Bindende Gerichtsstandswahl durch Angabe im Mahnantrag

Wird im Mahnverfahren nicht ausreichend Wert auf die Angabe des Gerichts gelegt, an das die Sache im Falle einer Widerspruchs oder Einspruchs abgegeben werden soll, können sich aus § 35 ZPO erhebliche Probleme ergeben. Das zeigt eine Entscheidung des OLG Frankfurt vom 22.01.2020 besonders deutlich.

Sachverhalt

Die Klägerin mit Sitz im Bezirk des Landgerichts Düsseldorf nimmt die Beklagte mit Sitz im Bezirk des Landgerichts Darmstadt auf Zahlung von Miete für Baumaschinen in Anspruch; im Vertrag hatten die Parteien einen (nicht ausschließlichen) Gerichtsstand am Sitz der Klägerin vereinbart. Im Mahnverfahren hat die Klägerin das Landgericht Darmstadt als dasjenige Gericht benannt, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abgegeben werden soll. Dementsprechend ist das Verfahren nach dem Widerspruch der Beklagten an das Landgericht Darmstadt abgegeben worden. Mit der Anspruchsbegründung beantragte die Klägerin, den Rechtsstreit an das Landgericht Düsseldorf – Kammer für Handelssachen – zu verweisen, weil die Klägerin „ihren Gerichtsstand nach § 36 ZPO prorogiert“ habe. Nach Anhörung der Beklagten hat das Landgericht Darmstadt sich daraufhin für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Düsseldorf verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Parteien nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung getroffen hätten. Das LG Düsseldorf hat sich daraufhin ebenfalls für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main gem. §§ 36 ff. ZPO zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beschluss des Landgerichts Darmstadt rechtswidrig und willkürlich sei, weil dies § 35 ZPO missachtet habe.

Örtlich zuständig waren hier sowohl das Landgericht Darmstadt als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands der Beklagten (§§ 13, 17 ZPO) als auch das LG Düsseldorf aufgrund der Vereinbarung der Parteien (§ 38 Abs. 1 ZPO). Zwischen diesen Gerichten konnte die Klägerin gem. § 35 ZPO wählen. Das Landgericht Darmstadt hatte den Rechtsstreit daher auf Antrag der Klägerin an das Landgericht Düsseldorf verwiesen. Dieser Beschluss war gem. § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht anfechtbar und gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Landgericht Düsseldorf bindend. Dem Prozess war aber ein Mahnverfahren (§§ 688 ff. ZPO) vorausgegangen. Im Mahnverfahren ergeht zunächst auf Antrag des Antragstellers ein Mahnbescheid, der dem Antragsgegner zugestellt wird und gegen den dieser Widerspruch einlegen kann. Geht kein Widerspruch ein, ergeht auf Antrag ein Vollstreckungsbescheid. Dieser ist ein Vollstreckungstitel und steht einem Versäumnisurteil gleich, gegen diesen kann das Antragsgegner deshalb Einspruch einlegen. Im Mahnantrag muss der Antragsteller dabei angeben, an welches Prozessgericht die Sache abgegeben werden soll (§ 690 Ziff. 5 ZPO), wenn der Beklagte Widerspruch (§ 694 ZPO) einlegt. Hier hatte die Klägerin das Landgericht Darmstadt angegeben (möglicherweise, weil das in den entsprechenden Programmen häufig das Gericht des allgemeinen Gerichtsstands automatisch ausgewählt und dann nicht mehr geändert wird). An das LG Darmstadt hatte das Mahngericht den Rechtsstreit deshalb auch abgegeben (§ 696 ZPO). Das Landgericht Düsseldorf ging deshalb davon aus, dass die Klägerin mit der Angabe im Mahnantrag das ihr gem. § 35 ZPO zustehende Wahlrecht unwiderruflich ausgeübt habe und deshalb nicht mehr die Verweisung an das Landgericht Düsseldorf beantragen könne. Der Beschluss des LG Darmstadt sei deshalb willkürlich und deshalb ausnahmsweise nicht gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend. Das Landgericht Düsseldorf hatte den Rechtsstreit deshalb gem. § 36 Nr. 6 ZPO dem OLG Frankfurt vorgelegt mit dem Antrag, das zuständige Gericht (Darmstadt oder Düsseldorf) zu bestimmen.

