Entscheidung
Auch der Bundesgerichtshof hält die Klage gegen die Beklagte zu 1) für unzulässig.
Zunächst legt der Bundesgerichtshof relativ ausführlich dar, dass ein Teilurteil betreffend die Beklagte zu 1) zulässig gewesen sei. Eine Gefahr widersprechender Entscheidungen bestehe nicht, wenn die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit nicht gegen alle Streitgenossen zulässig ist. Dann bestehe in aller Regel ein rechtlich anzuerkennendes Bedürfnis, den Streitgenossen, bezüglich dessen die Klage bereits unzulässig ist, durch Teilurteil aus dem Prozess zu entlassen.
Die Vorinstanzen hätten die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Klage gegen die Beklagte zu 1) auch zu Recht verneint.
„Nach seinem Wortlaut setzt Art. 6 Nr. 1 EuGVVO voraus, dass mindestens einer der mehreren Beklagten seinen Wohnsitz am Ort des Gerichts hat. Das ist im Streitfall nicht gegeben.
Eine allein mit der Konnexität begründete erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung dahingehend, dass es für die Annexzuständigkeit genügt, dass ein Mitbeklagter oder Streitgenosse aufgrund einer anderen Gerichtsstandsregelung als der allgemeinen des Art. 2 Abs. 1 EuGVVO, nämlich einer Regelung eines besonderen Gerichtsstandes, seinen Gerichtsstand am Wohnsitzgericht des Klägers hat, kommt nicht in Betracht […].
Die Zuständigkeit für die Klage gegen den sogenannten „Ankerbeklagten" muss sich auf dessen Wohnsitz stützen […].
Dies ergibt sich aus dem – schon angeführten – klaren Wortlaut von Art. 6 Nr. 1 EuGVVO und steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften. Danach sind die Vorschriften der genannten Verordnung autonom unter Berücksichtigung ihrer Systematik und ihrer Zielsetzungen auszulegen […].“
Aus den Erwägungsgründen der Richtlinie ergebe sich außerdem, dass grundsätzlich von einer Zuständigkeit des allgemeinen Wohnsitzgerichtsstands auszugehen sei und die besonderen Zuständigkeitsregelungen (und damit auch Art. 6 EuGVVO) eng auszulegen seien.
„Gemessen daran würde die Begründung des Mehrparteiengerichtsstandes des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO über die besondere Zuständigkeit in Versicherungssachen gemäß Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO dem Versicherten oder Versicherungsnehmer den Schutz nehmen, den diese Verordnung mit dem allgemeinen Grundsatz der Zuständigkeit des Wohnsitzgerichtes verbunden mit dem abschließenden Katalog der besonderen Zuständigkeiten gewähren will.
Für den Versicherten bzw. Versicherungsnehmer wäre nicht zuverlässig vorhersehbar, welche Gerichte für eine gegen ihn gerichtete Klage international zuständig wären. Die Systematik der Verordnung würde beeinträchtigt, ließe man zu, dass eine Zuständigkeit nach Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO […] als Grundlage für eine Zuständigkeit für andere Klagen dienen könnte […].“
Anmerkung
Das wird man kaum anders sehen können, das Ergebnis ist trotzdem erstaunlich: Will der Geschädigte verhindern, dass der Unfallgegner als Zeuge benannt wird, muss er seine Klage vor einem ausländischen Gerichterheben (was ohnehin zweckmäßig sein könnte, weil auch vor deutschen Gerichten gem.
Art. 4 Rom-II-VO das Recht des Unfallortes anwendbar wäre und das in der Regel den Prozess deutlich verzögert). Entschließt sich der Geschädigte hingegen, vom besonderen Versicherungssgerichtsstand Gebrauch zu machen und an seinem Wohnsitzgericht zu klagen, muss er hinnehmen, dass die Versicherung den Fahrer als Zeugen benennen kann.
Von einer Vorlage an den EuGH gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV hat der BGH übrigens abgesehen, weil die für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 8 Nr. 1 EuGVVO richtige Auslegung ist aus den ausgeführten Gründen derart offenkundig sei, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (sog. acte-clair-Doktrin).
tl;dr: Art. 6 Ziff. 1 EuGVVO (jetzt. Art. 8 Ziff. 1 Brüssel Ia-VO) ist eng auszulegen und erfordert zwingend einen Sitz bzw. Wohnsitz des „Ankerbeklagten“ im Bezirk des angerufenen Gerichts. Ein besonderer Gerichtsstand allein eröffnet den Anwendungsbereich von Art. 6 Ziff. 1 EuGVVO nicht.
Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil v. 24.02.2015 – VI ZR 279/14. Foto:
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