Interview: Ein Jahr Videoverhandlungen am Bundesgerichtshof

Der insbesondere für das Patentrecht, Reisevertragsrecht und Schenkungsrecht zuständige X. Zivilsenat verhandelt inzwischen seit rund Jahr regelmäßig im Wege der Bild- und Tonübertragung (§ 128a ZPO) und schaltet auf diese Weise Prozessbevollmächtigte, Parteien, und weitere Beteiligte per Videokonferenz zu. Veröffentlichten Entscheidungen gibt es dazu allerdings bisher nicht. Deshalb freut es mich sehr, dass sich Dr. Rensen bereit erklärt hat, einige (sicherlich auch für viele Kolleg:innen außerhalb des Bundesgerichtshofs interessante) Fragen zur Auslegung der Vorschrift durch den X. Zivilsenat und zur Praxis im Rahmen eines Interviews zu beantworten.

Hallo Herr Dr. Rensen! Wie kam es dazu, dass inzwischen auch am Bundesgerichtshof Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung stattfinden?

Hallo Herr Windau! Sehr gerne mache ich von der Möglichkeit Gebrauch, die Praxis des X. Zivilsenats vorzustellen und auch in rechtlicher Hinsicht zu erläutern. Tatsächlich ist der Bundesgerichtshof – und der X. Zivilsenat macht hier keine Ausnahme – nicht auf die Notwendigkeit von Videokonferenzen in dem jetzt erforderlichen Umfang vorbereitet gewesen, sondern erst die mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 verbundenen Reise- und Zutrittsbeschränkungen waren Anlass, die aufgrund von § 128a ZPO bestehenden rechtlichen Möglichkeiten näher zu prüfen und sich mit der erforderlichen Hard- und Software auseinanderzusetzen. Zum Hintergrund muss ich für den X. Zivilsenat darauf hinweisen, dass wir schwerpunktmäßig als Berufungsgericht mit Patentnichtigkeitsverfahren befasst sind. Diese Verfahren zeichnen sich nicht nur durch ihren außerordentlichen Umfang, sondern nicht selten durch eine Vielzahl von Beteiligten aus. So lassen sich Parteien oftmals durch einen Rechtsanwalt aus dem parallel geführten Verletzungsprozess, durch einen Patentanwalt und durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten. Sie entsenden nicht selten außerdem Mitarbeiter und Privatsachverständige in die Verhandlungen. Mit Rücksicht auf die international weit verteilte Herkunft der bei uns beteiligten Parteien (im letzten Jahr z.B. USA, Japan, Südkorea, Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien) kommen oft noch verschiedene Dolmetscher hinzu. Sehr schnell war den Senatsmitgliedern klar, dass Terminsaufhebungen zu einem mit Rücksicht auf die Verfahrensdauer unvertretbaren Stillstand der Rechtspflege führen werden. Der Vorsitzende des X. Zivilsenats, Herr Dr. Bacher, hat deshalb die Initiative ergriffen, eine Anlage selbst geplant und beschaffen lassen. Von verwertbaren Kenntnissen oder gar Erfahrungen im Haus hinsichtlich der Videokonferenztechnik konnte damals noch keine Rede sein.

Andere Senate haben ja nach meiner Kenntnis den Ausweg darin gesucht, häufiger im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) zu entscheiden.

Die mündlichen Verhandlungen im zweiten Rechtszug sind für die Patentnichtigkeitsverfahren von zentraler Bedeutung. Nicht selten verändern sie eine vorläufige Würdigung. Sie dauern auch deshalb oft stundenlang und sind geprägt von der Erörterung einer Vielzahl verschiedener Dokumente in Rede, Gegenrede und Frage. Ein schriftliches Verfahren kann das aufgrund seiner Schwerfälligkeit nicht leisten.

Wann fanden denn die ersten Videoverhandlungen am BGH statt?

Wir haben am 21. April 2020 damit begonnen, gestützt auf § 128a ZPO per hybrider Videokonferenz zu verhandeln. Dabei sind wir schon zu Beginn auf einige Unstimmigkeiten des geltenden Gesetzes gestoßen. So sind einige Terminsverlegungsanträge gestellt und mit Reiseverboten bzw. Regelungen über Quarantäne-Zeiträume begründet worden. Betrachtet man nun § 128a und § 227 ZPO in diesem Zusammenhang, so fällt zunächst auf, dass § 128a Abs. 1 S. 1 ZPO nur von einer Gestattung spricht und § 227 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZPO im Umkehrschluss entnommen werden kann, dass ein erheblicher, die Verlegung rechtfertigender Grund in einer schuldlosen Verhinderung liegt. Ferner sticht ins Auge, dass § 227 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 ZPO eine Entscheidung des Vorsitzenden vorsieht, während nach § 128a Abs. 1 S. 1 ZPO das Gericht, in unserem Fall also der Senat zuständig ist. Dementsprechend muss an sich zunächst der Senat die Teilnahme per Videokonferenz gestatten und kann anschließend hierauf gestützt der Vorsitzende erwägen, die Terminsverlegung abzulehnen. Wir haben uns gleichwohl entschlossen, so begründete Terminsverlegungen unter Berufung auf die Möglichkeit einer Teilnahme nach § 128a ZPO abzulehnen.

Das heißt, es ging auch darum, Terminsverlegungsanträge unter Verweisung auf die Möglichkeit einer Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung zurückweisen zu können?

Ja. Die dem zugrunde liegende,  auf den ersten Blick vielleicht überraschende Auslegung der §§ 128a, 227 ZPO trägt vor allem der immer noch nicht absehbaren Entwicklung der Pandemie sowie dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung: Einerseits können Sie bei einer derart lang andauernden Pandemie nicht ebenso anhaltend untätig bleiben und von Möglichkeiten, den Gerichtsbetrieb mit gewissen Veränderungen fortzusetzen, keinen Gebrauch machen, ohne das staatliche Gewaltmonopol als Kehrseite des Rechtsschutzgebots in Frage zu stellen. Andererseits können Sie auch nicht die Gesundheit der Beteiligten und ihrer Angehörigen unnötig riskieren. Deshalb haben wir uns bemüht, die mit § 128a ZPO verbundenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Den nötigen Gestattungsbeschluss fasst der Senat allerdings regelhaft anlässlich der Sitzung, also zu einem Zeitpunkt, an dem Verlegungsanträge seitens des Vorsitzenden bereits beschieden sein müssen. Dass die Rechtslage in Bezug auf § 128a ZPO selbst sowie das Zusammenspiel von § 128a ZPO einerseits und § 227 ZPO andererseits betreffend nicht bruchlos ist, lässt sich dem ohne weiteres entnehmen. Als schwierig hat sich mit zunehmender Dauer der Pandemie auch die begrenzte Größe der Sitzungssäle erwiesen. So lassen die Sitzungssäle unter den Bedingungen der Pandemie teilweise nur sehr wenige Teilnehmer der Öffentlichkeit zu. Der Raum für die Beteiligten und die Öffentlichkeit hat sich unter fortschreitender Pandemie noch verringert. Wir haben etwa entschieden, die Zahl der Parteivertreter in bestimmten Räumen trotz vorhandener Luftmessgeräte und Luftfilteranlagen sowie ungeachtet der regelmäßigen Unterbrechungen zwecks Lüftung zu begrenzen. Das wirkt sich natürlich insbesondere dann aus, wenn ein größerer Saal nicht frei ist und die Parteien sich in der oben geschilderten Art und Weise durch eine ganze Reihe von Prozessvertretern umfassend beraten lassen wollen.

Wie haben denn die Beteiligten auf dieses Vorgehen reagiert?

Bislang haben alle Beteiligten mitgewirkt. Dass dies der Fall ist, geht nach meiner Einschätzung zum einen auf die zwischenzeitlich gesammelten, guten Erfahrungen der beteiligten Rechts- und Patentanwälte mit den von uns durchgeführten Videokonferenzen zurück. So bemühen wir uns etwa, durch den Umfang der übertragenen Bilder – alle Beteiligten sind permanent im Bild, es sei denn, es wird gerade ein Dokument eingeblendet – und durch die Qualität der Tonübertragung – wir haben fortlaufend und in großem Umfang Verbesserungen eingeführt – jedem Beteiligten eine möglich optimale passive und aktive Teilnahme an der Verhandlung zu ermöglichen. Die Beteiligten vertrauen uns insofern und wir unternehmen viel, um dem gerecht zu werden. Richtig ist aber, dass wir die Probleme im Zusammenhang mit Videokonferenzen in ihrem ganzen Umfang erst im Laufe der Zeit kennengelernt haben und dass wir immer noch mit ihrer bestmöglichen Lösung beschäftigt sind. Lassen Sie mich ein Beispiel hierfür nennen: Wege der vielsprachigen Beteiligten bedarf es regelmäßig der Hinzuziehung von Dolmetschern. Bei der Nutzung eines großen und mit einer professionellen Tonanlage ausgestatteten Sitzungssaals des Bundesgerichtshofs kam es fortlaufend zu für uns zunächst überraschenden Beschwerden der Dolmetscher wegen kurzer Tonunterbrechungen und dementsprechend abgehackter Übertragung. Diese Unterbrechungen gingen darauf zurück, dass die Sprechenden ihre Redebeiträge mit mehr oder weniger lebhaften Bewegungen unterstrichen und sich dabei aus dem Aufnahmebereich der Mikrofon-Kapseln fortbewegten. Wir hoffen, das Problem jetzt mithilfe verschiedener Maßnahmen gelöst zu haben, sind dabei aber auch an Grenzen der erhältlichen Geräte gestoßen. Dass man bisher die auf Videokonferenzen zurückgehenden Bedarfe bei der Errichtung von Sitzungssälen nicht berücksichtigt hat, wirkt sich nun eben aus.

Und es gab keine Beschwerden der Beteiligten, die auf die Möglichkeit der Teilnahme per Video verwiesen wurden?

Wir versuchen, den Beteiligten zwar die Teilnahme per Video bei einer Zahl von Vertretern, die die Kapazitäten des freien Sitzungssaals übersteigt, vorzugeben. Wir bemühen uns aber auch, den Befürchtungen wegen technischer Probleme und mangelnder Erfahrung im Umgang mit Videokonferenzen entgegenzuwirken. Eine wichtige Rolle dürfte hier die Probesitzung am Vortag spielen. Dabei melden sich alle geladenen Beteiligten zu einer Videokonferenz an, die die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle durchführen, und können sowohl die Anmeldung als auch Ton und Bild in einer Konferenz ausprobieren. Am Tag der Verhandlung muss das Ausprobierte dann nur noch wiederholt werden. Das Ganze ist natürlich mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden, dürfte aber viel mehr helfen als die natürlich ebenfalls übersandten Merkblätter. Schließlich haben wir in der Anfangsphase nach Schluss der mündlichen Verhandlungen immer nach einem Feedback der Beteiligten gefragt, und zwar nicht nur zwecks gezielter Verbesserung, sondern auch zur Erhöhung der Akzeptanz. All das wirkt nun zusammen. Mittlerweile sind kaum noch Vorbehalte gegen hybride Videokonferenzen spürbar und Kollegen haben sogar schon an mündlichen Verhandlungen ohne vor Ort anwesende Parteien teilgenommen. Ganz überwiegend sind allerdings Vertreter anwesend – und zwar ohne unsere Einwirkung oftmals für die Parteien jeweils in gleicher Zahl.

Wie muss man sich eine solche Verhandlung am BGH praktisch vorstellen?

Um das verständlich zu schildern, muss ich ein wenig früher ansetzen, nämlich schon bei der Sachbearbeitung durch den Berichterstatter und der folgenden Beratung zur Vorbereitung der Verhandlung. Wir verfügen zwar über eine elektronische Gerichtsakte. Diese hat aber einen ganz verschiedenen Umfang. So erhalten wir vom Bundespatentgericht eine umfassende elektronische Akte neben der noch führenden Papier-Akte, während die Oberlandesgerichte jedenfalls ganz überwiegend noch ausschließlich Papier-Akten übersenden. Der Berichterstatter kann dementsprechend zur Bearbeitung insbesondere in den Patentnichtigkeitsverfahren, die den Großteil unserer Arbeitszeit beanspruchen, sowohl auf die elektronische Akte als auch auf die Papier-Akte zurückgreifen. Gewöhnlich wird er allerdings unter Zuhilfenahme eines speziellen, für die Sachbearbeitung bestimmten Exzerpts der elektronischen Akte arbeiten. Dabei handelt es sich um einen elektronischen Ordner, der sämtliche für den Fall eventuell bedeutsamen und von den Beteiligten problematisierten Dokumente enthält, also z.B. das angefochtene Urteil, die Schriftsätze im zweiten Rechtszug die Streitpatentschrift, die Anmeldedokumente und verschiedene als Entgegenhaltungen eingeführte Druckschriften. Diese Dokumente werden außerdem in einer „Sitzungsakte“ vereint, also einem teilweise sehr großen pdf. Die den Fall betreffende Dokumentensammlung existiert zwar auch in Papier-Form. Ich selbst arbeite aber überwiegend unter Zuhilfenahme der elektronischen Dokumente, weil diese die schnelle Suche nach Begriffen in teilweise sehr umfangreichen, fremdsprachigen Texten mit schwierigem technischem Hintergrund erlauben. Der Berichterstatter erstellt jedenfalls ein Votum, das ebenfalls in elektronischer und in ausgedruckter Form in den erwähnten Ordner eingestellt und verteilt wird. Anschließend fertigt der Vorsitzende eine Sitzungsunterlage an, die mehr oder weniger umfangreiche und bedeutsame Änderungen gegenüber dem Votum enthält und nicht selten auch dazu dient, alle denkbaren Varianten für die anstehende mündliche Verhandlung abzudecken. Votum und Sitzungsunterlage fließen ebenfalls in die bereits erwähnte senatseigene elektronische „Sitzungsakte“ ein. In der Regel am Tag vor der mündlichen Verhandlung folgt die Beratung des Senats, die sich oftmals über mehrere Stunden erstreckt. Während der Senat – wie andere Senate auch – vor der Pandemie oft in Anwesenheit aller Richter im Dienstzimmer des Vorsitzenden beraten hat, findet die Beratung seit April letzten Jahres stets als Videokonferenz statt. Nicht selten sind dabei einige Kollegen im Sitzungssaal anwesend und nehmen an der Beratung unter Nutzung der dort stehenden Anlage teil, während andere von zu Hause aus an der Beratung teilnehmen. Zu Beratungszwecken können die Senate des Bundesgerichtshofs zwar auch auf eine auf den Servern des Bundesgerichtshofs selbst betriebene Plattform (Jitsi) zurückgreifen. Wegen der damit verbundenen Einschränkungen bei den Anwendungen machen wir davon aber keinen Gebrauch, sondern nutzen auch insofern die für Verhandlungszwecke herangezogenen Plattform MS-Teams. Schon während der Beratung und des Vortrags des Berichterstatters kommt es zu einer auch für die Verhandlungen in Patentnichtigkeitssachen bei uns charakteristischen Maßnahme: Während der Diskussion über bestimmte Passagen von Dokumenten etwa zwecks Auslegung eines Merkmals eines Patentanspruchs werden die betreffenden Textstellen aus der als pdf vorliegenden „Sitzungsakte“ eingeblendet. Außerdem werden nicht selten Zeichnungen, Tabellen und Kurven eingeblendet. Das erleichtert das Verständnis teilweiser sehr komplexer Technik sowie fremdsprachiger Textpassagen enorm und ist deshalb für uns unverzichtbar. Dementsprechend kommt der Funktion „Anwendung teilen“ für unsere Praxis eine ganz erhebliche Bedeutung zu und sind wir darauf angewiesen, in diesem Zusammenhang sehr große Dateien problemlos handhaben zu können

Das ist interessant, weil ich diese Funktion selber auch als große Bereicherung sehe, beispielsweise bei Sachverständigengutachten in Bausachen; so lassen sich Sachverhalte viel besser visualisieren.

