DFB-Pokal: Schiedsgericht bestimmt Gegner von Schalke 04

Hinweis: Ein Update zu diesem Post findet sich am Ende des Beitrags. Als ob Schalke 04 nicht schon genug Probleme hätte, sind die Gelsenkirchener unverschuldet auch noch in eine Auseinandersetzung zwischen zwei bayerischen Vereinen, dem Regionalligisten 1. FC Schweinfurt 05 und dem Drittligaaufsteiger Türkgücü München geraten: Schweinfurt 05 wurde vom Bayerischen Fußball-Verband (BFV) für die erste Hauptrunde des DFB-Pokals 2020/2021 genannt, Türkgücü war der Auffassung, dass sie zu nennen gewesen wären. Eine von Türkgücü erwirkte einstweilige Verfügung verhinderte das für den 13. September 2020 angesetzte Spiel zwischen Schweinfurt 05 und Schalke 04 in der 1. Hauptrunde des DFB-Pokals. Für Freunde des Fußballsports und der ZPO dürfte ein Blick auf das Zusammenspiel der verschiedenen Verfahren interessant sein, die am Dienstag dieser Woche endlich Klarheit darüber brachten, dass die Gelsenkirchener wie ursprünglich geplant gegen Schweinfurt 05 antreten werden. Bis es soweit war, waren das Landgericht München I, das Bayerische Oberste Landesgericht sowie ein Verbandsschiedsgericht des BFV gefragt.

Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) ist einerseits ein sehr altes, andererseits aber auch ein sehr junges Gericht: Es hat eine Geschichte, die bis in das Jahr 1625 zurückreicht. Nachdem im Jahr 2000 sein 375. Jubiläum gefeiert wurde, kündigte der damalige bayerische Ministerpräsident Stoiber 2003 an, das BayObLG im Zuge seiner Bemühungen zur Verschlankung der Verwaltung abzuschaffen; es wurde zum 30. Juni 2006 aufgehoben. Der jetzige Ministerpräsident Söder machte dies rückgängig, das Gericht wurde zum 15. September 2018 wiedererrichtet. Mit Wirkung zum 01. Mai 2020 hat der Freistaat Bayern die zuvor beim Oberlandesgericht München konzentrierte Zuständigkeit für schiedsgerichtliche Verfahren nach § 1062 Abs. 5 ZPO auf das BayObLG übertragen. Es war somit zuständig, auf den Antrag von Türkgügü München hin über die Zulässigkeit des Schiedsverfahrens vor dem Verbandsschiedsgericht des BFV zu entscheiden.

Sachverhalt

Der Streit darüber, wen der BFV für die erste Hauptrunde des DFB-Pokals melden muss, hat einen Corona-Hintergrund. Die Regionalliga-Saison in Bayern wurde coronabedingt unterbrochen, und wird nunmehr als Saison 2019/2021 zu Ende gespielt. In dem Zeitpunkt, in dem der Aufsteiger in die dritte Liga zu nominieren war, stand daher der Regionalligameister noch nicht fest. Der BFV traf eine seiner Auffassung nach salomonische Entscheidung: Er änderte - erstmals im Mai 2020 - seine Spielordnung für die Amateurliga und sowie die Regionalligaordnung. Auf dieser Grundlage meldete der BFV am 21. Juni 2020 Türkgücü München, die zum Zeitpunkt der Unterbrechung des Spielbetriebs Tabellenführer der Regionalliga Bayern waren, als Aufsteiger in die dritte Liga und am 6. September 2020 den damaligen Tabellenzweiten Schweinfurt 05 für die Hauptrunde des DFB-Pokal. In der Vergangenheit hatte der BFV stets den Sieger der Regionalliga gemeldet, sofern es sich dabei nicht um die zweite Mannschaft eines höherklassigen Vereins handelte.

Entscheidung

Gegen diese Entscheidung des BFV ging Türkgücü mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den BFV und den Deutschen Fußballbund (DFB) vor. Nur gut 48 Stunden vor Anpfiff, am 11. September 2020, erließ die auf Kartellrecht spezialisierte 37.  Zivilkammer des Landgerichts München I eine einstweilige Verfügung zugunsten von Türkgücu und verpflichtete den BFV, statt Schweinfurt 05 den Antragsteller Türkgücü zu melden. Das Spiel am 13. September 2020 wurde daraufhin abgesagt. Gegen diese Verfügung legten BFV und DFB Wiederspruch ein, auf den hin das Landgericht München I seine einstweilige Verfügung abänderte und seine Begründung modifizierte: Die Kammer gab die Nominierungsentscheidung an den Verband zurück. Sie gab dem BFV auf, die Meldung des 1. FC Schweinfurt 05 zu widerrufen und über die Meldung zur ersten DFB-Hauptpokal Hauptrunde unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. In seiner Presseerklärung führte das Gericht aus, der BFV habe nunmehr zwei Möglichkeiten.

