Immer wieder schwierig: Die Voraussetzungen einer Zurückverweisung gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 ZPO

Zurückverweisungen nach einer Aufhebung durch das Berufungsgericht gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 ZPO sind in der Praxis sehr verbreitet, wenn auch nicht besonders beliebt, weil häufig der zweite Durchgang bei demselben Spruchkörper für alle Beteiligten nicht besonders erhebend ist. Dass eine solche Zurückverweisung gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 ZPO aber eigentlich nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig ist und eine allein darauf gestützte Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg durchaus haben kann, zeigen zwei relativ aktuelle Entscheidungen des BGH (Teilurteil vom 15.02.2017 – VIII ZR 284/15 und Urteil vom 02.03.2017 – VII ZR 154/15).
Sachverhalte
In dem vom VIII. Zivilsenat entschiedenen Fall ging es um einen Kaufvertrag über eine Suspensionsmischanlage, die der Herstellung von „Betonen aller Art“ dienen sollte. Die vertraglichen Bestimmungen legte das Landgericht so aus, dass auch bei höchster Qualität die im Vertrag angegebene maximale Verarbeitungskapazität erreicht werden müsse. Da dies nach den Feststellungen in dem eingeholten Sachverständigengutachten nicht der Fall war, gab es der auf Rückabwicklung gerichteten Klage statt. Das Berufungsgericht hielt diese Auslegung des Vertrages für unrichtig. Weil deshalb über die weiteren von der Klägerin behaupteten Sachmängel Beweis zu erheben sei, verwies es den Rechtsstreit an das Landgericht zurück. Dem vom VII. Zivilsenat zu entscheiden Fall lag eine Bausache zugrunde. Das Oberlandesgericht hob das erstinstanzliche Urteil auf, weil das Landgericht das rechtliche Gehör der Parteien verletzt habe, seinen Hinweispflichten nicht genügt und eine Überraschungsentscheidung getroffen habe (das Urteil war wohl kein Meisterstück). Klage und Widerklage seien zwar momentan unschlüssig. Darauf hätte die Vorinstanz die Parteien aber hinweisen und ihnen Gelegenheit geben müssen, ihren Vortrag nachzubessern. In Ausübung des ihm zustehenden Ermessens verweise das Gericht zurück, da eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich werde, wenn es der Klägerin gelinge, schlüssig vorzutragen.

Die Berufung ist – anders als im Strafprozess – keine zweite Tatsacheninstanz, sondern soll hauptsächlich der Fehlerkontrolle dienen, wie in § 513 Abs. 1 ZPO zum Ausdruck kommt. In der Berufungsinstanz wird der erstinstanzliche Prozess daher fortgesetzt. Hält das Berufungsgericht die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts für mangelhaft (§ 529 Abs. 1 ZPO), hat es die erforderlichen Feststellungen deshalb grundsätzlich selbst nachzuholen und selbst zu entscheiden. Nur in den in § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO genannten Fällen kann das Gericht das Urteil der Vorinstanz aufheben und den Rechtsstreit an das Gericht erster Instanz zurückverweisen. In sämtlichen Fällen geht es darum, dass die erste Instanz noch nicht vollständig entschieden hat und die Parteien keine Instanz verlieren sollen. Problematisch sind dabei häufig die Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 ZPO, die die Vorinstanzen bejaht hatten.
Entscheidungen Der VIII. Zivilsenat stellt zunächst noch einmal klar, dass die Zurückverweisung eine eigenständige Beschwer begründet, wenn eine Partei in der Berufungsinstanz einen Sachantrag gestellt hat:

„1. Die Revision ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an der erforderlichen Beschwer der Beklagten […]. Denn diese ist durch die vom Berufungsgericht ausgesprochene Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht deswegen beschwert, weil ihrem Begehren auf Sachentscheidung (Antrag auf Klageabweisung) nicht stattgegeben worden ist […].“

Außerdem hätten die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nicht vorgelegen:

„Zu Unrecht hat [das Berufungsgericht] angenommen, die vom Landgericht unterlassene und von ihm vermisste Beweiserhebung zu den von der Klägerin behaupteten konkreten Einzelmängeln der Suspensionsmischanlage sei als wesentlicher Verfahrensfehler im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu werten, weil dieses Versäumnis darauf beruhe, dass das Landgericht den Kern des Vorbringens der Klägerin zu den Mängeln der Anlage unter Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht zur Kenntnis genommen habe.

Das Berufungsgericht hat hierbei verkannt, dass das Absehen einer Beweisaufnahme zu den von der Klägerin geltend gemachten Einzelmängeln lediglich die Folge des vom Landgericht eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkts ist und somit einen Verfahrensfehler im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht zu begründen vermag. […]

(1) Vielmehr ist die Frage, ob ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne dieser Vorschrift gegeben ist, allein aufgrund des materiell-rechtlichen Standpunkts des Erstgerichts zu beurteilen, auch wenn dieser unrichtig sein sollte oder das Berufungsgericht ihn als verfehlt erachtet […].

Dies gilt auch, soweit eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in Frage steht […]. Denn Art. 103 Abs. 1 GG schützt weder davor, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lässt, etwa weil es nach Ansicht des erkennenden Gerichts für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist […], noch davor, dass es die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt […]

(2) Von einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und damit einem Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kann daher nicht gesprochen werden, wenn das erstinstanzliche Gericht die sachlich-rechtliche Relevanz eines Parteivorbringens verkennt und ihm deshalb keine Bedeutung beimisst […]

(3) Gemessen an diesen Grundsätzen ist ein dem Landgericht zu Lasten der Klägerin unterlaufener Verfahrensfehler im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht ersichtlich.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat das Landgericht durch die Nichtbeachtung des zusätzlich zu der behaupteten Funktionsuntauglichkeit der Anlage erfolgten Vortrags der Klägerin zu zahlreichen konkreten Einzelmängeln – und den hierauf gründenden Verzicht auf eine Beweiserhebung hierüber – den Kern des Vorbringens der Klägerin nicht gehörswidrig (Art. 103 Abs. 1 GG) und damit verfahrensfehlerhaft im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO übergangen.

Vielmehr kam es aus der materiell-rechtlichen Sicht des Landgerichts auf dieses zusätzliche Vorbringen nicht an, weil danach der Klage schon aufgrund des sonstigen Vorbringens der Klägerin und der insoweit durchgeführten Beweisaufnahme stattzugeben war. […] Vor diesem Hintergrund war der Vortrag der Klägerin zu zahlreichen Einzelmängeln der Anlage nach dem – allein maßgeblichen – materiell-rechtlichen Standpunkt des Landgerichts nicht (mehr) erheblich, weswegen es folgerichtig von einer ergänzenden Beweisaufnahme abgesehen und dem Rückabwicklungsbegehren der Klägerin, wenn auch mit einer Zug-um-Zug-Einschränkung, entsprochen hat.“

Der VII. Zivilsenat konnte sich in seinem Urteil erheblich kürzer fassen, weil die Voraussetzungen von § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 ZPO im Urteil der Vorinstanz noch nicht einmal dargelegt waren:

„1. Eine Zurückverweisung gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO setzt voraus, dass aufgrund eines wesentlichen Verfahrensmangels in erster Instanz eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

Nach Wortlaut und Sinn der Vorschrift, den Aufwand mehrfacher Bearbeitung klein zu halten und Verfahrensverzögerungen durch Hin- und Herschieben von Fällen in den Instanzen zu vermeiden, genügt es hierfür nicht, dass den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu geben ist und danach möglicherweise eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme erforderlich wird […].

2. Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht. Dem Berufungsurteil kann die für eine Zurückverweisung gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO erforderliche Feststellung, dass eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig wird, nicht entnommen werden.

Das Berufungsgericht […] nach einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis zunächst ergänzenden Vortrag der Klägerin […] für erforderlich gehalten. Es ist daher lediglich von einer gegebenenfalls umfangreichen und aufwändigen Verfahrensfortführung einschließlich einer wahrscheinlichen Beweisaufnahme ausgegangen. Eine Beweisaufnahme ist danach – was im Berufungsurteil auch ausdrücklich ausgeführt wird – erst dann notwendig, wenn es der Klägerin gelingt, […] schlüssig beziehungsweise erheblich vorzutragen.“

tl;dr: Zur Zurückweisung gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO berechtigen nur Verfahrensfehler, nicht aber materiell-rechtliche Unrichtigkeiten der erstinstanzlichen Entscheidung. Ob ein Verfahrensfehler vorliegt, ist auf der Basis des materiell-rechtlichen Standpunkts des erstinstanzlichen Gerichts zu beantworten. Anmerkung/Besprechung, BGH, Teilurteil vom 15.02.2017 – VIII ZR 284/15 und Urteil vom 02.03.2017 – VII ZR 154/15. Foto: Tobias Helferich | Karlsruhe bundesgerichtshof alt | CC BY-SA 3.0