Bundesgerichtshof zur Ausländersicherheit nach Brexit

Soweit ersichtlich, hat sich der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 1. März 2021 – X ZR 54/19 erstmals zu einem der zivilprozessualen Probleme geäußert, die sich nach dem Brexit stellen, nämlich zur Frage der Ausländersicherheit durch britische Kläger nach § 110 ZPO, wenn das Verfahren bereits vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union anhängig war. Implizit nimmt der Bundesgerichtshof dabei auch zu der Frage Stellung, ob "Altabkommen" wie das Brüsseler Übereinkommen von 1968 (EuGVÜ) oder das Deutsch-Britische Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14. Juli 1960  nach dem Brexit wiederauflebten.

Sachverhalt

Die im Vereinigten Königreich anwesende Klägerin erhob vor dem Brexit in Deutschland eine Patentnichtigkeitsklage. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Mit ihrer Berufung verteidigt die Beklagte das Streitpatent nur noch in geänderten Fassungen. In der Berufungsinstanz ist für den 6. April 2021 eine mündliche Verhandlung terminiert. Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2021 beantragte die Beklagte, der Klägerin aufzugeben, Sicherheit wegen der Prozesskosten zu leisten. Sie macht geltend, die Voraussetzungen für eine Befreiung der Klägerin von dieser Verpflichtung seien seit 1. Januar 2021 nicht mehr gegeben. Die Klägerin äußerte angesichts des vorgerückten Verfahrensstadiums Zweifel an der Sachdienlichkeit der beantragten Anordnung. Sie werde zudem auf keinen Fall sämtliche Kosten des Verfahrens tragen müssen, weil die Beklagte das Streitpatent nur noch in beschränkter Fassung verteidige.

Nach § 110 Abs. 1 ZPO haben Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskostensicherheit zu leisten. Bis 30. September 1998 erfasse der Wortlaut der Norm auch Parteien aus EU-Mitgliedstaaten; der EuGH hatte jedoch in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot einer Bestimmung entgegensteht, nach der Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats bei einer Klage vor einem Zivilgericht eines Mitgliedstaats Sicherheit für die Kosten zu leisten haben:
"Eine nationale zivilprozessuale Vorschrift eines Mitgliedstaats, die die Staatsangehörigen und juristischen Personen aus einem anderen Mitgliedstaat zur Leistung einer Sicherheit wegen der Prozeßkosten verpflichtet, wenn sie gegen einen seiner Staatsangehörigen oder eine dort ansässige Gesellschaft gerichtlich vorgehen wollen, fällt in den Anwendungsbereich des EG-Vertrags im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 und unterliegt dem in diesem Artikel verankerten allgemeinen Diskriminierungsverbot, soweit sie eine - wenn auch nur mittelbare - Auswirkung auf den innergemeinschaftlichen Austausch von Gütern und Dienstleistungen hat, was namentlich der Fall sein kann, wenn sie bei Erhebung einer Klage auf Bezahlung von Warenlieferungen angewandt wird. Artikel 6 Absatz 1 EG-Vertrag verbietet es einem Mitgliedstaat bei einer Klage, die mit der Ausübung der vom Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Grundfreiheiten zusammenhängt, von einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der bei einem Zivilgericht des ersten Mitgliedstaats eine Klage gegen einen Staatsangehörigen dieses Staates erhoben hat, die Leistung einer Sicherheit wegen der Prozeßkosten zu verlangen, wenn eine solche Sicherheitsleistung von einem Staatsangehörigen dieses Staates, der dort keinen Wohnsitz und kein Vermögen hat, nicht verlangt werden kann." (EuGH, Urteil vom 20. März 1997 - Rs. C-323–95 - Hayes gegen Kronenberger GmbH.).
Auf diese Rechtsprechung hin wurde § 110 Abs. 1 ZPO europarechtskonform geändert (Drittes Gesetz zur Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze vom 6. August 1998, BGBl. I, 1998, 2030). Auch für Kläger aus Nicht-EU-Mitgliedstaaten greifen Ausnahmen: So kann nach § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO keine Sicherheit verlangt werden, wenn völkerrechtliche Verträge dies ausschließen, und nach § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn eine deutsche Kostenentscheidung aufgrund völkerrechtlicher Verträge vollstreckt werden würde.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof ordnete antragsgemäß die Leistung einer Ausländersicherheit an:

“Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Prozesskostensicherheit liegen vor. Gemäß § 110 Abs. 1 ZPO muss ein Kläger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat, auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit leisten. Gemäß § 111 ZPO kann der Beklagte auch dann Sicherheit verlangen, wenn diese Voraussetzungen erst im Laufe des Rechtsstreits eintreten. Die Klägerin hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union. Der Übergangszeitraum nach Art. 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (...), während dessen das Vereinigte Königreich gemäß § 1 BrexitÜG im Bundesrecht weiterhin als Mitgliedstaat galt, ist am 31. Dezember 2020 abgelaufen.“

Die Beklagte habe ihren Antrag auch rechtzeitig gestellt:

„Die Einrede der mangelnden Sicherheitsleistung für die Prozesskosten gehört zu den die Zulässigkeit der Klage betreffenden verzichtbaren Rügen, die grundsätzlich vor der ersten Verhandlung zur Hauptsache, und zwar für alle Rechtszüge, erhoben werden muss. Da über die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung für die Prozesskosten nur einmal und nicht in jeder Instanz erneut entschieden werden soll, ist in einer höheren Instanz die Einrede der mangelnden Sicherheitsleistung für die Kosten dieser Instanz nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Sicherheitsleistung erst in dieser Instanz eingetreten sind oder wenn die Einrede in den Vorinstanzen ohne Verschulden nicht erhoben worden ist (…). Im Streitfall sind die Voraussetzungen für die Sicherheitsleistung erst in der Berufungsinstanz eingetreten. Die von der Beklagten kurz darauf erhobene Einrede ist deshalb rechtzeitig.“