Die Beratung dient aber nicht nur dem Zweck, alle Senatsmitglieder mit den Einzelheiten der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung vertraut zu machen – das leisten oft schon das Votum und die Sitzungsunterlage –, sondern die Beratung zielt insbesondere auf die eingangs der Verhandlung stattfindende, oft sehr umfangreiche Einführung in den Sach- und Streitstand ab und soll dazu beitragen, die Einführung so zu gestalten, dass alle nicht ganz fernliegenden Möglichkeiten angesprochen werden und nicht später die mündliche Verhandlung gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wiedereröffnet werden muss. Die am folgenden Tag stattfindende Sitzung beginnt mit dem durch die Worte „Der hohe Senat!“ angekündigten Einmarsch des Senats. Dabei hängt die Platzverteilung neben dem Vorsitzenden zum einen von der Berichterstattung, zum anderen vom Dienstalter ab. Verhandeln wir in einem kleinen Saal, sind im Saal derzeit nur die Richter sowie die Rechts- und Patentanwälte der Parteien anwesend – wir verzichten mit Rücksicht auf die Pandemie hier zur Zeit auf die Anwesenheit von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Wachtmeistern. Nachdem alle Anwesenden Platz genommen haben, wird entweder vom Vorsitzenden oder von einem als Gast teilnehmenden wissenschaftlichen Mitarbeiter das Protokoll eingeblendet und wir stellen die Anwesenheit bzw. Teilnahme der im Saal anwesenden Vertreter sowie der auswärts sitzenden Teilnehmer an der Videokonferenz fest. Nachdem dies erledigt und die Angaben im vorbereiteten Protokoll kontrolliert bzw. berichtigt sind, fasst der Senat den Gestattungsbeschluss gemäß § 128a Abs. 1 S. 1 ZPO. Anschließend erfolgt die Feststellung wegen der Prüfung der Formalien. Nach der folgenden Aufnahme der Anträge wird zunächst der Streitwert mit den Beteiligten erörtert. Daran schließt sich die gewöhnlich der Sitzungsunterlage und dem Beratungsergebnis folgende Einführung in den Sach- und Streitstand an. Ob währenddessen bereits Textstellen, Zeichnungen o.ä. eingeblendet werden, richtet sich danach, wie detailliert der Vorsitzende schon in diesem frühen Stadium darauf eingeht. Jedenfalls können die im Saal Anwesenden entweder die übrigen Teilnehmer an der Videokonferenz oder eingeblendete Dokumente auf einer Reihe großer Bildschirme sehen. In einem für Videokonferenzen ausgestatteten großen Sitzungssaal hat außerdem jeder im Saal anwesende Beteiligte einen kleinen Bildschirm mit den Bildern der Videokonferenz vor sich auf dem Tisch. Die auswärtigen Teilnehmer können, wenn nicht gerade ein Dokument eingeblendet wird, alle im Saal Anwesenden sehen. Wir betreiben zu diesem Zweck in allen entsprechend ausgestatteten Sälen jeweils mehrere Rechner und mehrere Kameras. Während der Administratoren-Rechner die die Richterbank betreffende Kamera und die Ton-Anlage (Mikrofone, Interface für den Eingang und Lautsprecher für den Ausgang) betreibt, dienen die weiteren Rechner ausschließlich dem Betrieb weiterer Kameras insbesondere für die Anwaltsbank. Sie sind jeweils als Gast in der Videokonferenz angemeldet. Als Kameraperspektive haben wir jeweils die Totale auf die Richter- und die Anwaltsbank sowie einen Zoom auf den Vorsitzenden bzw. den am Rednerpult stehenden Anwalt voreingestellt. Darauf kann man zwar mittels einer Fernbedienung einfach zurückgreifen. Oft machen wir aber nur von der Totalen Gebrauch. Zurück zur Verhandlung: Im Anschluss an die Einführung erhält der gewöhnlich auf der linken Seite sitzende Vertreter der Berufungsklägerin das Wort. Danach kann der Vertreter der Berufungsbeklagten erwidern. Diese Reihenfolge wiederholt sich, so oft das gewünscht wird. Hinzuzufügen ist gerade in Bezug auf Patentnichtigkeitssachen, dass sich die Vertreter die Aufgaben in der Regel aufteilen, und zwar gewöhnlich nach ihrer juristischen oder technischen Expertise. Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung begibt sich der Senat gewöhnlich geschlossen einschließlich des nun aus einem anderen Raum hinzueilenden wissenschaftlichen Mitarbeiters in einen sonst für Plenarbesprechungen vorgesehenen Saal und tritt erneut in die Beratung der Sache ein. In der Regel treffen wir am Nachmittag des Sitzungstags eine Entscheidung.

