BVerfG: § 495a Satz 2 ZPO ist zwingendes Recht. (Wirklich!)
Entscheidung
Dieses Vorgehen hat die 1. Kammer des Ersten Senats nicht wirklich überzeugt:„1. Das Urteil (…) verletzt die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung (…). Vielmehr ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise rechtliches Gehör gewährt werden soll (…). Hat eine mündliche Verhandlung aber von Gesetzes wegen stattzufinden, wie dies in den Fällen des § 495a Satz 2 ZPO auf Antrag einer Partei vorgeschrieben ist, begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG ein Recht auf Äußerung in der mündlichen Verhandlung und zugleich auf deren Durchführung durch das Gericht (…).
Damit ist das amtsgerichtliche Urteil nicht in Einklang zu bringen. Gemäß § 495a Satz 2 ZPO hätte das Amtsgericht entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführer vor Erlass seines Urteils mündlich verhandeln müssen. Sein ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil verletzt das rechtliche Gehör der Beschwerdeführer.“
2. Die Entscheidung beruht auch auf dem Gehörsverstoß. Unterbleibt eine einfachrechtlich zwingend gebotene mündliche Verhandlung, kann in aller Regel nicht ausgeschlossen werden, dass bei Durchführung der mündlichen Verhandlung eine andere Entscheidung ergangen wäre, weil die mündliche Verhandlung grundsätzlich den gesamten Streitstoff in prozess- und materiellrechtlicher Hinsicht zum Gegenstand hat und je nach Prozesslage, Verhalten der Gegenseite und Hinweisen des Gerichts zu weiterem Sachvortrag, Beweisanträgen und Prozesserklärungen führen kann, ohne dass dies im Einzelnen sicher vorhersehbar wäre (…)
Das Amtsgericht hätte die Entscheidungserheblichkeit des Gehörsverstoßes auch nicht unter Verweis darauf verneinen dürfen, etwa in der mündlichen Verhandlung gehaltener Vortrag der Beschwerdeführer wäre nach § 296 Abs. 1 ZPO verspätet gewesen. Seine Ausführungen lassen nicht erkennen, dass es dabei die Möglichkeit weiteren Sachvortrags sowie mögliche Beweisanträge oder Prozess-erklärungen in der mündlichen Verhandlung ausreichend in Betracht gezogen hat. Im Übrigen läge in der Zurückweisung neuen Vorbringens der Beschwerdeführer wegen Verspätung ein erneuter Gehörsverstoß, weil die Beschwerdeführer über den möglichen Ausschluss nicht rechtzeitigen Vortrags nicht belehrt worden sind (…).“
(Die Entscheidungen sind übrigens fast wortgleich, weshalb hier lediglich die Begründung aus 1 BvR 701/17 widergegeben wird.)