Der Bundesgerichtshof stellt weiter fest, dass eine Entscheidung deutscher Gerichte über die Erstattung der Prozesskosten durch die Klägerin an die Beklagte nicht auf Grund völkerrechtlicher Verträge im Vereinigten Königreich vollstreckt werden könnte:

„Ein Ausnahmetatbestand nach § 110 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor und wird von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.“

Der Tatsache, dass die Beklagte das Streitpatent in der zweiten Instanz nur noch in beschränkter Fassung verteidigt, trägt der Bundesgerichtshof bei der Festsetzung der Höhe der zu leistenden Sicherheitsleistung Rechnung, wobei er für die erste Instanz einen pauschalen Abschlag von 25 % vornimmt und für die zweite Instanz einen entsprechend reduzierten Streitwert als Grundlage für die Bemessung der Sicherheit annimmt:

„[Der aus dem erstinstanzlich festgesetzten Streitwert abgeleitete] Betrag ist um ein Viertel zu reduzieren, weil die Beklagte, wie die Klägerin zu Recht geltend macht, einen Teil der erstinstanzlichen Kosten schon deshalb wird tragen müssen, weil sie das Patent nur noch in beschränkter Fassung verteidigt. Nach vorläufiger Bewertung erscheint insoweit eine Kostenquote von einem Viertel zu Lasten der Beklagten angemessen. (…) Für das Berufungsverfahren sind die bislang verauslagten Gerichtskosten (…) und die Kosten für einen Patent- und einen Rechtsanwalt anzusetzen. Wegen der nur noch beschränkten Verteidigung des Streitpatents erscheint nach vorläufiger Bewertung ein Streitwert von 937.500 Euro angemessen.“

Anmerkung

Im Kern ist die Entscheidung nicht überraschend: Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union sind britische Parteien nach § 110 ZPO verpflichtet, auf Verlangen der Gegenseite eine Ausländersicherheit zu stellen. Vor dem Brexit-Stichtag hatten die deutschen Gerichte im Vorgriff auf den Brexit gestellte Anträge auf Ausländersicherheit oder Anordnung eines Arrests zurückgewiesen und eine zivilprozessuale „Vorwirkung“ des Brexit verneint (siehe hier, hier und hier). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bringt aber Klarheit hinsichtlich einiger praktisch relevanter Fragen: Wenn der Kläger im Vereinigten Königreich ansässig ist, können Beklagte auch noch in der zweiten Instanz einen Antrag auf Ausländersicherheit stellen. Wie weit das Verfahren fortgeschritten ist, hat keinen Einfluss darauf, ob eine Sicherheit zu stellen ist. Dem bisherigen Verfahrensverlauf kann das Gericht bei der Bemessung der Höhe der Ausländersicherheit Rechnung tragen. Aufgrund ihrer apodiktischen Kürze bringt die Entscheidung etwas Klarheit, aber nicht ganz die erwünschte Rechtssicherheit in der Frage, ob im Verhältnis zum Vereinigten Königreich völkerrechtliche Verträge im Sinne von §§ 110 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO gelten: Der Bundesgerichtshof scheint nicht von einem Wiederaufleben des Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 1968 im Verhältnis zum Vereinigten Königreich (siehe zum Meinungsstand z.B. Wagner, IPRax 2021, 2, 7; Mankowski, EuZW-Sonderausgabe 2020, 3, Rühl, JZ 2017, 7) oder des Deutsch-Britische Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14. Juli 1960 auszugehen (das Landgericht Köln hatte Anfang 2021 offenbar einen Antrag auf Ausländersicherheit unter Berufung auf dieses Abkommen zurückgewiesen). Auch wenn der Bundesgerichtshof zur Begründung nichts näheres ausführt, so lässt sich das aus der Feststellung schließen, ein Ausnahmetatbestand nach § 110 Abs. 2 ZPO liege nicht vor. Das Gericht erwähnt zwar, dass sich die Klägerin auch nicht auf einen Ausnahmetatbestand berufen habe, darauf sollte es allerdings nicht ankommen:  Die Ausnahmen nach § 110 Abs. 2 ZPO sind von Amts wegen zu prüfen (BGH, Urteil vom 23. Juni 1982, VIII ZR 198/80; eingeschränkt durch den Hinweis, Amtsprüfung sei nicht Amtsermittlung, es bleibe beim Beibringungsgrundsatz).

tl;dr:  Kläger mit gewöhnlichem Aufenthalt im Vereinigten Königreich haben seit dem 1. Januar 2021 nach § 110 Abs. 1 ZPO Sicherheit für die Prozesskosten zu leisten. Eine Privilegierung nach § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO greift nicht ein. In einer höheren Instanz ist die Einrede der mangelnden Sicherheitsleistung für die Kosten dieser Instanz zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Sicherheitsleistung erst in dieser Instanz eingetreten sind.

Hinweis: Siehe hierzu auch den Beitrag vom 18. April 2021, in der eine vergleichbare Entscheidung des Bundespatengerichts besprochen wird.

Anmerkung/Besprechung, Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. März 2021 – X ZR 54/19.

Bild: Banksy