Erledigung eines Rechtsmittels?

Eher etwas für Verfahrensrechts-„Connaisseure“ ist vermutlich der Beschluss des BGH vom 20.12.2018 – I ZB 24/17 - aber gerade deshalb gehört er ja in dieses Blog. Darin geht es um die Frage, ob eine Partei nicht nur das Verfahren an sich, sondern auch ein Rechtsmittel für erledigt erklären kann – und welche Folgen dies ggf. hat.

Sachverhalt

Dem zugrunde lag ein Vollstreckungsverfahren, in dem der Gläubiger (ein Landkreis) wegen rückständiger Gebühren für Abfallentsorgung gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Ausstandsverzeichnis betrieb (Art. 24 BayVwZVG). Gegen die Vollstreckung aus diesem Ausstandsverzeichnis wendete sich der Schuldner mit der mit der Erinnerung (§ 766 ZPO), die ebenso erfolglos blieb, wie die sofortige Beschwerde (§ 793 ZPO). Nach Einlegung der zugelassenen Rechtsbeschwerde hat der Gläubiger den Vollstreckungsauftrag zurückgenommen. Der Schuldner hat daraufhin die Erinnerung für erledigt erklärt; der Gläubiger hat der Erinnerung widersprochen.

Der Fall spielt tief im Vollstreckungsrecht und zeigt sehr schön den Verfahrensgang in Vollstreckungssachen: Über Anträge, Einwendungen und Erinnerungen, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher oder das Vollstreckungsverfahren betreffen, entscheidet gem. § 766 ZPO das Vollstreckungsgericht im Wege der Erinnerung. Gegen den Beschluss des Gerichts ist gem. § 793 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft; gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts die Rechtsbeschwerde, wenn das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO). Im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens hatte der Gläubiger aber dem gesamten Vollstreckungsverfahren und damit auch der Rechtsbeschwerde die Grundlage entzogen, indem er den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher zurückgenommen hatte. Der Schuldner stand nun vor einem Dilemma: Das Rechtsschutzbedürfnis für sein Rechtsmittel war plötzlich weggefallen, so dass das Rechtsmittel keinen Erfolg mehr haben konnte. Deshalb hatte er nicht das Vollstreckungsverfahren für erledigt erklärt (das ging ja auch gar nicht, weil er Schuldner und nicht Gläubiger war), sondern lediglich die Erinnerung. Und deshalb stellte sich die Frage, ob nicht nur Klageanträge, sondern auch Rechtsmittel für erledigt erklärt werden können.

Entscheidung

Der I. Zivilsenat hat die Erledigungserklärung für zulässig gehalten:

„Der Schuldner hat das Rechtsbeschwerdeverfahren (...) in zulässiger Weise für erledigt erklärt.

1. Die Erledigungserklärung des Schuldners betrifft abweichend von ihrem auf die „Erinnerung“ gerichteten Wortlaut bei interessengerechter Auslegung das beim Senat anhängige Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde, mit der der Schuldner sein Begehren weiterverfolgt hat, die Zwangsvollstreckung aus dem Ausstandsverzeichnis vom 21. Juni 2016 zu verhindern. Die Vorschriften der §§ 91 ff. ZPO sind auf Beschwerden im Zwangsvollstreckungsverfahren anwendbar, wenn es sich – wie im Streitfall – um ein kontradiktorisches Verfahren zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger handelt (...).

2. Die Erledigungserklärung des Schuldners ist einseitig geblieben. Der Gläubiger hat ihr (…) widersprochen. Diese Erklärung ist trotz des im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof grundsätzlich geltenden Anwaltszwangs (§ 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO) wirksam, weil eine Erledigungserklärung im Sinne von § 78 Abs. 3 ZPO auch zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden kann (…).

3. Eine auf ein Rechtsmittel bezogene einseitige Erledigungserklärung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls dann zulässig, wenn hierfür ein besonderes Bedürfnis besteht, weil nur auf diese Weise eine angemessene Kostenentscheidung zu erzielen ist (…). So liegt es hier.

a) Für den Schuldner besteht ein besonderes Bedürfnis, eine ihn belastende Kostenentscheidung durch die einseitige Erledigungserklärung des Rechtsmittels zu vermeiden.

aa) Der Gläubiger hat den Vollstreckungsauftrag nach Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen die seine Erinnerung zurückweisende Entscheidung des Vollstreckungsgerichts zurückgenommen. Daraufhin hat der Gerichtsvollzieher dem Gläubiger die Vollstreckungsunterlagen zurückgesandt. Damit fehlt es an einem gemäß § 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO für die hier in Rede stehende Einholung einer Vermögensauskunft des Schuldners im Sinne von § 802c ZPO erforderlichen Vollstreckungsauftrag. Die Antragsrücknahme führt zur Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme (…).

