BGH: Hinweis (erst) im Termin ist nicht rechtzeitig i.S.d. § 139 Abs. 4 ZPO

Nichts bahnbrechend Neues, sondern ein absoluter „Klassiker“ in der verfahrensrechtlichen Rechtsprechung des BGH ist Gegenstand des - wohl mit Bedacht trotzdem mit Leitsätzen versehenen - Beschlusses vom 21.01.2020 – VI ZR 346/18. Darin geht es um die Fragen, wann das Gericht Hinweise gem. § 139 ZPO erteilen, wann es Schriftsatznachlass gewähren und wann es die mündliche Verhandlung wiedereröffnen muss.

Sachverhalt

Der Kläger nimmt die Beklagte Apothekerin auf Zahlung eines (weiteren) Schmerzensgeldes und Haushaltsführungsschadens in Anspruch, weil diese ein Medikament fehlerhaft angemischt hatte. Das Landgericht gab der Klage hinsichtlich des Haushaltsführungsschadens statt und wies sie wegen des Schmerzensgeldes ab. Das Oberlandesgericht änderte das Urteil ab und sprach dem Kläger ein weiteres Schmerzensgeld zu, nicht aber den geltend gemachten Haushaltsführungsschaden. Denn der Kläger habe trotz eines Hinweises im Termin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht vorgetragen, welchen Zeitaufwand seiner Lebensgefährtin er für Pflege und Betreuung und welchen als Haushaltsführungsschaden geltend mache. Einen nicht nachgelassenen Schriftsatz des Klägervertreters auf diesen Hinweis berücksichtigte das Berufungsgericht dabei gem. § 296a ZPO nicht. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

Der Kläger hatte seinen Haushaltsführungsschaden hier erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung ausreichend substantiiert vorgetragen, weil vorher nicht ausreichend klar deutlich war, welche Arbeitsstunden seiner Lebensgefährtin der Kläger für Haushaltsarbeiten und welche für Pflegetätigkeiten geltend machte. Diesen Hinweis erteilte das Gericht aber erst im Termin, in dem es auch die mündliche Verhandlung schloss und im Nachgang zu dem es das Urteil verkündete. Der entsprechende Vortrag des Kläger befand sich erst in einem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz. Diesen hatte das Gericht gem. § 296a ZPO nicht mehr berücksichtigt, (wohl) auch, weil der Klägervertreter keinen Antrag auf Schriftsatznachlass gestellt hatte (vgl. §§ 296a Satz 2 i.V.m. 139 Abs. 5 ZPO). Fraglich war deshalb allein, ob der Vortrag in dem Schriftsatz dem Gericht hätte Anlass geben müssen, die mündliche Verhandlung gem. §§ 296a Satz 2, 156 Abs. 2 ZPO wiederzueröffnen. Das kam hier gem. § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in Betracht, wenn das Gericht seine Hinweispflicht verletzt hatte.

Entscheidung

Der VI. Zivilsenat hat das Urteil – wenig überraschend – gem. § 544 Abs. 9 ZPO auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen:

„Jedenfalls die Nichtberücksichtigung seines nach Schluss der mündlichen Verhandlung gehaltenen Vortrags verletzt den Kläger unter den Umständen des Streitfalls in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. (...)

bb) Der Bundesgerichtshof entnimmt Art. 103 Abs. 1 GG in ständiger Rechtsprechung, dass eine in erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen darf, vom Berufungsgericht einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und auf Grund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält; der Hinweis muss dabei grundsätzlich so rechtzeitig erteilt werden, dass der Berufungsbeklagte noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagieren kann (…).

Erteilt das Berufungsgericht den Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, so muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Ist offensichtlich, das sich die Partei in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend erklären kann, so muss das Gericht, wenn es nicht ins schriftliche Verfahren übergeht, die mündliche Verhandlung auch ohne einen Antrag auf Schriftsatznachlass vertagen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (…).

Gegen diese Pflichten hat das Berufungsgericht verstoßen. Es hat dem in erster Instanz in Bezug auf den Haushaltsführungsschaden siegreichen Kläger den Hinweis, es bedürfe einer Darstellung, welche Zeiten der Tätigkeit seiner Lebensgefährtin er als Pflege und Betreuung und - in Abgrenzung hierzu - für die Haushaltsführung geltend mache, erst in der mündlichen Berufungsverhandlung erteilt und diese geschlossen, obwohl dem Kläger eine sofortige Erklärung in der Sache angesichts des damit verbundenen Rechercheaufwandes ersichtlich nicht möglich war.

Vor dem Hintergrund des darin liegenden Verfahrensfehlers war das Berufungsgericht im Rahmen des § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO verpflichtet, sich mit dem nicht nachgelassenen Schriftsatz, in dem der Kläger auf den Hinweis reagiert hat, inhaltlich zu befassen und dessen Entscheidungserheblichkeit zu prüfen. Eine solche Prüfung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil es der Kläger versäumt hat, im Termin einen Schriftsatznachlass zu beantragen (…).

Die abweichende Verfahrensweise des Berufungsgerichts findet im Prozessrecht keine Stütze mehr.

cc) Auch greift der Einwand der Beschwerdeerwiderung nicht, der verspätet erteilte Hinweis des Berufungsgerichts sei von vornherein nicht erforderlich gewesen, weil die Beklagte bereits in erster Instanz den Einwand erhoben habe, die Lebensgefährtin des Klägers könne nicht zur gleichen Zeit den Haushalt führen und die Pflege des Klägers übernehmen, weshalb die entsprechende Auffassung des Berufungsgerichts für den Kläger nicht überraschend gewesen sein könne. Denn der Einwand der Beklagten musste den Kläger nicht zur Annahme veranlassen, das Berufungsgericht halte ihn für zutreffend, den Vortrag des Klägers zum Haushaltsführungsschaden – anders als das Landgericht – also nicht für ausreichend, weshalb er jedenfalls vorsorglich ergänzend vorzutragen habe (…).“

Anmerkung

Und das ist in der Sache – wie schon bemerkt – so gar keine Überraschung (s. z.B. auch aktuell und lesenswert ebenso das OLG Celle, Beschluss vom 30.03.2020 - 11 U 167/19 und z.B. die hier besprochene Entscheidung des OLG Düsseldorf).

Wenig praktikabel ist und bleibt aber die Ansicht des BGH, die mündliche Verhandlung müsse in einem solchen Fall zwingend vertagt werden. Warum man eine anwaltlich vertretene Partei derart „zu ihrem Glück zwingen muss“, erschließt sich mir nicht. Dabei kann man schon die Frage stellen, ob eine anwaltlich vertretene Partei tatsächlich auf die Möglichkeit hingewiesen werden muss, Schriftsatznachlass zu beantragen. Jedenfalls aber dürfte sie ausreichend geschützt sein, wenn sie im Termin auf die Möglichkeit hingewiesen wird, insoweit Schriftsatznachlass zu beantragen (s. zum Schriftsatznachlass ausführlich auch diesen Gastbeitrag). Wird trotzdem ein solcher Antrag nicht gestellt (und dann späterer Vortrag gem. § 296a ZPO nicht berücksichtigt), wäre ich gespannt, ob der BGH an seinen sehr strengen Maßstäben festhielte.

Interessant ist die Entscheidung außerdem noch, soweit der Senat die – erstaunlich weit verbreitete – Ansicht nicht gelten lässt, der Kläger sei durch die Beklagte schon ausreichend „hingewiesen“ worden. Wann dies der Fall sein kann, hatte ich hier schon mal näher ausgeführt.

tl;dr: Erteilt das Berufungsgericht einen Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, so muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben.