BGH zur Zulässigkeit von grenzüberschreitenden PKH-Anträgen

Ist an einem Rechtsstreit vor einem deutschen Gericht eine Partei mit Wohnsitz im Ausland beteiligt und beantragt diese die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, richtet sich das Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach den §§ 1076 ff. ZPO. Danach ist grundsätzlich vorgesehen, dass der Antrag bei dem Gericht am (ausländischen) Wohnsitz zu stellen ist und nach Übersetzung an das deutsche Prozessgericht weitergeleitet wird. Mit Beschluss vom 03.07.2018 – VIII ZR 229/17 hat sich der Bundesgerichtshof damit befasst, ob ein Antrag auch unmittelbar beim (deutschen) Prozessgericht gestellt werden kann und ob das Übersetzungserfordernis gem. § 1078 Abs. 1 ZPO auch dann gilt.

Sachverhalt

Der Kläger, der in Polen wohnt und eine Bäckerei betriebt, hatte von der in Deutschland ansässigen Beklagten einen Backofen für gewerbliche Zwecke gekauft, hielt diesen jedoch für mangelhaft und begehrte die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Er hatte deshalb vor dem Landgericht Görlitz Klage erhoben. Das Landgericht hat mehrere Zeugen vernommen und die Klage mit der Begründung abgewiesen, es sei nicht auszuschließen, dass die mangelhaften Backergebnisse auf eine Fehlbedienung zurückzuführen seien. Auf die vom Kläger eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht beschlossen, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Den zunächst geforderten Vorschuss in Höhe von über 2.500 EUR hat der Kläger eingezahlt. Nach einer Kostenschätzung durch den Sachverständigen hat das Berufungsgericht vom Beklagten einen weiteren Vorschuss von 9.000 EUR gefordert. Daraufhin hat der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Dem Antrag beigefügt war eine (in deutscher Sprache) ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit Anlagen in polnischer Sprache. Der Vorsitzende hat daraufhin Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und darauf hingewiesen, der Kläger habe in der ihm gesetzten Frist weder den angeforderten weiteren Vorschuss eingezahlt noch einen dem Gesetz entsprechenden Prozesskostenhilfeantrag gestellt; gem. § 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO seien auch die Anlagen zu einem grenzüberschreitenden Prozesskostenhilfeantrag in die deutsche Sprache zu übersetzen. Da der Kläger auch in der Folge keine Übersetzungen vorgelegt hat, hat das OLG die Berufung zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

Prozesskostenhilfe gem. §§ 114 ZPO ist eine besondere Form der Sozialhilfe, die auch nicht bemittelten Personen gerichtlichen Rechtsschutz ermöglichen und diese bemittelten Personen weitgehend gleichstellen soll. Deshalb hatte der Kläger hier (erst in der Berufungsinstanz) Prozesskostenhilfe beantragt, als klar wurde, dass er die Prozesskosten – insbesondere die Kosten für die Begutachtung – nicht würde tragen können (diesen wären bei einer Bewilligung gem. § 122 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ZPO grundsätzlich von der Landeskasse getragen worden). Hat die um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei ihren Wohnsitz nicht in der BRD, richtet sich die Bewilligung nach §§ 1076 ff. ZPO. Diese sehen eine Antragstellung beim Prozessgericht jedoch nicht vor, sondern gehen davon aus, dass der Antrag beim Gericht am Wohnsitz der Partei gestellt wird, von diesem übersetzt (§ 1078 ZPO) und dann an das Prozessgericht übermittelt wird. Diesen Weg war der Kläger jedoch zunächst nicht gegangen, weshalb das Gericht das Gutachten nicht eingeholt und die Klage abgewiesen hatte.

Entscheidung

Der BGH hat die Entscheidung wegen Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufgehoben:

„Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung durften im Hinblick auf den von dem Kläger gestellten Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe weder die Einholung des vom Berufungsgericht für erforderlich erachteten weiteren Sachverständigengutachtens abgelehnt noch die Berufung des Klägers zurückgewiesen werden. (…) Das Berufungsgericht hat insoweit die gebotene richtlinienkonforme Auslegung des § 1078 ZPO anhand der Richtlinie des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl. L 26, S. 41 [Berichtigung ABl. L 32, S. 15] - im Folgenden: Richtlinie) unterlassen. (…)

a) Die gesetzliche Regelung in 1078 ZPO sieht von ihrem Wortlaut her eine Antragstellung der Prozesspartei unmittelbar bei dem vorbezeichneten Prozessgericht zwar nicht ausdrücklich vor, sondern regelt im Grundsatz die Behandlung von aus anderen Mitgliedstaaten eingehenden Ersuchen um grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe (…).

aa) Die nationalen Gerichte sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (…)

bb) Gemessen an diesen Maßstäben ist im Streitfall eine richtlinienkonforme Auslegung des § 1078 ZPO zunächst dahin zulässig und geboten, dass eine Prozesspartei, die (…) ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hat, einen Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe auch unmittelbar bei dem zuständigen Prozessgericht des Mitgliedstaats des Gerichtsstands stellen darf (…).

(1) Der Richtlinie ist eine (…) Einschränkung dahingehend, dass eine bedürftige Prozesspartei ihren Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe ausschließlich bei der zuständigen Übermittlungsbehörde des Mitgliedstaats des Wohnsitzes stellen darf, die diesen dann – gegebenenfalls nach der Fertigung von Übersetzungen – an die Empfangsbehörde des Mitgliedstaats des Gerichtsstands weiterleitet (Art. 13 Abs. 4 der Richtlinie), nicht zu entnehmen.

Vielmehr sieht Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie vor, dass Anträge auf Prozesskostenhilfe entweder bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Übermittlungsbehörde), oder bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats des Gerichtsstands oder des Vollstreckungsmitgliedstaats (Empfangsbehörde) eingereicht werden können.

(2) Dementsprechend hat auch der Gerichtshof in seinem zu der Richtlinie – nach Erlass des Berufungsurteils – ergangenen Urteil vom 26. Juli 2017 (C-670/15, Rn. 29, 35, 39, 41 ff. - Šalplachta) entschieden, dass Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie (…) der bedürftigen Partei die Möglichkeit gibt, ihren Antrag auf Prozesskostenhilfe entweder bei der Übermittlungsbehörde, also in dem Mitgliedstaat des Wohnsitzes, oder bei der Empfangsbehörde, also in dem Mitgliedstaat des Gerichtsstands, zu stellen, und sie hierdurch die Wahl zwischen zwei alternativen Optionen hat, die in keinem Rangverhältnis zueinander stehen (…).

(3) Die in Anbetracht des vom Unionsrecht vorgesehenen Gleichrangs der Antragsmöglichkeiten bei der Übermittlungsbehörde und der Empfangsbehörde gebotene richtlinienkonforme Auslegung des § 1078 ZPO (…) ist auch zulässig. (…)

b) Die zulässige und gebotene richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1076 bis 1078 ZPO, namentlich des § 1078 ZPO, führt weiter zu dem Ergebnis, dass eine Prozesspartei (…) nicht verpflichtet ist, dem Gericht auf eigene Kosten Übersetzungen der von ihr eingereichten fremdsprachigen Prozesskostenhilfeunterlagen, namentlich der Anlagen des Prozesskostenhilfeantrags, vorzulegen.

aa) Die gesetzliche Regelung in § 1078 ZPO sieht (…) von ihrem Wortlaut her eine Antragstellung der bedürftigen Prozesspartei unmittelbar bei dem Prozessgericht des Gerichtsstands nicht ausdrücklich vor. Dementsprechend enthält diese Vorschrift für eine solche Antragstellung (…) auch keine Regelung, von wem und auf wessen Kosten die erforderlichen Übersetzungen der Prozesskostenunterlagen zu fertigen sind. (…)

Hiervon ausgehend hat der Bundesgerichtshof (… IV ZR 161/14 Rn. 1) die Auffassung vertreten, dass die vorbezeichneten Anforderungen auch für den hier gegebenen Fall zu gelten haben, dass die bedürftige Partei den Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe unmittelbar bei dem zuständigen Prozessgericht des Mitgliedstaats des Gerichtsstands stellt (…)

bb) An dieser Auffassung ist indes – wie auch der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf Anfrage des Senats mitgeteilt hat – unter Berücksichtigung des nach der vorbezeichneten Rechtsprechung ergangenen Urteils des Gerichtshofs vom 26. Juli 2017 (C-670/15, aaO Rn. 24 ff. - Šalplachta) und der darin erfolgten Auslegung der Richtlinie nicht mehr festzuhalten (…)

c) Das Berufungsgericht hätte daher das Fehlen von Übersetzungen (…) nicht zum Anlass nehmen dürfen, von der Erhebung des von dem Kläger beantragten Sachverständigenbeweises abzusehen und die Berufung des Klägers aus diesem Grund wegen Beweisfälligkeit zurückzuweisen. Das Berufungsgericht hätte die Übersetzungen vielmehr von Amts wegen vornehmen müssen (…).

Dabei war es dem Berufungsgericht unbenommen, die Unterlagen unter Heranziehung eines Übersetzers zunächst zu sichten, um beurteilen zu können, welche der vorgelegten Anlagen voraussichtlich für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag von maßgeblicher Bedeutung sind, und hierdurch gegebenenfalls den Übersetzungsaufwand auf das notwendige Maß zu beschränken.“

Anmerkung

Das ist zwar mit dem Wortlaut von § 1078 ZPO nur schwierig zu vereinbaren (weshalb der Senat auch mehrere Seiten darauf verwendet, die Zulässigkeit dieser richtlinienkonformen Auslegung zu rechtfertigen). Die Lösung ist aber pragmatisch und praktikabel; die dadurch entstehende Belastung der Justizkassen dürften sich bei ein wenig Augenmaß in Grenzen halten. Die etwas harschen Worte des VIII. Zivilsenats könnten übrigens damit zusammenhängen, dass das Gericht einerseits nicht nur das PKH-Gesuch erst nach Erlass des Berufungsurteils beschieden hatte, sondern dass der Kläger auch noch – einem Hinweis des OLG folgend – einen Antrag an seinem Wohnsitzgericht gestellt und dies auch dem OLG mitgeteilt hatte, das OLG dessen Eingang jedoch nicht abgewartet hatte. Das war dem VIII. Zivilsenat dann wohl doch etwas viel „kurzer Prozess“… tl;dr: § 1078 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass 1.) ein Antrag auf grenzüberschreitende PKH auch beim deutschen Prozessgericht gestellt werden kann und 2.) der Antragsteller in einem solchen Fall nicht verpflichtet ist, dem Gericht auf eigene Kosten Übersetzungen der fremdsprachigen PKH-Unterlagen vorzulegen. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 03.07.2018 – VIII ZR 229/17. Wenn Sie diesen Artikel verlinken wollen, können Sie dafür auch folgenden Kurzlink verwenden: www.zpoblog.de/?p=6698 Foto: ComQuat | BGH - Palais 1 | CC BY-SA 3.0