Brexit und Ausländersicherheit: Neues vom BPatG und ein Fragezeichen

Anfang März 2021 hatte der Bundesgerichtshof in einer Patentnichtigkeitssache entschieden, dass britische Kläger seit dem 1. Januar 2021 Sicherheit für die Prozesskosten nach § 110 Abs. 1 ZPO zu leisten haben (Beschluss vom 1. März 2021 – X ZR 54/19). In seiner Entscheidung stellte der Bundesgerichtshof ohne weitere Begründung fest, dass ein Ausnahmetatbestand nach § 110 Abs. 2 ZPO, also ein völkerrechtlicher Vertrag, der britische Kläger von der Pflicht zur Sicherheitsleistung befreie, nicht vorliege (siehe dazu und zum europarechtlichen Hintergrund von § 110 ZPO die Besprechung hier im Blog).

Sachverhalt

Dem Bundespatentgericht lag nun ein vergleichbarer Sachverhalt zur Entscheidung vor (Beschluss vom 15. März 2021 – 3 Ni 20/20 (EP)). In einer Patentnichtigkeitssache hatte die Beklagte beantragt, die in Großbritannien ansässige Klägerin solle gemäß § 81 Abs. 6 PatG Sicherheit für die Prozesskosten leisten. § 81 Abs. 6 PatG verweist auf § 110 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ZPO.

Die Klägerin wandte ein, sie sei in analoger Anwendung von § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO, der eine Ausnahme für Widerklagen vorsieht, nicht zur Sicherheitsleistung verpflichtet. Für die von ihr so genannte „Nichtigkeitswiderklage“ bestehe eine planwidrige Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe in § 81 Abs. 6 Satz 1 PatG nur auf § 110 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ZPO verwiesen und dabei übersehen, dass die Nichtigkeitsklage eine Art „Widerklage“ darstelle, wenn sich der Nichtigkeitskläger mit der Nichtigkeitsklage wie vorliegend nur gegen eine Verletzungsklage des Patentinhabers wehre. Dieser Argumentation ist das Bundespatengericht nicht gefolgt. Die Regelung beruhe auf einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung:
„Eine planwidrige Regelungslücke ist erkennbar nicht gegeben. Dies würde voraussetzen, dass der Gesetzgeber entweder eine regelungsbedürftige Sachlage nicht erkannt hat oder sie, wie dies aus sonstigen Regelungen oder dem Gesetzgebungsverfahren entnommen werden kann, in einem bestimmten Sinne regeln wollte, dies aber irrtümlich unterlassen hat. Beide Fälle liegen hier aber ersichtlich nicht vor. Das deutsche Recht sieht die Nichtigkeitsklage als ein eigenständiges Klageverfahren vor, das als Popularklage davon unabhängig ist, aus welchen Gründen und mit welcher Interessenlage sie erhoben wird. Dem Gesetzgeber war dabei bereits bei Erlass der entsprechenden Normen bekannt, dass die Nichtigkeitsklage dabei auch nur aus dem Grund erhoben wird, dass sich der Nichtigkeitskläger „nur“ gegen seine Inanspruchnahme aus dem Streitpatent im gleichzeitig anhängigen oder vorangehenden Verletzungsverfahren wehren möchte. Trotzdem hat sich der Gesetzgeber auch für diesen Fall nicht nur bewusst dafür entschieden, beide Verfahren als eigenständige Klageverfahren auszugestalten, sondern auch dem Verletzungsbeklagten trotz Kenntnis seiner Interessenlage dadurch, dass das Verletzungsgericht an die Erteilung des Klagepatents gebunden ist, die Möglichkeit genommen, sich gegen seine Inanspruchnahme dadurch zu wehren, dass er im Rahmen des Verletzungsverfahren den Rechtsbestand des Klagepatents widerklagend in Abrede stellt.“

Entscheidung

Das Bundespatentgericht hat wie der Bundesgerichtshof entschieden und angeordnet, dass die britische Klägerin Sicherheit wegen der Kosten des Verfahrens zu leisten hat. In der Begründung teilt das Gericht jedoch anders als der Bundesgerichtshof das Ergebnis seiner Prüfung zu mehreren in Frage kommenden völkerrechtlichen Abkommen mit, auf die eine Ausnahme nach § 81 Abs. 6 Satz 1 zweiter Halbsatz PatG in Verbindung mit § 110 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gestützt werden könnte. Diese Prüfung erfolgte wohl von Amts wegen, denn Einwände der Klägerin werden in der Entscheidung nicht referiert; diese hat sich offensichtlich nur mit dem im Hintergrund behandelten Argument zu § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO verteidigt. Das Bundespatentgericht stellt zunächst fest, dass das Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1. März 1954 (HZPÜ) zwar in Art. 17 HZPÜ eine Befreiung von der Pflicht zur Leistung von Prozesskostensicherheit vorsehe. Im Verhältnis zu Großbritannien ist es jedoch mangels Ratifizierung nicht in Kraft getreten. Das Deutsch-britische Abkommen über den Rechtsverkehr vom 20. März 1928 sei nur für Klageparteien mit Sitz in Deutschland anwendbar. Das Gericht führt dann weiter aus:

