Wie weiter bei Erfüllung nach Schluss der mündlichen Verhandlung?

Mit einer praktisch relevanten Prozesskonstellation hat sich das OLG Dresden in seinem Beschluss vom 16.07.2020 – 4 W 510/20 befasst. Darin geht es – wenn auch nur mittelbar – um die Frage, wie bei einer Erfüllung nach Schluss der mündlichen Verhandlung seitens des Gerichts und der Parteien weiter vorzugehen ist.

Sachverhalt

Die Klägerin nahm den Beklagten Versicherer nach einem Verkehrsunfall auf Zahlung von insgesamt 11.850 EUR in Anspruch. Nach einer Zahlung des Beklagten in Höhe von 6.850 EUR erklärten die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend im Termin für erledigt. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung aber noch vor Verkündung des Urteils zahlte der Beklagte die restlichen 5.000 EUR nebst Zinsen an die Klägerin. Die Klägerin erklärte danach die Klage aber weder für erledigt noch nahm sie diese zurück. Das Landgericht wies daraufhin die Klage ab, legte die Kosten aber dem Beklagten auf. (!) Der wendete sich dagegen mit seiner sofortigen Beschwerde.

Die Beklagte hatte hier nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung die Klageforderung erfüllt. Da die Klage damit in der Sache keine Aussicht auf Erfolg mehr hatte, hätte die Klägerin den Rechtsstreit sinnvollerweise für erledigt erklärt. Das hatte sie aber nicht getan. Das Gericht hatte deshalb wegen der Erfüllung die Klage abgewiesen, die Kosten aber – abweichend von § 91 ZPO – dem Beklagten auferlegt und sich dabei wohl davon leiten lassen, dass die Klage ja offensichtlich ursprünglich Aussicht auf Erfolg hatte. Gegen diese Kostenentscheidung wendete sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde.

Entscheidung

Das OLG hat die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen.

„Die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung im Urteil des Landgerichts ist nach § 99 Abs. 1 ZPO unzulässig. Hiernach kann die Kostenentscheidung eines Urteils grundsätzlich nur im Zusammenhang mit der Entscheidung in der Hauptsache angefochten werden. Dadurch soll verhindert werden, dass das Gericht im Rahmen einer isolierten Anfechtung der Kostenentscheidung erneut die Hauptsache beurteilen muss, obwohl diese nicht mehr zur Entscheidung gestellt ist.

Die Vorschrift dient sowohl der Prozessökonomie als auch der Entlastung der Gerichte. Sie geht jedoch zu Lasten der Kostengerechtigkeit und schließt eine Anfechtung selbst dann aus, wenn der Anfechtende nur durch die Kostenentscheidung beschwert ist (…). So liegt der Fall hier:

1. Zwar hat das Landgericht dem obsiegenden Beklagten die Kosten des Rechtsstreits unter Verstoß gegen § 91 Absatz 1 ZPO auferlegt. Ob der Beklagte materiell-rechtlich zum Ausgleich der streitgegenständlichen Regressforderung verpflichtet war, ist hierfür unerheblich. Als zivilprozessuale Kostenvorschrift stellt § 91 ZPO gegenüber etwaigen materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlagen eine Ausnahmevorschrift dar, die die Kostentragungspflicht unabhängig vom Verschulden nach dem Maß des Unterliegens regelt, Kostengrundentscheidungen sind allein nach Maßgabe der ZPO über die Kostentragung zu treffen (…). Dies gilt auch dann, wenn der auf Klageabweisung beharrende Beklagte – wie hier – den Klageanspruch vorbehaltlos erfüllt hat (…).

Vorliegend hat der Beklagte die noch offenstehende Forderung einschließlich der hierauf anfallenden Zinsen gem. § 362 BGB vorbehaltlos erfüllt, was zur Erledigung des Rechtsstreits und zur Unbegründetheit der verbleibenden Restforderung führte.

Dass diese Zahlung erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt ist, ändert hieran nichts, ein erledigendes Ereignis ist vielmehr bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits zu beachten (…). Folgerichtig hat das Landgericht die verbleibende Klage mit dem angefochtenen Urteil auch abgewiesen, ohne allerdings hieraus die gebotene prozessuale Konsequenz für den Kostenanspruch zu ziehen.

Für eine Durchbrechung der sich aus § 91 ZPO ergebenden Kostenlast der unterliegenden Partei, d. h. vorliegend der Klägerin, besteht auch in der hier gegebenen Konstellation kein Anlass. Zwar hätte die Klägerin eine einseitige Erledigungserklärung im laufenden Verfahren nach Schluss der mündlichen Verhandlung nicht mehr wirksam abgeben können. Das Landgericht wäre jedoch im Anschluss an die Ankündigung einer solchen Klageänderung gehalten gewesen, die mündliche Verhandlung gem. § 156 ZPO wiederzueröffnen.

