Der (drohende) Brexit als Arrestgrund?

Mit „Große Politik im kleinen Zivilprozess“ könnte man den Beschluss des OLG Frankfurt vom 03.05.2019 – 2 U 1/19 ziemlich treffend überschreiben. Denn er zeigt exemplarisch, vor welche Herausforderungen der angekündigte Brexit auch die verfahrens- und vollstreckungsrechtliche Praxis stellt, gerade weil bzw. soweit die Gefahr besteht, dass das vereinigte Königreich ohne ein Austrittsabkommen aus der EU ausscheiden wird.

Sachverhalt (vereinfacht)

Die Arrestklägerin ist Eigentümerin von Praxisräumen, die sie an den Arrestbeklagten vermietet hatte, der britischer Staatsbürger ist. Dieser teilte der Klägerin am 07.05.2018 mit, er habe seine Praxis zum 12.4.2018 geschlossen und wolle diese verkaufen. Er sei auch nicht mehr in Deutschland wohnhaft. Nach Recherchen der Klägerin wohnt der Beklagte im Vereinigten Königreich. Auf Antrag der Verfügungsklägerin hat das Landgericht Wiesbaden durch Beschluss vom 13.8.2018 wegen der rückständigen Miete, Verzugszinsen und der Kosten des Verfahrens den dinglichen Arrest in das Vermögen des Beklagten angeordnet. Eine Zustellung an die im Mietvertrag angegebene Anschrift in Deutschland misslang, die Zustellung konnte aber unter einer von der Klägerin recherchierten Anschrift im Vereinigten Königreich erfolgen. Auf den Widerspruch des Arrestbeklagten hat das Landgericht den dinglichen Arrest durch Urteil vom 27.11.2018 bestätigt. Es bestehe die Besorgnis, dass ohne die Verhängung des Arrests die Vollstreckung aus einem Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert würde, da das Urteil im Ausland vollstreckt werden müsse und die Gegenseitigkeit nicht verbürgt sei. Denn aufgrund des am 23.6.2016 durchgeführten Referendums, bei dem sich mehr als 50 % der Wähler für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ausgesprochen hätten, und der Einleitung des Austrittsprozesses gemäß Art. 50 des Vertrages über die Europäische Union sei nach derzeitigem Stand davon auszugehen, dass Großbritannien nach Ablauf der in Art. 50 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union normierten zweijährigen Verhandlungsphase vom 29.3.2019 an nicht mehr Mitglied der Europäischen Union sein werde. Dagegen wendet sich der Arrestbeklagte mit seiner Berufung.

Die Arrestklägerin hatte hier wegen der rückständigen Miete den Erlass eines dinglichen Arrests gegen den Arrestbeklagten beantragt. Ein solcher Arrestbefehl ist ein eigener, vorläufiger (Zahlungs-)Titel, der es der Arrestklägerin ermöglichen würde, die Vollstreckung gegen den Beklagten zu betreiben. Er könnte also z.B. Forderungen (Konten!), Firmenbeteiligungen oder bewegliche Gegenstände pfänden (§§ 928, 930 ZPO) oder Sicherungshypotheken in das Grundbuch eintragen lassen (§§ 928, 932 ZPO). (Bei einer Pfändung ermächtigt der Arrestbefehl aber lediglich zur Pfändung, nicht auch zur Verwertung. Forderungen dürfen dem Gläubiger daher z.B. nicht überwiesen werden (§§ 835 ff. ZPO).) Der dingliche Arrest soll so die spätere Zwangsvollstreckung sichern (§ 916 Abs. 1 ZPO) und entspricht in etwa dem, was landläufig unter „Vermögen einfrieren“ verstanden wird: Das Vermögen des Beklagten (Schuldners) wird zugunsten des Klägers (Gläubigers) gesichert und dem Schuldner die Verfügungsgewalt über das Vermögen entzogen, um dem Gläubiger zu ermöglichen, aus einem späteren Urteil die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Der Erlass eines Arrestes setzt dabei voraus, dass der Arrestanspruch (also die zu sichernde Forderung) und ein Arrestgrund glaubhaft gemacht werden. Der Anspruch der Arrestklägerin stand angesichts des Mietvertrages nicht im Zweifel. Und hinsichtlich des Arrestgrundes hatte sie sich insbesondere auf den bevorstehenden Brexit berufen.

Entscheidung

Das Oberlandesgericht konnte (allein) im drohenden Brexit allerdings keinen Arrestgrund erkennen:

„[Es] liegt ein zureichender Arrestgrund nicht schon darin, dass die Titel künftig im Ausland vollstreckt werden müssten und die Gegenseitigkeit nicht verbürgt wäre (§ 917 Abs. 2 S. 1 ZPO). Denn nach der hierfür anzustellenden Prognose werden zum Zeitpunkt des Vorliegens entsprechender vollstreckbarer Titel die Voraussetzungen hierfür nicht mit hinreichender Sicherheit vorliegen. Da ein Arrest die künftige Vollstreckung auch eines noch nicht vorliegenden Titels sichern soll, muss für die Entscheidung eine Prognose angestellt werden, ob eine Vereitelung oder wesentliche Erschwerung gerade dieser künftigen Vollstreckung droht. Die Beurteilung lediglich der gegenwärtigen Situation ist hierfür nicht ausreichend.