Ergeben sich aus der Materie des Patenrechts Besonderheiten?

Als ich meinen Dienst als Richter am Bundesgerichtshof antrat, hatte ich Jahre als Richter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit hinter mir und war dort mit einer Vielzahl von Zuständigkeiten befasst gewesen. Ich hatte nicht nur über Unterbringungen psychisch erkrankter Personen, das elterliche Sorgerecht, Fahrverbote und Bußgelder, Schadensersatz wegen ärztlicher Behandlungsfehler, anwaltliche Beratungsfehler und die Freigabe von Squeeze-out-Beschlüssen entscheiden dürfen, sondern ich hatte auch sehr interessante Erfahrungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht und am Verfassungsgerichtshof NRW sammeln können. Gleichwohl kommt mir das Patentrecht immer noch als „ganz eigene Welt“ vor, auf deren Anforderungen mich meine jahrelange Tätigkeit nur in sehr geringem Umfang vorbereitet hat. Der X. Zivilsenat hat mit dem Patentrecht in verschiedenen Konstellationen zu tun, und zwar vor allem als Berufungsgericht in Patentnichtigkeitssachen und als Revisionsgericht in Patentverletzungssachen. Darüber hinaus sind wir für gewisse Rechtsbeschwerde und Beschwerden zuständig. In Patentnichtigkeitssachen sind wir als Berufungsgericht tätig. Deshalb betreffen die Verfahren jeweils nicht nur einige wenige Rechtsfragen, sondern in der Regel eine ganze Reihe technischer und rechtlicher Fragen, die untrennbar miteinander zusammenhängen. So erklärt sich übrigens auch, dass viele Parteien sich sowohl durch einen Rechtsanwalt als auch durch einen Patentanwalt vertreten lassen. Hinzu kommt der Zusammenhang der Patentnichtigkeitsverfahren mit anhängigen oder drohenden Patentverletzungsverfahren: Nicht nur eine von uns ausgesprochene Nichtigerklärung eines Patents hat Folgen für das Verletzungsverfahren, sondern oft kommt es für die Verletzung auch auf die Auslegung bestimmter Merkmale eines Patentanspruchs an, so dass die diesbezüglichen Ausführungen in unseren Entscheidungen faktisch auch den Ausgang des Verletzungsverfahren bestimmen. Die Parteien tragen dem dadurch Rechnung, dass sie nicht selten auch den im Verletzungsverfahren für sie auftretenden Prozessvertreter im Patentnichtigkeitsverfahren hinzuziehen. Infolgedessen stehen sich jedenfalls nicht selten je drei Anwälte gegenüber. Über die ungewöhnlich große Zahl von Prozessvertretern hinaus zeichnen sich die Patentnichtigkeitssachen durch den großen Umfang des Streitstoffs aus: Nicht selten tritt eine große Zahl von Dokumenten und zugehörigen Übersetzungen neben sehr umfangreiche Schriftsätze. Bei der Würdigung des Ganzen ist zwar nicht zu übersehen, dass hier auch Unternehmen beteiligt sind, die nicht selbst Forschung und Entwicklung betreiben, sondern Patente aus anderen Gründen erwerben. Man muss aber auch die hohe wirtschaftliche Bedeutung des Patentrechts bedenken. Diese findet nicht nur in den teilweise sehr hohen Streitwerten, sondern auch in dem allseits betriebenen Aufwand ihren durchaus angemessenen Ausdruck. Allerdings haben der Umfang und die Komplexität der Auseinandersetzungen auch eine nicht unerhebliche Dauer der Verfahren zur Folge. So dauert alleine das Berufungsverfahren in einer Patentnichtigkeitssache nicht selten zwei Jahre. Dass vor diesem Hintergrund ein gewisser Erledigungsdruck auch beim Bundesgerichtshof herrscht, bedarf keiner weiteren Erörterung. Dabei muss man außerdem bedenken, dass es in der Vergangenheit eines Zivilsenats Xa bedurfte, um die Verfahrenslaufzeiten zu verkürzen und dass das Berufungsverfahren durch Gesetzesänderungen eine erhebliche Straffung erfahren hat. Man kann das leicht daran erkennen, dass früher regelhaft Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben worden ist, während das seit der Reform 2009 nur noch sehr selten geschieht. Damit ist ein wesentlicher Grund für die lange Verfahrensdauer entfallen. Umgekehrt bedeutet das allerdings, dass wir aufgerufen sind, diese komplexen und umfangreichen Verfahren deutlich schneller zu erledigen. Damit gehen zwei Besonderheiten der Patentnichtigkeitsverfahren einher, auf die ich noch kurz eingehen möchte: Während das Bundespatentgericht in den Nichtigkeitssenaten jeweils mit zwei Juristen und drei technisch vorgebildeten Richtern besetzt ist, besteht der X. Zivilsenat jeweils aus fünf Juristen. Wir sind deshalb ganz besonders auf die Expertise des Bundespatentgerichts angewiesen und halten uns in einem selbst vor dem Hintergrund des § 529 ZPO auf den ersten Blick überraschenden Umfang an den Inhalt der beigebrachten Dokumente sowie die Feststellungen im angefochtenen Urteil Hinzu kommt, dass es ganz überwiegend um den Rechtsbestand europäischer Patente geht, also solcher Patente, für deren Erteilung zwar das Europäische Patentamt zuständig ist, über deren Verletzung und Rechtsbestand aber die nationale Gerichtsbarkeit entscheidet. Hier begegnen dem Richter gelegentlich unterschiedliche Blickwinkel des Europäischen Patentamts und der nationalen Rechtsprechung, die nach Möglichkeit der Harmonisierung bedürfen. Umgekehrt liefern sowohl Entscheidungen des Europäischen Patentamts als auch Entscheidungen ausländischer Gerichte höchst willkommene Argumente.

Welche Technik setzt der X. Zivilsenat dabei ein?

Zum einen greifen wir auf MS Teams als Videokonferenz-Plattform zurück. Gegenüber dem in den Ländern teilweise genutzten Skype for Business hat das den Vorteil, dass Skype ausläuft und nicht mehr gepflegt wird, während MS Teams mit ganz erheblichem Aufwand laufend Verbesserungen erfährt. So erwarten wir in Kürze einen zweiten Kanal, den wir für Dolmetscher nutzen könnten. Im Übrigen liegt der Entscheidung für MS Teams die Lage im April 2020 zugrunde. Damals waren andere Plattformen nicht vergleichbar stabil und boten nicht alle notwendigen Anwendungen. Hinzufügen muss ich, dass wir mit Rücksicht auf die auswärtigen Teilnehmer an den Videokonferenzen auf einen barrierefreien Zugang aus dem Browser Wert legen und deshalb nicht auf Lösungen zurückgreifen können, die für interne Zwecke der Justiz bereitstehen. Außerdem benötigen wir eine sehr gute Bild- und Tonqualität. Mit Rücksicht darauf bin ich z.B. zu dem Schluss gelangt, dass Webex nicht in Frage kam. Uns ist aber natürlich klar, dass MS Teams weder eine optimale Lösung in Bezug auf die Funktion bietet, noch seine Anwendung mit Rücksicht auf die mangelnden Einwirkungsmöglichkeiten auf die Einhaltung europäischer Rechtsstandards erstrebenswert ist. Es handelt sich einfach um eine Entscheidung für eine unter den gegenwärtigen Umständen gut funktionierende Software. Die Lage kann sich insofern jederzeit ändern. