BVerfG: Hinweisbeschluss gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO muss zugestellt werden
Entscheidung
Die Kammer des BVerfG hat die Beschlüsse des LG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Zunächst legt der Senat dar, warum die Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise zulässig ist, obwohl der Beschwerdeführer nicht ausführt hat, was er bei Gewährung des rechtlichen Gehörs im Verfahren vorgetragen hätte. Denn diese Pflicht zur Mitwirkung finde ihre Grenze dort, wo der Vortrag nicht oder nur eingeschränkt möglich oder nicht zumutbar sei.„Vorliegend war es dem Beschwerdeführer nicht möglich vorzutragen, wie er auf den Hinweisbeschluss hin Stellung genommen hätte. Denn ihm ist der Hinweisbeschluss bislang nicht zugestellt worden, so dass er aus eigener Kenntnis nicht zu dessen Inhalt Stellung nehmen konnte.
Ebenso kann er nicht darauf verwiesen werden, sich auf andere Weise Kenntnis vom Inhalt des Hinweisbeschlusses zu verschaffen, um den erforderlichen Vortrag erbringen zu können. Dadurch würde für ihn die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde in unzumutbarer Weise verkürzt. Denn die Frist soll – neben der Herbeiführung von Rechtssicherheit – sowohl eine angemessene Überlegungszeit als auch die Möglichkeit gewähren, eine den strengen Anforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügende Begründung zu fertigen (…). Sie soll gerade nicht zu laufen beginnen, bevor der Beschwerdeführer von der Entscheidung in einer Weise Kenntnis nehmen konnte, die es ihm ermöglicht, sich von der Wahrung oder Beeinträchtigung seiner verfassungsmäßigen Rechte zu überzeugen (…). Die erforderliche Akteneinsicht und inhaltliche Überprüfung des Hinweisbeschlusses würde hier offensichtlich einen erheblichen Zeitraum während der laufenden Frist benötigen, so dass deutlich weniger Zeit für die eigentlichen Zwecke der Frist zur Verfügung stünde.“
Die Verfassungsbeschwerde sei auch „offensichtlich begründet“, weil die Beschlüsse des Landgerichts den Beschwerdeführer in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzten:„a) Dieses Recht garantiert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können (…). Die Gerichte sind verpflichtet, einer Entscheidung nur solche Tatsachen zugrunde zu legen, zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten (…); der Einzelne hat ein Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern, damit er Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen kann (…). Es gibt dabei keine Vermutung, dass vom Gericht übersandte Mitteilungen oder Hinweise die Beteiligten auch erreicht haben (…). Der Bürger trägt weder das Risiko des Verlusts im Übermittlungswege noch eine irgendwie geartete Beweislast für den Nichtzugang (…). Vielmehr müssen sich die Gerichte einen Nachweis des Zugangs eines Hinweises verschaffen (…).
b) Diesen Anforderungen wird der Beschluss vom 22. Dezember 2016 nicht gerecht. Denn das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen, obwohl kein Nachweis für den Zugang des Hinweisbeschlusses vom 18. November 2016 vorlag. Auf die Zustellung per Empfangsbekenntnis hin ist ein solches nicht an das Landgericht zurückgelangt. Dieses hat stattdessen die unzulässige Vermutung angestellt, der Beschwerdeführer habe Gelegenheit zur Kenntnisnahme des Hinweisbeschlusses gehabt. Es hat sich nicht vergewissert, dass der Beschwerdeführer den Hinweisbeschluss erhalten hat. Dadurch hat es ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme und zur Einflussnahme auf das Verfahren genommen.
c) Ebenso verletzt der die Anhörungsrüge verwerfende Beschluss vom 17. Januar 2017 das Recht auf rechtliches Gehör, weil das Landgericht über die Anhörungsrüge entschieden hat, ohne dem Beschwerdeführer den Hinweisbeschluss mit Gelegenheit zur Stellungnahme zugänglich zu machen. Das Landgericht war nicht berechtigt, den Beschwerdeführer darauf zu verweisen, sich den Hinweisbeschluss durch Akteneinsicht zu verschaffen und sodann hierzu innerhalb der zweiwöchigen Notfrist des § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO vorzutragen, in welcher Weise er zum Hinweisbeschluss Stellung genommen hätte.
Es hat vielmehr selbst entsprechenden Vortrag des Beschwerdeführers dadurch verhindert, dass es den Hinweisbeschluss nicht übersandt hat, obwohl der Beschwerdeführer mit der Anhörungsrüge einen solchen Antrag gestellt hatte. Das Landgericht hätte ihm auf diesen Antrag hin zunächst den Hinweisbeschluss vor der Entscheidung über die Anhörungsrüge zugänglich machen müssen, um den für erforderlich gehaltenen Vortrag überhaupt zu ermöglichen. Ein darauf beruhender Ablauf der Notfrist des § 321a Abs. 2 ZPO stünde dem nicht entgegen, denn mit einer späten Übersendung des Hinweises wäre ein Grund zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben. Insoweit hätte dem Beschwerdeführer die Möglichkeit gegeben werden müssen, seinen bereits vorsorglich gestellten Wiedereinsetzungsantrag entsprechend zu begründen.“
Anmerkung
Und daran dürften m.E. in der Sache keine Zweifel bestehen (s. nur Doukoff, Zivilrechtliche Berufung, 6. Aufl. 2018, Rn. 1292). Trotzdem fallen m.E. drei Umstände besonders auf, nämlich- dass ein derart ersichtlich rechtswidriger Beschluss einstimmig ergeht, obwohl dieser den Instanzenzug beendet und damit kein Rechtsmittelgericht den Fehler mehr „geradeziehen“ kann,
- dass die Kammer nicht wenigstens die „goldene Brücke“ in § 321a ZPO nutzt, sondern statt den eigenen Fehler einzugestehen dem Klägervertreter einen solchen unterstellt und
- der zeitliche Ablauf: Die Sache hatte nämlich ein 15er-Aktenzeichen und wäre ab dem 01.01.2017 „überjährig“ gewesen (und damit womöglich in einer sog. „Resteliste“ aufgetaucht). Das scheint jedenfalls eine plausible Erklärung für die Ende 2016 plötzlich aufkommende Eile. Und selbst wenn dieser Umstand für den Ermessensfehlgebrauch nicht ursächlich gewesen sein sollte: Schon der Eindruck, Erledigungen hätten in einer wesentlich über Erledigungskennziffern „gesteuerten“ Justiz einen ähnlich hohen Stellenwert wie die Verfahrensgrundrechte der Parteien, erscheint mir nicht besonders vorteilhaft.