Kleines ABC zum Güterichter am Arbeitsgericht

„Vor dem Gesetz steht ein gar besonderer willkürlich-paternalistischer Türhüter, die aufgenötigte gerichtsinterne Mediation“, hatte ein Kritiker vor nicht allzu langer Zeit noch Kafkas Process bemüht (Steinberg, DRiZ 2012, 19, 23). Gleichwohl kodifizierte der Gesetzgeber den Güterichter kurz darauf und trug damit die alternative Konfliktbeilegung in die Gerichte hinein (MediationsG i. d. F. v. 21.07.2012, BGBl. I S. 1577). Seither trifft man den Güterichter mit Ausnahme der Strafgerichte in nahezu allen Gerichtsbarkeiten und Instanzen. Hatten die Kritiker also Unrecht, oder hat sich der Gesetzgeber verkalkuliert?

I. Zur Einführung des Güterichters

Fest steht, dass es sich bei dem Güterichter um keine reine Modeerscheinung handelt. Vielmehr reicht der zugrundeliegende Diskurs „schlichten oder richten?“ weit in die Geschichte zurück. Alle paar Jahre bilden sich neue Formen der alternativen Konfliktbeilegung heraus, unter einem dem jeweiligen Zeitgeist entsprechenden Schlagwort. Mal sind die Neuerungen mehr, mal weniger mit dem gerichtlichen Verfahren verzahnt. Die Einführung des Güterichters war eine solche Neuerung. Anders als andere in diesem Bereich fußte sie nicht auf einer unionsrechtlichen Vorgabe, sondern wurde aus den Erfahrungen der deutschen Richterschaft geboren. Für kleines Geld hatten Gerichte im ganzen Land seit der Jahrtausendwende verschiedene Wege erprobt, um die alternative Konfliktbeilegung stärker mit dem gerichtlichen Verfahren zu verzahnen (Übersicht unter www.gueterichter-forum.de/forschungsberichte; ferner von Bargen, Gerichtsinterne Mediation, 2008, S. 70 ff.; Hess, ZZP 1+24 (2011), 137, 142 ff.). Hohe Erfolgschancen wurden dem Güterichter dabei insbesondere vor den Arbeitsgerichten prophezeit. Stärker als das zivilgerichtliche war das Verfahren vor den Arbeitsgerichten nämlich seit jeher auf eine gütliche Einigung ausgerichtet. Da die Parteien eines Arbeitsvertrags ebenso wie Betriebs- und Tarifpartner in der Regel auch nach einem Konflikt weiter miteinander umgehen müssen, eignen sich arbeitsrechtliche Konflikte vergleichsweise gut für eine gütliche Beilegung.