Dadurch ist die für die Zulässigkeit des Rechtsmittels notwendige Beschwer nachträglich weggefallen. Die Beschwer muss als allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung für jedes Rechtsmittel nach der Zivilprozessordnung noch zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel gegeben sein; ihr Wegfall macht das Rechtsmittel unzulässig und führt zu dessen Verwerfung (…).

bb) Dem Schuldner bleibt allein die Erledigungserklärung seines Rechtsmittels, um der durch eine Verwerfung des Rechtsmittels drohenden Kostenlast zu entgehen (…).

Eine Rücknahme der Rechtsbeschwerde liegt nicht im Interesse des Schuldners. Sie hätte zur Folge, dass er die Kosten des Rechtsmittels unabhängig davon zu tragen hätte, ob es ursprünglich begründet war oder nicht (…). Die Möglichkeit, die Hauptsache für erledigt zu erklären, hat lediglich der die Zwangsvollstreckung betreibende Gläubiger.

b) Das erledigende Ereignis als solches steht vorliegend außer Streit. Der Gläubiger hat den Vollstreckungsauftrag unstreitig zurückgenommen.“

Allerdings musste der Schuldner am Ende doch die Kosten tragen, weil die Rechtsbeschwerde nach Ansicht des Senats von Anfang an unbegründet war.

Anmerkung

Die auf ein Rechtsmittel bezogene Erledigungserklärung kommt dabei insbesondere im Zwangsvollstreckungsverfahren in Betracht, wenn z.B.
  • der Vollstreckungsauftrag oder der Haftbefehlsantrag zurückgenommen wird (zu letzterem s. kürzlich BGH, Beschluss vom 29.3.2018 – I ZB 54/17) oder
  • der Titel, aus dem die Vollstreckung betrieben wird, auf eine Vollstreckungsgegenklage hin aufgehoben wird (OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.10.1997 – 5 W 31/95).
Daneben soll – wobei vieles unklar ist – eine auf das Rechtsmittel bezogene Erklärung zulässig sein, wenn ein Rechtsmittelverfahren kontradiktorisch ausgestaltet ist und die Beteiligten zwangsläufig widerstreitende Interessen vertreten (s. BGH, Beschluss vom 25.01.2007 – V ZB 125/05). Das erfasst insbesondere Fälle prozessualer Überholung eines Rechtsmittels, z.B. wenn
  • ein Urteil nachträglich ergänzt (§ 321 ZPO) oder berichtigt (§ 319 ZPO) wird und dadurch die Beschwer für die zunächst eingelegte Berufung wegfällt (vgl. BGH, Urteil vom 30.09.2009 – VIII ZR 29/09);
  • im Richterablehnungsverfahren der abgelehnte Richter im Laufe des Beschwerdeverfahrens versetzt wird oder sich die gerichtsinterne Zuständigkeit ändert (OLG Rostock, Beschluss vom 29.05.2006 – 7 W 97/05)
  • ein Antrag auf öffentliche Zustellung zurückgewiesen wird, und sich im Laufe des Beschwerdeverfahrens ein Prozessbevollmächtigter für die Beklagte meldet (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2009 – VIII ZB 47/08).
Als „alternative Erledigungsform“ hat neben Rücknahme und Erledigung in jüngerer Zeit übrigens auch das OLG Hamm ein Anerkenntnis eines Rechtsmittel(-antrag)-s für zulässig gehalten (Anerkenntnisurteil vom 06.11.2018 – 21 U 112/18, s. dazu ausführlich schon hier). tl;dr: Eine auf ein Rechtsmittel bezogene einseitige Erledigungserklärung ist jedenfalls dann zulässig, wenn hierfür ein besonderes Bedürfnis besteht, weil z.B. nur auf diese Weise eine angemessene Kostenentscheidung zu erzielen ist, und wenn zudem das erledigende Ereignis als solches außer Streit steht. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 20.12.2018 – I ZB 24/17. Wenn Sie diesen Artikel verlinken wollen, können Sie dafür auch folgenden Kurzlink verwenden: www.zpoblog.de/?p=7165 Foto: ComQuat | BGH - Bibliothek - Innenansicht | CC BY-SA 3.0