Die Situation, dass ein Titel im Ausland vollstreckt werden müsste und die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist, kann dann eintreten, wenn Großbritannien aus der Europäischen Union austritt und nach diesem Zeitpunkt kein weiteres internationales Abkommen entsprechend der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (...), dort Artikel 36 ff., die Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland erwirkter Urteile im Verhältnis zu Großbritannien regelt und zulässt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Großbritannien tatsächlich aus der Europäischen Union austreten wird, ist auch zum jetzigen Zeitpunkt hoch, nachdem die britischen Wähler diesen Austritt in dem Referendum vom 23.6.2016 mehrheitlich beschlossen haben und für eine Wiederholung eines solchen Referendums oder eine sonstige dieses Referendum außer Kraft setzende Entwicklung soweit ersichtlich kein konkreter Anhaltspunkt besteht. Gegenwärtig wurde der Austritt Großbritanniens zwischenzeitlich auf den 31.10.2019 als den spätesten Zeitpunkt verschoben. Dafür, dass die Klägerin rechtzeitig vor diesem Zeitpunkt über einen Vollstreckungstitel gegen den Beklagten verfügen würde, so dass ihr eine Vollstreckung in dem verbleibenden Zeitraum hinreichend möglich wäre, bestehen nach der bisherigen Entwicklung keine ausreichenden Anhaltspunkte. (...)

Zwar würde mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union grundsätzlich auch die oben genannte Verordnung wirkungslos, da ihre Anwendbarkeit die Mitgliedschaft der Staaten in der Europäischen Union voraussetzt. Die Europäische Union und Großbritannien bemühen sich aber, den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union durch ein Abkommen zu regeln. Das insoweit in der Vergangenheit verhandelte und entworfene Abkommen (2019/C 66 I/01) enthält hierzu in Artikel 67 Abs. 2 folgende Regelung:

„Im Vereinigten Königreich sowie in den Mitgliedstaaten finden in Fällen, die einen Bezug zum Vereinigten Königreich aufweisen, die folgenden Rechtsakte oder Bestimmungen auf die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen, Entscheidungen, öffentlich Urkunden, gerichtlichen Vergleichen und Gerichtsstandsvereinbarungen Anwendung: a) Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 findet Anwendung auf die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen, die in vor dem Ablauf des Übergangszeitraums eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergangen sind, sowie auf öffentliche Urkunden …“

Zwar hat das britische Unterhaus seine Zustimmung zu diesem Abkommen mit der Europäischen Union wiederholt versagt. Auch ist eine Zustimmung gegenwärtig nicht absehbar. Dass es letztlich zu einem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union kommt, ohne dass irgendein Abkommen mit der Europäischen Union diesen Austritt vertraglich regelte, erscheint aber nach der gegenwärtig vorzunehmenden Prognose als nicht überwiegend wahrscheinlich.

Gerade die erneute Fristverlängerung, nunmehr bis zum 31.10.2019, hat zum Ziel, durch weitere Verhandlungen doch noch den beiderseits grundsätzlich angestrebten Abschluss eines Abkommens zu erreichen. Sofern dies gelingen sollte, kann davon ausgegangen werden, dass jedenfalls die künftige Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus der Europäischen Union auch in Großbritannien in vergleichbarer Weise mitvereinbart werden würde. Diese Thematik gehört soweit ersichtlich nicht zu den umstrittenen Bereichen der politischen Debatte.“

Anmerkung

Im Ergebnis hat das OLG die Berufung aber doch zurückgewiesen, weil sich nämlich aus dem gesamten Verhalten des Beklagten ein Arrestgrund i.S.d. § 917 Abs. 1 ZPO ergebe. (Daran konnte angesichts des sonstigen Verhaltens des Arrestbeklagten auch kaum ein Zweifel bestehen.) Hinsichtlich der „Brexit-Frage“ ist das Ergebnis „salomonisch“, aber dogmatisch m.E. kaum überzeugend: Denn § 917 Abs. 2 ZPO kennt seinem Wortlaut nach hinsichtlich der verbürgten Gegenseitigkeit gerade keine Prognose, maßgeblich kann deshalb m.E. nur der Zeitpunkt der Entscheidung sein; der Anwendungsbereich von § 917 Abs. 2 ZPO wäre dann schon gar nicht eröffnet. Ein Arrestgrund kann sich daher nur aus § 917 Abs.  1 ZPO ergeben. Und da scheint mir das abstellen auf den Verlauf politischer Verhandlungen (die von britischer Seite bekanntlich ziemlich erratisch geführt werden), nur wenig überzeugend. Wollte man dieser Auffassung folgen, wäre immer der jeweilige Verhandlungsstand maßgeblich für das Vorliegen eines Arrestgrunds. Stocken die Verhandlungen oder erringt die neue Brexit-Partei bei einer Neuwahl eine Mehrheit, müsste man einen Arrestgrund vielleicht doch annehmen. Kommen die Verhandlungen später besser voran, müsste der Arrest ggf. gem. § 927 ZPO wegen veränderter Umstände wieder aufgehoben werden. Dadurch entsteht eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die kaum sinnvoll ist. (Bemerkenswert ist übrigens auch, dass das Urteil des LG Wiesbaden vor dem 29.03.2019 erging, das Urteil des OLG danach.) Überzeugender ist es daher m.E., in der Notification gem. Art. 50 EUV einen Arrestgrund i.S.d. § 917 Abs. 1 ZPO zu sehen, der erst dann entfällt, wenn ein Austrittsabkommen geschlossen wird (i. Erg. ebenso, wenn auch mit anderer Begründung, der sehr geschätzte Peter Bert in seinem Blog). Sehr lesenswert zum Brexit und den sich daraus ergebenden Folgen ist übrigens Rühl, JZ 2017, 72 ff.

tl;dr: Da es nicht wahrscheinlich ist, dass Großbritanniens ohne ein Abkommenaus der Europäischen Union ausscheidet, besteht momentan kein Arrestgrund i.S.d. § 917 ZPO.

Anmerkung/Besprechung, OLG Frankfurt, Urteil vom 02.05.2019– 2 U 1/19.