II. Zur Verweisung vor den Güterichter

Eine blinde Verweisung aller bei Gericht eingehenden Streitigkeiten vor den Güterichter ist indes auch im Arbeitsrecht selten sachgerecht. Das Gesetz überträgt es deshalb dem Spruchrichter, im konkreten Einzelfall zu entscheiden, ob er einen Konflikt vor den Güterichter verweist. Die insoweit zentrale Vorschrift § 54 Abs. 6 ArbGG spricht dem Spruchrichter bei seiner Entscheidung Ermessen zu; in anderen Rechtsgebieten finden sich Verweisungs- oder Parallelregelungen (§§ 278 Abs. 5 ZPO, 36 Abs. 5 FamFG, 202 S. 1 SGG, 173 S. 1 VwGO, 155 S. 1 FGO, 99 Abs. 1 PatG, 82 Abs. 1 MarkenG). Wie der Spruchrichter sein Ermessen beim Verweisen auszuüben hat, lässt das Gesetz indes offen – und an eben dieser Stelle hakt die diesem Beitrag zugrunde liegende Arbeit Sonnenberg, Der Güterichter im Arbeitsrecht, Berlin 2019, ein. Nach einer kleinen Tour d’Horizon durch die Ideengeschichte zum Güterichter entwickelt sie einen Kriterienkatalog. Dieser Katalog soll den Spruchrichter bei seiner Ermessensausübung unterstützen, ihm als Orientierungshilfe dienen und ihn dafür sensibilisieren, für welche Konflikte ein Güterichter Erfolg verspricht. Die Kriterien für eine Verweisung lassen sich dabei in verschiedene Kategorien einteilen. Die erste Kategorie bilden die materiell-abstrakten Eignungskriterien, und zwar in objektiver und in subjektiver Gestalt (näher Sonnenberg, Der Güterichter im Arbeitsrecht, 2019, S. 118 ff.). Objektiv sind etwa die Dispositionsbefugnis der Parteien über den Konfliktgegenstand, ein etwaiges Machtungleichgewicht zwischen ihnen und das Vorhandensein rechtlicher Beweisschwierigkeiten, nicht aber der Streit- oder der Gegenstandswert. Subjektiv sind demgegenüber die Verhandlungsbereitschaft der Parteien, ihre Emotionalität und ihr Wunsch nach Vertraulichkeit. Auf Basis dieser abstrakten Kriterien lässt sich sodann die konkrete Eignung häufiger arbeitsrechtlicher Konflikte für einen Güterichter bestimmen (hierzu Sonnenberg, Der Güterichter im Arbeitsrecht, 2019, S. 138 ff.). Dafür gilt es die im jeweiligen Konflikt typischerweise vorhandenen Interessen zusammenzutragen und zu prüfen, inwieweit sich die Vorteile und Chancen eines Güterichterverfahrens realisieren lassen. Im Individualarbeitsrecht sind dabei noch vergleichsweise viele Konflikte geeignet. So werden etwa im Nachgang zu beendeten Arbeitsverhältnissen oft sog. Stellvertreterkriege geführt wie über die Herausgabe von Arbeitspapieren, Zeugnisformulierungen oder Urlaubsabgeltungen. Weniger für einen Güterichter eignet sich dagegen die streitige Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, da sie sich oft in reiner Wertverteilung erschöpft. Im Betriebsverfassungsrecht ist wiederum stärker danach zu unterscheiden, ob ein Konflikt eine Rechts- oder eine Regelungsstreitigkeit betrifft; letztere sind dabei tendenziell eher verweisungsgeeignet. Im Tarifrecht schließlich können überhaupt nur wenige Streitigkeiten – solche um Rechtsfragen nämlich – vor einen Güterichter gelangen. Neben den materiellen stehen formelle Kriterien. Bei dieser Kategorie geht es zum Beispiel darum, ob eine Verweisung das Einverständnis der Parteien voraussetzt oder ob sie die Verfahrensbeendigung verzögert. Im Interesse einer differenzierten Konfliktbehandlung sollte ein Güterichter nur dann eingeschaltet werden, wenn er einen Mehrwert gegenüber alternativen Verfahrenswegen verspricht (Sander/Rozdeiczer, 11 Harvard Negotiation Law Review 1 f. (2006)). Die dritte Kategorie neben den materiellen und den formellen bilden daher die funktionellen Kriterien. Sie geben Auskunft darüber, wann ein Güterichter relativ betrachtet besser für einen Konflikt geeignet ist als andere Verfahrenswege. Statt eines Güterichters kann der Spruchrichter den Parteien nämlich auch eine außergerichtliche Konfliktbeilegung vorschlagen (§ 54a ArbGG) oder selbst einen Gütetermin mit ihnen führen (§ 54 Abs. 1 ArbGG). Die Herausforderung liegt für ihn darin, dass er den Ausgang des Verfahrens im Zeitpunkt seiner Verweisungsentscheidung noch nicht kennt. Zwar vermitteln ihm die materiellen Verweisungskriterien gewisse Wahrscheinlichkeiten. Gewissheit hat er jedoch erst im Nachhinein. Auf der Suche nach materiellen, formellen und funktionellen Kriterien offenbart sich Stück für Stück ein kleines Güterichter-ABC: Müssen die Parteien zum Beispiel mit der Verweisung vor den Güterichter einverstanden sein, oder können sie auch gegen ihren Willen verwiesen werden? Welche Justizverfahrensrechte gelten vor dem Güterichter, und welcher Methoden darf er sich bei der Konfliktbeilegung im Einzelnen bedienen? Was kostet das Verfahren, herrscht Anwaltszwang, und wie ist es in ihm um die Vertraulichkeit bestellt? Darf ein Güterichter das persönliche Erscheinen anordnen, Versäumnisurteile erlassen, prozessuale Fristen verlängern, Prozesskostenhilfe bewilligen, die Prozessakten einsehen und vollstreckbare Vergleiche protokollieren? Ist er richterlich unabhängig, darf er die – für eine Mediation typischen – Einzelgespräche mit den Parteien führen, und inwieweit muss er zum Schutz der schwächeren Partei in die Verhandlungen eingreifen? Nach alledem soll die Verweisung für den Spruchrichter aber keine Wissenschaft sein. Vielmehr sollte die Wissenschaft Entscheidungsprogramme für ihn bereithalten, die er in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit realistisch handhaben kann. Aus diesem Grund gilt es die einzelnen Kriterien zu ordnen und zu systematisieren. Dafür lässt sich auch im In- und Ausland nach Verfahrensauswahlprozessen suchen und Anleihe für den Güterichter nehmen (Sonnenberg, Der Güterichter im Arbeitsrecht, 2019, S. 282 ff.).

III. Zur Zukunft des Güterichters

Anfangs gab die gesetzliche Verankerung eines derart rechtsfernen Instituts wie der Mediation zu der Befürchtung Anlass, es werde sich nach und nach eine Schattenjustiz entwickeln (Thole, ZZP 1+27 (2014), 339, 347). Auf den Güterichter lassen sich derlei Befürchtungen jedoch kaum übertragen, da die meisten rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien vor ihm fortgelten (Sonnenberg, Der Güterichter im Arbeitsrecht, 2019, S. 243 ff.). Hinzu kommt, dass die Konfliktlösung im Wege des Vergleichs gerade im Arbeitsrecht schon lange gängige Praxis ist; das Güterichterverfahren bietet diesen Verhandlungen lediglich ein neues Forum. Mit Augenmaß eingesetzt könnte der Güterichter so zu einer wertvollen Ergänzung des herkömmlichen Gerichtsverfahrens werden. Rechtspolitisch wünschenswert ist dabei weniger eine quantitativ höhere Verbreitung der Güterichterverfahren als vielmehr eine qualitative Optimierung der Verweisungsentscheidungen.
Zur Person: Anika Sonnenberg studierte Rechtswissenschaften an der Bucerius Law School, an der New York University und an der Columbia University. Sie promovierte bei Professor Matthias Jacobs, war als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht tätig und verbrachte einen Forschungsaufenthalt an der University of Cambridge. Seit 2019 ist sie als Rechtsanwältin in einer internationalen Wirtschaftskanzlei in Düsseldorf tätig. Dieser Beitrag beruht auf der Dissertation der Autorin. Die Zahl der Nachweise ist hier wegen der Form eines Blogbeitrags bewusst auf das Nötigste reduziert. Ausführliche Belege finden sich bei: Sonnenberg, Anika, Der Güterichter im Arbeitsrecht, Berlin 2019, 346 S., 99,90 €, ISBN 978-3-428-15665-8 (verfügbar unter diesem Link).