BGH zur Zulässigkeit von grenzüberschreitenden PKH-Anträgen
Entscheidung
Der BGH hat die Entscheidung wegen Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufgehoben:„Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung durften im Hinblick auf den von dem Kläger gestellten Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe weder die Einholung des vom Berufungsgericht für erforderlich erachteten weiteren Sachverständigengutachtens abgelehnt noch die Berufung des Klägers zurückgewiesen werden. (…) Das Berufungsgericht hat insoweit die gebotene richtlinienkonforme Auslegung des § 1078 ZPO anhand der Richtlinie des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl. L 26, S. 41 [Berichtigung ABl. L 32, S. 15] - im Folgenden: Richtlinie) unterlassen. (…)
a) Die gesetzliche Regelung in 1078 ZPO sieht von ihrem Wortlaut her eine Antragstellung der Prozesspartei unmittelbar bei dem vorbezeichneten Prozessgericht zwar nicht ausdrücklich vor, sondern regelt im Grundsatz die Behandlung von aus anderen Mitgliedstaaten eingehenden Ersuchen um grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe (…).
aa) Die nationalen Gerichte sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (…)
bb) Gemessen an diesen Maßstäben ist im Streitfall eine richtlinienkonforme Auslegung des § 1078 ZPO zunächst dahin zulässig und geboten, dass eine Prozesspartei, die (…) ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hat, einen Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe auch unmittelbar bei dem zuständigen Prozessgericht des Mitgliedstaats des Gerichtsstands stellen darf (…).
(1) Der Richtlinie ist eine (…) Einschränkung dahingehend, dass eine bedürftige Prozesspartei ihren Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe ausschließlich bei der zuständigen Übermittlungsbehörde des Mitgliedstaats des Wohnsitzes stellen darf, die diesen dann – gegebenenfalls nach der Fertigung von Übersetzungen – an die Empfangsbehörde des Mitgliedstaats des Gerichtsstands weiterleitet (Art. 13 Abs. 4 der Richtlinie), nicht zu entnehmen.
Vielmehr sieht Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie vor, dass Anträge auf Prozesskostenhilfe entweder bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Übermittlungsbehörde), oder bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats des Gerichtsstands oder des Vollstreckungsmitgliedstaats (Empfangsbehörde) eingereicht werden können.
(2) Dementsprechend hat auch der Gerichtshof in seinem zu der Richtlinie – nach Erlass des Berufungsurteils – ergangenen Urteil vom 26. Juli 2017 (C-670/15, Rn. 29, 35, 39, 41 ff. - Šalplachta) entschieden, dass Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie (…) der bedürftigen Partei die Möglichkeit gibt, ihren Antrag auf Prozesskostenhilfe entweder bei der Übermittlungsbehörde, also in dem Mitgliedstaat des Wohnsitzes, oder bei der Empfangsbehörde, also in dem Mitgliedstaat des Gerichtsstands, zu stellen, und sie hierdurch die Wahl zwischen zwei alternativen Optionen hat, die in keinem Rangverhältnis zueinander stehen (…).
(3) Die in Anbetracht des vom Unionsrecht vorgesehenen Gleichrangs der Antragsmöglichkeiten bei der Übermittlungsbehörde und der Empfangsbehörde gebotene richtlinienkonforme Auslegung des § 1078 ZPO (…) ist auch zulässig. (…)
b) Die zulässige und gebotene richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1076 bis 1078 ZPO, namentlich des § 1078 ZPO, führt weiter zu dem Ergebnis, dass eine Prozesspartei (…) nicht verpflichtet ist, dem Gericht auf eigene Kosten Übersetzungen der von ihr eingereichten fremdsprachigen Prozesskostenhilfeunterlagen, namentlich der Anlagen des Prozesskostenhilfeantrags, vorzulegen.
aa) Die gesetzliche Regelung in § 1078 ZPO sieht (…) von ihrem Wortlaut her eine Antragstellung der bedürftigen Prozesspartei unmittelbar bei dem Prozessgericht des Gerichtsstands nicht ausdrücklich vor. Dementsprechend enthält diese Vorschrift für eine solche Antragstellung (…) auch keine Regelung, von wem und auf wessen Kosten die erforderlichen Übersetzungen der Prozesskostenunterlagen zu fertigen sind. (…)
Hiervon ausgehend hat der Bundesgerichtshof (… IV ZR 161/14 Rn. 1) die Auffassung vertreten, dass die vorbezeichneten Anforderungen auch für den hier gegebenen Fall zu gelten haben, dass die bedürftige Partei den Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe unmittelbar bei dem zuständigen Prozessgericht des Mitgliedstaats des Gerichtsstands stellt (…)
bb) An dieser Auffassung ist indes – wie auch der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf Anfrage des Senats mitgeteilt hat – unter Berücksichtigung des nach der vorbezeichneten Rechtsprechung ergangenen Urteils des Gerichtshofs vom 26. Juli 2017 (C-670/15, aaO Rn. 24 ff. - Šalplachta) und der darin erfolgten Auslegung der Richtlinie nicht mehr festzuhalten (…)
c) Das Berufungsgericht hätte daher das Fehlen von Übersetzungen (…) nicht zum Anlass nehmen dürfen, von der Erhebung des von dem Kläger beantragten Sachverständigenbeweises abzusehen und die Berufung des Klägers aus diesem Grund wegen Beweisfälligkeit zurückzuweisen. Das Berufungsgericht hätte die Übersetzungen vielmehr von Amts wegen vornehmen müssen (…).
Dabei war es dem Berufungsgericht unbenommen, die Unterlagen unter Heranziehung eines Übersetzers zunächst zu sichten, um beurteilen zu können, welche der vorgelegten Anlagen voraussichtlich für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag von maßgeblicher Bedeutung sind, und hierdurch gegebenenfalls den Übersetzungsaufwand auf das notwendige Maß zu beschränken.“