„Das Europäische Niederlassungsabkommen vom 13. Dezember 1955 gilt zwar auch im Verhältnis zu Großbritannien, sieht aber eine Befreiung zur Sicherheitsleistung nach Art. 9, 30 nur für natürliche Personen, nicht aber für Unternehmen wie die vorliegende Klägerin vor. Das nach Art. 216 Abs. 2 AEUV unmittelbar in den Mitgliedstaaten, also auch in Deutschland, geltende, derzeit allerdings nur vorläufig anwendbare Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland vom 31. Dezember 2020 sieht zwar in Art. IP.6 Abs. 2 eine Inländergleichbehandlung bei Verfügbarkeit, Erwerb, Umfang, Aufrechterhaltung und Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums vor, was aber - ungeachtet der Frage, ob die nur vorläufig anwendbare Regelung hierfür überhaupt herangezogen werden könnte - nach ständiger Rechtsprechung (…) zur Befreiung der Leistung von Prozesskostensicherheit nach § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO allgemein nicht ausreicht.“

Sonstige Befreiungstatbestände im Sinne des § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO seien nicht vorhanden.

Anmerkung

Das Bundespatentgericht kommt zum gleichen Ergebnis wie der Bundesgerichtshof. Während sich der BGH-Entscheidung nur implizit entnehmen lässt, dass man in Karlsruhe keine wiederauflebenden völkerrechtlichen Verträge sieht, aus denen sich eine Ausnahme zu § 110 Abs. 1 ZPO herleiten läßt, begründet das Bundespatentgericht diese Auffassung. Man bewegt sich also auf sicherem Boden, wenn man jedenfalls für juristische Personen aus dem Vereinigten Königreich, die in Deutschland klagen, von einer Pflicht zur Stellung einer Ausländersicherheit ausgeht. Dennoch bleibt ein Fragezeichen: Johannes Ungerer, Erich Brost Lecturer in German Law and EU Law an der University of Oxford, hat mich nach der Besprechung der BGH-Entscheidung vom 1. März 2021 darauf hingewiesen, dass es seiner Auffassung nach in dem dort entschiedenen Fall (und entsprechend auch nicht in dem Fall des Bundespatentgerichts) noch gar nicht auf die Frage ankommt, ob bislang von der EuGVVO "verdrängte" völkerrechtlichen Übereinkommen wieder aufleben. Beide Fälle stammten noch aus der Zeit vor dem 1. Januar 2021, für die eine Fortgeltung der EuGVVO-Vollstreckungsvorschriften in Art. 67 Abs. 2 lit. a Brexit-Austrittsabkommen festgelegt ist. Dies müsse im Rahmen von § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO beachtet werden. Ungerer kommt zu dem Schluss, dass keine Verpflichtung zur Sicherheitsleistung bestehe, weil eine deutsche Kostenentscheidung in einem "Altfall" im Vereinigten Königreich nach der fortgeltenden EuGVVO anerkannt und vollstreckt werden kann. Auch wenn ein BGH-Senat, ein Senat des BPatG, zwei BGH-Anwälte und eine unbestimmte Vielzahl von Instanzanwälten augenscheinlich Art. 67 Abs. 2 lit. a Brexit-Austrittsabkommen übersehen haben, so glaube ich doch, dass Johannes Ungerer richtig liegt. Die Übergangsbestimmung im Austrittsabkommen lautet:

"Artikel 67 Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen sowie diesbezügliche Zusammenarbeit zwischen zentralen Behörden
(...)
(2)   Im Vereinigten Königreich sowie in den Mitgliedstaaten finden in Fällen, die einen Bezug zum Vereinigten Königreich aufweisen, die folgenden Rechtsakte oder Bestimmungen auf die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen, Entscheidungen, öffentlichen Urkunden, gerichtlichen Vergleichen und Gerichtsstandsvereinbarungen Anwendung: (a) Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 findet Anwendung auf die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen, die in vor dem Ablauf des Übergangszeitraums eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergangen sind, sowie auf öffentliche Urkunden, die vor dem Ablauf des Übergangszeitraums förmlich errichtet oder eingetragen beziehungsweise gebilligt oder geschlossen worden sind; (..)"
Damit gilt die EuGVVO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012) für die Anerkennung und Vollstreckung wohl der Urteile als auch der Kostenfestsetzungsbeschlüsse, die in den vor dem 31. Dezember 2020 eingeleiteten Patentnichtigkeitsverfahren ergehen, im Verhältnis zum Vereinigten Königreich fort. tl;dr: Kläger mit gewöhnlichem Aufenthalt im Vereinigten Königreich haben seit dem 1. Januar 2021 nach § 110 Abs. 1 ZPO Sicherheit für die Prozesskosten zu leisten. Eine Privilegierung nach § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO greift nicht ein.
 
Anmerkung/Besprechung, Bundespatentgericht, Beschluss vom 15. März 2021 – 3 Ni 20/20 (EP).