Entscheidung

Das OLG Frankfurt hat das Landgericht Darmstadt als zuständiges Gericht bestimmt:

„Dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts Darmstadt vom 21.10.2019 kommt keine Bindungswirkung gem. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO zu.

Die Bindungswirkung entfällt dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (…).

Eine solcher Ausnahmefall ist insbesondere dann gegeben, wenn ein als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands unzweifelhaft örtlich zuständiges Gericht sich darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt und/oder eine nach § 35 ZPO bindende Gerichtsstandswahl des Klägers nicht berücksichtigt hat (…).

Vorliegend ergibt sich weder aus dem Verweisungsbeschluss noch aus dem weiteren Akteninhalt, dass sich das Landgericht Darmstadt mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die von der Klägerin vorgetragene Vereinbarung einen ausschließlichen oder weiteren Gerichtsstand zum Gegenstand hatte. Soweit das Landgericht Darmstadt eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten Düsseldorf hätte annehmen wollen, wäre zumindest erforderlich gewesen, dass das Gericht nach einem Abwägungs- und Entscheidungsprozess seine Auffassung begründet hätte (…). Dies kann weder dem Verweisungsbeschluss noch dem sonstigen Akteninhalt entnommen werden.

Bei der Annahme der Vereinbarung eines nicht ausschließlichen Gerichtsstands hätte sich das Landgericht Darmstadt dagegen nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass die Klägerin in ihrem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids das Landgericht Darmstadt als Prozessgericht benannt und damit ihr Wahlrecht zwischen den in Betracht kommenden Gerichtsständen beim Landgericht Düsseldorf und beim Landgericht Darmstadt in Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen ausgeübt hätte. Die auf diese Weise gemäß § 35 ZPO einmal getroffene Wahl eines Gerichtsstands wäre unwiderruflich und bindend gewesen (…).

Verweisungsbeschlüsse, die im Widerspruch zu der verbindlichen und unwiderruflichen Ausübung des Wahlrechts gemäß § 35 ZPO stehen, sind in der Regel wegen willkürlicher Rechtsanwendung nicht bindend (…). So liegt der Fall hier, zumal sich das Landgericht Darmstadt mit der entscheidenden Frage der Bindung der klagenden Partei an die Zuständigkeitswahl überhaupt nicht auseinandersetzt.“

Anmerkung

Dass schon mit den Angaben im Mahnbescheid § 690 Nr. 5 ZPO das zuständige Gericht oft bindend und unwiderruflich bestimmt wird, ist nach wie vor erstaunlich unbekannt (und führt erfahrungsgemäß zu verwunderten Nachfragen, wenn man nach vorangegangenem Mahnverfahren um ergänzenden Vortrag zur Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts bittet). Das Problem scheint hier auch beiden Parteivertretern sowie den LG Darmstadt nicht bewusst gewesen zu sein. Aus anwaltlicher Sicht ist deshalb besonderer Wert auf die Angaben im Mahnantrag zu legen, wenn ein bestimmter Gerichtsstand angestrebt wird und man nicht plötzlich an einem anderen Gericht „aufwachen will“. Das gilt übrigens auch in Bezug auf die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen: Auch insoweit hatten die Klägervertreter hier offenbar die entsprechende Auswahl im Mahnantrag vergessen. Den Antrag gem. § 96 GVG konnten sie aber in der Anspruchsbegründung noch nachholen (s. dazu auch diesen Gastbeitrag von Just/Omlor). Für die gerichtliche Praxis bietet die Entscheidung eine erfreuliche Klarstellung, indem sie gerade diesen praktisch sehr häufigen Fall als Ausnahme von der Bindungswirkung anerkennt. Da hier viel dafür spricht, dass das LG Darmstadt die Wirkungen des § 35 ZPO übersehen hatte, hätte das LG Düsseldorf die Sache übrigens auch zurückverweisen können (s. nur Zöller/Greger, § 281 Rn. 19; Saenger/Saenger, § 281 Rn. 29). Dann hätte sich das LG Darmstadt überlegen können, ob es die Sache „annimmt“ oder dem OLG Frankfurt vorlegt. tl;dr: Verweisungsbeschlüsse, die im Widerspruch zu der verbindlichen und unwiderruflichen Ausübung des Wahlrechts gemäß § 35 ZPO stehen, sind in der Regel wegen willkürlicher Rechtsanwendung nicht bindend i.S.d. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Anmerkung/Besprechung, OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.01.2020 – 13 SV 2/20. Foto: Jim Wilson on Unsplash