Entscheidung
Die Berufung hatte keinen Erfolg:
„Das Arbeitsgericht hat den Vortrag des Klägers in allen ab dem 21.10.2020 eingereichten Schriftsätzen zu Recht nicht berücksichtigt; er gilt als nicht vorgebracht.
Das Arbeitsgericht hatte in der Güteverhandlung vom 30.09.2020 im Beschluss unter Ziffer 1. dem Kläger aufgegeben, die Klage abschließend und ggfs. unter Beweisantritt bis zum 21.10.2020 zu begründen.
Die daraufhin eingereichten Schriftsätze waren formal unzulässig, weil sie nicht über eingebettete Schriftarten verfügten. Damit ist das elektronische Dokument nicht i. S. v. § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und stellt damit keinen wirksamen Eingang bei Gericht dar (…)
Die per Telefax bzw. in Papierform eingereichten Schriftsätze waren nicht zu berücksichtigen, da seit dem 01.01.2020 nach § 1 der Verordnung über die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 13.12.2019 gemäß § 46a ArbGG die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs eingeführt worden ist. Die eingereichten Dokumente waren unwirksam und daher nicht zu berücksichtigen. (…)
Gemäß § 46c Abs. 6 Satz 1 ArbGG muss das Gericht die einreichende Partei unverzüglich auf die mangelnde Eignung des eingereichten elektronischen Dokuments hinweisen. Der Schriftsatz gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, wenn der Kläger den Schriftsatz unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und zudem glaubhaft gemacht hat, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt. Das Gericht hat mehrfach ordnungsgemäß auf die Mängel und den Kläger auf die Möglichkeit der Heilung hingewiesen, zuletzt mit Verfügung vom 02.12.2020. Eine Heilung der Mängel hat nicht vorgelegen. Der Kläger hat bis zum Ende des erstinstanzlichen Verfahrens keinen ordnungsgemäßen Schriftsatz eingereicht.
Das Berufungsgericht schließt sich der Entscheidung des Arbeitsgerichts an, dass die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) wirksam ist. Auf die Argumentation des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen des Urteils wird Bezug genommen. Nicht überzeugend sind die Ausführungen im Urteil des OLG Koblenz vom 09.11.2020 - 3 U 844/20 (…)
Da der Inhalt der Schriftsätze des Klägers, die er ab dem 21.10.2020 eingereicht hat, in der Berufungsinstanz ausgeschlossen bleibt, kann lediglich der bis zum 21.01.2020 vorgetragene Inhalt der Schriftsätze und der zweitinstanzlich vorgetragene Inhalt der Schriftsätze für die Entscheidung in der Sache berücksichtigt werden. Unter Berücksichtigung dieses Vortrages hat der Kläger hat keinen Anspruch nach § 143 Abs. 1 Satz 1 i. V. m § 134 Abs. 1 InsO (...)“
Anmerkung
Ob die ERVB und die darin enthaltenen Anforderungen wirksam sind, ist in Rechtsprechung und Literatur lebhaft umstritten und soll hier nicht weiter vertieft werden (bejahend neben dem LAG Schleswig-Holstein auch das BAG, Urteil vom 12.03.2020 -
6 AZM 1/20 - Rn. 2 ff.; verneinend OLG Koblenz, Urteil vom 09.11.2020 –
3 U 844/20 Rn. 23-26;
Müller, NZA 2019, 1120, 1122;
Mardorf, jM 2020, 266, 269) . Wichtig an der Entscheidung scheint mir vielmehr, dass der Kläger hier scheinbar erst in diesem Verfahren merkte, dass seine Schriftsätze den Anforderungen der ERVB nicht genügten, und ihm dann auch die „Flucht ins Papier“ versperrt war. Das liegt durchaus nahe, denn gerade in den
„druckenden“ Bundesländern und Gerichtsbarkeiten (in denen die Akten noch in Papierform geführt werden) wird gegenwärtig nicht unbedingt geprüft, ob elektronische Dokumente allen Anforderungen der ERVB genügen, weil sich dies dem Ausdruck teilweise nicht entnehmen lässt. Ist dies aufgrund der technischen Lösung auf Anwaltsseite nicht der Fall, kann dies also bis heute unbemerkt geblieben sein. Das allein ist bislang kein Grund zur Panik, denn auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichts kann der Schriftsatz
gem. § 130a Abs. 6 ZPO in Papierform oder per Fax eingereicht und damit die Formunwirksamkeit geheilt werden. Diese
Heilungsmöglichkeit „übers Papier“ wird aber schon ab dem 01.01.2022 versperrt sein, weil dann insbesondere Anwält:innen Schriftsätze gem.
§ 130d ZPO (bzw. der entsprechenden Normen in den anderen Verfahrensordnungen) im elektronischen Rechtsverkehr einreichen müssen. Spätestens dann wird es
unter keinen Umständen mehr der „sicherste Weg“ sein, elektronische Dokumente in einer nicht den Anforderungen der ERVB genügenden Form einzureichen. Stichproben aus der Praxis zeigen aber, dass
ein Teil der im ERV eingereichten Schriftsätze den Anforderungen der ERVB nicht genügt. Daneben wird nach wie vor ein erstaunlich großer Teil der Schriftsätzenin Papierform eingereicht, so dass es an Erfahrungen mit der aktiven Nutzung des ERV noch fehlen dürfte. Angesichts des immer näher rückenden 01.01.2022 ist daher dringend zu raten, die ERVB-konformität der ERV-Konfiguration zu prüfen oder - wo erforderlich - sich mit der Thematik vertraut zu machen, soll nicht in künftigen Prozessen zusätzlich über die Frage der Wirksamkeit der ERVB gestritten werden. Eine
Einführung in den ERV gibt übrigens
dieser Gastbeitrag. Die Details finden sich z.B. im schon eingangs erwähnte Blog des Kollegen Müller (
www.ervjustiz.de) sowie in dessen
e-Justice-Praxishandbuch.
Update: Definitiv nicht eingebettet sind Schriften übrigens, wenn der Schriftsatz ausgedruckt und wieder eingescannt wird. (Ja, das gibt es, s. z.B. die oben zitierte Entscheidung des OLG Koblenz.) Im Format PDF/A ist dies stets der Fall. Ob im Übrigen die Schriftarten in eine PDF-Datei eingebettet sind, lässt sich im Acrobat Reader mit der Tastenkombination Strg+D unter dem Reiter "Schriften" überprüfen. Vielen Dank an den Kollegen Möllenkamp für den Hinweis! tl;dr: Entsprechen elektronische Dokumente i.S.d. § 130a ZPO nicht den Anforderungen der ERVV und ERVB, ist eine Heilung gem. § 130a Abs. 6 ZPO durch Einreichung per Post oder per Fax nur noch bis zum 31.12.2021 möglich. Anmerkung/Besprechung, LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25.05.2021 – 2 Sa 39/21. Foto:
TH. Korr,
Gerichtshaus Kiel,
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