die vom Landgericht unterlassene Zurückweisung auch nicht etwa selbst vornehmen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Rechtsmittelgericht weder eine von der Vorinstanz unterlassene Zurückweisung nachholen noch die Zurückweisung auf eine andere als die von der Vorinstanz angewendete Verspätungsalternative stützen […].

Unabhängig davon ist aber auch die Annahme des Berufungsgerichts, eine Zurückweisung des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Mangelhaftigkeit des Pferdes N. hätte auf § 296 Abs. 1 ZPO gestützt werden können, von Rechtsfehlern beeinflusst.

Die vom Berufungsgericht allein in Betracht gezogene Vorschrift des § 296 Abs. 1 ZPO ist schon nicht einschlägig, weil sie sich nur auf die Versäumung bestimmter, ausdrücklich genannter Fristen bezieht, zu der eine Frist zur Einzahlung eines Auslagenvorschusses nicht gehört.

Vielmehr hätte eine Zurückweisung (durch das Landgericht) nur unter den Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO erfolgen können. Dies hätte allerdings unter anderem eine grobe Nachlässigkeit der Klägerin vorausgesetzt, an der es fehlte. Denn die Klägerin hatte die Einzahlung des Kostenvorschusses ausdrücklich mit dem Hinweis abgelehnt, sie habe kein Interesse daran, statt des „lahmen N.“ den „blinden K.“ zu erhalten. Dies bezog sich ersichtlich auf die - auch vom Berufungsgericht als rechtlich unzutreffend eingeordnete - Auffassung des Landgerichts, bei dem Austausch der Pferde handele es sich um einen Tauschvertrag nach § 480 BGB mit der Folge, dass die Klägerin auch bei Nachweis der Lahmheit des Pferdes N. ihr hauptsächliches Klageziel, nämlich die Rückzahlung des Kaufvertrages, nicht hätte erreichen können[…]. Dass die Klägerin angesichts dieser […] Rechtsauffassung des Gerichts von der Einzahlung des geforderten Vorschusses abgesehen hat, begründet keine grobe Nachlässigkeit.

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO), denn eine Nichtzulassung des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Mangelhaftigkeit des Pferdes N. war auch nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO gerechtfertigt.

a) Allerdings sind nach dieser Vorschrift in der Berufungsinstanz neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur unter bestimmten (eingeschränkten) Voraussetzungen zuzulassen.

Neu sind dabei alle Angriffs- und Verteidigungsmittel, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz nicht vorgebracht worden sind; dazu gehören auch solche, die die Partei zwar zunächst vorgebracht, dann aber fallen gelassen hat (vgl. § 399 ZPO). […]

Hieran fehlt es jedoch, denn die Klägerin hatte das Sachverständigengutachten bereits in der ersten Instanz beantragt und in der Folgezeit auch nicht darauf verzichtet. Die bloße Nichteinzahlung eines geforderten Vorschusses kann grundsätzlich nicht als Verzicht auf das Beweismittel angesehen werden; zudem hat die Klägerin die unterbliebene Vorschusszahlung hier ausdrücklich mit dem Hinweis auf die vom Landgericht zum „Tausch“ geäußerte (unrichtige) Rechtsauffassung begründet, so dass auch aus diesem Grund von einem Verzicht auf das Beweismittel keine Rede sein kann.

b) Im Übrigen wären selbst im Fall eines in der ersten Instanz erklärten Verzichts der Klägerin auf den Beweisantritt die Voraussetzungen einer Zulassung eines in der Berufungsinstanz erneut gestellten Beweisantrags nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gegeben gewesen. Denn nach der (unrichtigen) Rechtsauffassung des Landgerichts waren die Mangelhaftigkeit des Pferdes N. und der darauf bezogene Beweisantritt für die von der Klägerin in erster Linie erstrebte Rückabwicklung des Kaufvertrages beziehungsweise die Rückzahlung des Kaufpreises unerheblich und hat dies das Prozessverhalten der Klägerin in der ersten Instanz beeinflusst.“

Anmerkung
Die Anwendung der Verspätungsvorschriften bereitet Gerichten immer wieder große Probleme, wie die Vielzahl der dazu ergangenen und ergehenden Entscheidungen zeigt. Diese Schwierigkeiten dürften auch das ausführliche und beinahe belehrende obiter dictum in dieser Entscheidung erklären. Für die anwaltliche Praxis heißt, dass eine Zurückweisung wegen Verspätung stets genau geprüft werden sollte und einem Angriff durch ein Rechtsmittel nicht immer standhalten wird. Bei der Prüfung der Verspätungsvoraussetzungen könnte im Übrigen die hier auf der „Service“-Seite hinterlegte Checkliste hilfreich sein; die verschiedenen Fluchtwege werden hier erläutert. tl;dr: Gem. § 531 Abs. 1 ZPO unberücksichtigt bleiben nur diejenigen Angriffs- und Verteidigungsmittel, die ausdrücklich und zu Recht zurückgewiesen wurden. Bei § 296 Abs. 1 ZPO setzt dies die Versäumung einer der dort ausdrücklich genannten Fristen voraus. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 31.05.2017 – VIII ZR 69/16. Foto: ComQuat | BGH - Empfangsgebäude | CC BY-SA 3.0