„Entweder er benennt Türkgücü auf der Grundlage der Spielordnung vom 5. Mai 2020 oder er ändert kurzfristig die Spielordnung erneut. Dabei sind (…)  die Interessen aller Betroffenen zu würdigen und der gefundene Ausgleich ist zu begründen. Auf dieser Basis könnte sodann die Meldung erfolgen. Der DFB wurde durch die Kammer verpflichtet, den Widerruf und die Neumeldung durch den BFV zuzulassen.“

Parallel dazu rief der BFV zur Klärung der Rechtmäßigkeit seines Handelns das im Zulassungsvertrag zur Regionalliga vereinbarte Schiedsgericht an. Türkgücü seinerseits beantragte beim Bayerischen Obersten Landesgericht, das Schiedsverfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO für unzulässig zu erklären. Das Bayerische Oberste Landesgericht wies diesen Antrag am 22. Oktober 2020 zurück und entschied, dass das Schiedsverfahren zulässig sei. Es stützte sich dabei zum einen auf eine Auslegung der konkreten Schiedsklausel, zum anderen prüfte es die generelle Zulässigkeit einer Schiedsklausel im Verhältnis zwischen Verein und Verband. In seiner Presseerklärung fasst das BayObLG seine Begründung wie folgt zusammen:

„Die Schiedsvereinbarung erfasst das mit der Schiedsklage des BFV geltend gemachte Feststellungsbegehren. Auch wenn Türkgücü München nicht mehr am Spielbetrieb der Regionalliga Bayern teilnimmt und sich der Streit hinsichtlich der Meldung von Anfang September 2020 um die Auswirkungen der Zulassung der Mannschaft Türkgücü München zur 3. Liga im Juli 2020 rankt, ist die Streitigkeit von der Schiedsvereinbarung umfasst. Es ist unmissverständlich geregelt, dass die Schiedsabrede für Streitigkeiten bis zur „Rechtskraft“ des Ausscheidens aus der Regionalliga Bayern gilt. Die Streitigkeit ist während der Teilnahme von Türkgücü München an der Regionalliga Bayern im Spieljahr 2019/2020 entstanden. Die Regionalliga dieses Spieljahres ist noch nicht beendet. Türkgücü München wird in der Tabelle nach wie vor mit 0 Punkten und 0 Toren geführt. Türkgücü München ist nicht „rechtskräftig“ aus der Regionalliga Bayern ausgeschieden. Die Schiedsabrede der Parteien ist auch wirksam. Sie verstößt insbesondere nicht gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot des § 19 GWB. Das Verlangen des BFV nach einer Schiedsvereinbarung zugunsten des Ständigen Schiedsgerichts ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Schiedsgerichte sind in der Lage, Streitigkeiten zeitnah auch in der Hauptsache einer endgültigen Entscheidung zuzuführen, um so für den schnelllebigen Fußballsport, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu leisten. Diese Vorteile der Sportgerichtsbarkeit gelten nicht nur für den Antragsgegner, sondern auch für die Antragsteller.“

Nachdem somit der Weg für das Schiedsgericht „frei“ war, entschied dieses am 27. Oktober 2020, dass der BFV rechtmäßig handelte, als er Schweinfurt 05 meldete.

Anmerkung

Das Landgericht München I war nach § 1033 ZPO ungeachtet der Hauptsachezuständigkeit des Schiedsgerichts für die Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zuständig und durfte die einstweilige Verfügung erlassen. Das Schiedsgericht seinerseits war rechtlich nicht gehalten, die Entscheidung des BayObLG über den Antrag von Türkgücü abzuwarten. Dieser Antrag hindert nach § 1032 Abs. 3 ZPO die Fortsetzung des Schiedsverfahrens und den Erlass eines Schiedsspruchs nicht. Dass der Schiedsspruch so kurz nach der Entscheidung des BayObLG vorlag, spricht dafür, dass das Schiedsverfahren auch parallel betrieben wurde. Inhaltlich war das Schiedsgericht ohnehin an die Rechtsauffassung des staatlichen Gerichts nicht gebunden. Die noch nicht vorliegenden Urteilsbegründungen des Landgerichts München I und insbesondere des Bayerischen Obersten Landesgerichts wird die Sportrechtswelt mit Aufmerksamkeit lesen. Spätestens seit einer Reihe von Entscheidungen, die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein im Zusammenhang mit ihrer Dopingsperre herbeigeführt hat, ist die – auch kartellrechtlich zu beurteilende – Zulässigkeit von Schiedsklauseln in Vereinbarungen zwischen individuellen Athleten - wie im Fall Pechstein-  oder Vereinen - wie hier im Zulassungsvertrag für die Regionalliga Bayern zwischen Türkgücü und dem BFV – einerseits und den Sportverbänden, die regelmäßig eine Monopolstellung für ihre Sportart innehaben, umstritten (einen Überblick gibt z.B. Michaelis, Der Schiedszwang im Profisport - Unter Besprechung der aktuellen Rechtsprechung am Fall Claudia Pechstein, SchiedsVZ 2019, 331). Die Freunde des Schiedsverfahrensrechts und des Sportrechts werden sich auf den Volltext der Urteile freuen, die Fans von Schweinfurt 05 und Schalke 04, dass nun endlich am 03. November 2020 der Ball rollt. Damit muss der Rechtsstreit aber noch nicht zu Ende sein. In der Presseerklärung des BFV heißt es zwar, die Schiedsgerichtsvereinbarung schließe einen Gang zu den ordentlichen Gerichten aus. Türkgücü kann aber selbstverständlich beim BayObLG nach §§ 1062 Abs. 1 Nr. 4, 1059 ZPO die Aufhebung des Schiedsspruchs beantragen mit der Begründung, dass die Vollstreckung des Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führen würde, das der öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspricht (§ 1059 Abs. 2 Nr. ZPO), weil die Schiedsklausel gegen kartellrechtswidrig sei. Auch wenn Türkgücü die Teilnahme am diesjährigen DFB-Pokal nicht mehr erstreiten kann, da der Schiedsspruch bis zu seiner etwaigen Aufhebung durch ein staatliches Gericht nach § 1055 ZPO einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht, dürfte ein Feststellungsinteresse Türkgücüs z.B. mit Blick auf Schadenersatzforderungen gegeben sein. Gegen eine Entscheidung des BayObLG stünde der unterlegenen Partei dann die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof offen (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 1065 Abs. 1 Satz 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 1 ZPO).

tl;dr: Die Schiedsabrede im Zulassungsvertrag für die Regionalliga Bayern der Saison 2019/2020 ist wirksam. Sie verstößt insbesondere nicht gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot des § 19 GWB. Das Verlangen des BFV nach einer Schiedsvereinbarung zugunsten des Ständigen Schiedsgerichts ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

Update vom 07.11.2020:

Kurz nach der Veröffentlichung dieses Posts hat Türkgücü das Urteil des Landgerichts München I vom 30. September 2020 und den Schiedsspruch des Schiedsgerichts des Bayerischen Fußballverbandes vom 27. Oktober 2020 auf der Vereins-Homepage veröffentlicht; die Entscheidungen sind nunmehr hier und hier verlinkt. In der ursprünglichen Fassung des Sachverhalts hieß es, dass die Saison 2019/2020 der Regionalliga Bayern abgebrochen worden sei. Das ist nicht richtig - die Saison wird als Spielzeit 2019/2021 zu Ende gespielt. Das habe ich berichtigt und die richtigen Daten ergänzt. (Derzeit führt mein Heimatclub Viktoria Aschaffenburg die Tabelle an, Türkgücü wird - mit 0 Punkten und 0 Toren - in der Tabelle geführt). Schließlich ist mit einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München - und damit des vierten Spruchkörpers nach dem Landgericht München I, dem Bayerischen Obersten Landesgericht und dem Schiedsgericht - das e.V.-Verfahren vor den staatlichen Gerichten zu einem vorläufigen Ende gekommen. Der Pressesprecher des OLG München teilt dazu mit:

"Das Oberlandesgericht München hat mit Beschluss vom 29.10.2020 die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts München I vom 30.09.2020, Az. 37 O 11770/20, gegen Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt. Zur Begründung wird ausgeführt: „Vorliegend steht fest, dass das Urteil des Landgerichts München I keinen Bestand haben wird, da es dem Schiedsspruch des Schiedsgerichts des Bayerischen Fußballverbandes e.V. vom 27.10.2020 (…) zuwiderläuft. Das Schiedsgericht hat mit dem Schiedsspruch festgestellt, dass die Meldung der 1. FC Schweinfurt 05 Fußball GmbH für die 1. Hauptrunde des DFB-Pokals 2020 (…) rechtmäßig ist. (...) Diese Entscheidung steht der durch Urteil des Landgerichts München I ausgesprochenen Verpflichtung, die Meldung des 1. FC Schweinfurt e.V. für die 1. Hauptrunde des DFB-Pokals zu widerrufen, entgegen. Auf die Pressemeldung des Landgerichts München I wird Bezug genommen.“

Das war nach der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 22. Oktober 2020 (die, soweit ersichtlich, noch nicht veröffentlicht ist) zu erwarten: Mit dieser Entscheidung haben die staatlichen Gerichte die Zuständigkeit des Schiedsgerichts bestätigt. Damit steht der Entscheidung des Landgerichts München I im e.V.-Verfahren mit dem Schiedsspruch eine rechtskräftige Hauptsacheentscheidung entgegen.


Anmerkung/Besprechung: Landgericht München I, Urteil vom 30. September 2020, 37 O 11770/20 Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 22. Oktober 2020, - 101 SchH 129/20