Unabhängig hiervon hätte die Klägerin jedenfalls Berufung einlegen und dort die Erledigungsfeststellung erwirken können (…). Vorliegend wäre es jedoch nicht einmal erforderlich gewesen, diesen – zugegebenermaßen prozessual mühsamen – Weg zu beschreiten. Mit anwaltlichem Schriftsatz des Beklagten vom 22.1.2020, hatte dieser nämlich selbst eine Erledigungserklärung für den Restbetrag abgegeben. Dieser Erledigungserklärung hätte die Klägerin auch noch nach Schluss der mündlichen Verhandlung zustimmen und damit eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO im Beschlusswege erreichen können, die absehbar zu ihren Gunsten ausgegangen wäre, nachdem der Beklagte sich gegen die Klage in der Sache selbst nicht verteidigt hatte.

Entscheidet sich die Klagepartei in einer solchen Konstellation gegen eine solche Erledigungserklärung, besteht kein Grund, ihr unter Durchbrechung der prozessualen Kostenvorschriften einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch zu sichern. Ob die Klägerin das infolge des gerichtlichen Ermessens nach § 91a ZPO bestehende „Restrisiko“ durch eine Klageänderung zu einer Kostenfeststellungsklage hätte ausschließen können (…), kann hier dahinstehen. Eine solche Klageänderung hat die Klägerin nicht erklärt, sie wäre zudem ebenfalls in erster Instanz nach Schluss der mündlichen Verhandlung nicht mehr möglich gewesen.

2. Wie ausgeführt steht gleichwohl die Rechtsmittelsperre aus § 99 Absatz 1 ZPO einer isolierten Anfechtung der Kostenentscheidung entgegen. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unanfechtbarkeit der Kostenentscheidung ist nicht gegeben. Zwar wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine isolierte Anfechtbarkeit für den Fall in Betracht gezogen wird, dass die Kostenentscheidung eine eigenständige, von der Entscheidung in der Hauptsache unabhängige Beschwer enthält (…); diese Konstellation ist hier jedoch nicht gegeben. Allein eine sachlich unzutreffende Kostenentscheidung begründet nämlich noch keine eigenständige, über den Nachteil der Kostentragung hinausgehende Beschwer der Beklagten; erforderlich für eine Überwindung der Kostensperre des § 99 Abs. 1 ZPO ist vielmehr, dass die Kostenentscheidung auch verfahrensrechtlich nicht hätte ergehen dürfen (…). Bei einer Entscheidung durch Urteil ist jedoch über die gesamten Kosten des Rechtsstreits abschließend zu befinden; dies hat das Landgericht getan.“

Anmerkung

Und das scheint mir im Ergebnis unzweifelhaft, weil die Kostenentscheidung nur in den in § 99 Abs. 2 ZPO genannten Fall isoliert anfechtbar ist (s. dazu ausführlich hier). Zweifelhaft scheinen mir aber die weiteren Ausführungen des OLG in dem rechtsberatenden „obiter dictum“: Denn nicht die Kostenentscheidung war hier falsch, sondern die Hauptsacheentscheidung. Der Vortrag der Beklagten zur Erfüllung konnte gem. § 296a ZPO in dem auf die mündliche Verhandlung erlassenen Urteil überhaupt keine Berücksichtigung finden, da ein Schriftsatznachlass war keiner der Parteien gewährt worden war. Der Klage war  trotz der Erfüllung – stattzugeben, weil „Stichtag“ der Schluss der mündlichen Verhandlung ist (s. auch § 767 Abs. 2 ZPO) und zu diesem Zeitpunkt noch keine Erfüllung eingetreten war. Den Erfüllungseinwand hätte der Beklagte dann mit der Berufung geltend machen müssen. Und mit diesem neuen Vorbringen wäre er auch gem. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht ausgeschlossen gewesen, trotz dass er selbst die Erfüllung herbeigeführt hatte (vgl. BGH, Urteil v. 06.10.2005 – VII ZR 229/03). Alternativ hätte dem Beklagten auch der Weg über die Vollstreckungsgegenklage offen gestanden, weil er auch insoweit mit dem Erfüllungseinwand nicht gem. § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen gewesen wäre. Nur wenn die Klägerin hier den Rechtsstreit für erledigt erklärt und sich der Beklagte dem nicht angeschlossen hätte, hätte hier - worauf das OLG zu Recht hinweist - der Rechtsstreit in erster Instanz fortgesetzt werden können und müssen, weil dann i.d.R. die mündliche Verhandlung gem. § 156 Abs. 1 ZPO wiederzueröffnen gewesen wäre (s. Fischer, NJW 1994, 1315, 1319). Und: natürlich hätte das Gericht die mündliche Verhandlung einfach wiedereröffnen können. tl;dr: 1. Eine Erfüllung nach Schluss der mündlichen Verhandlung kann i.d.R. in dem auf die mündliche Verhandlung ergehenden Urteil nicht mehr berücksichtigt werden. 2. Wenn die klagende Partei nach Schluss der mündlichen Verhandlung eine Erledigungserklärung ankündigt, hat das Gericht die mündliche Verhandlung i.d.R. gem. § 156 Abs. 1 ZPO wiederzueröffnen.  Anmerkung/Besprechung, OLG Dresden, Beschluss vom 16.07.2020 – 4 W 510/20. Foto: Jörg Blobelt creator QS:P170,Q28598952, 20070106172DR Dresden Schloßplatz Ständehaus, CC BY-SA 4.0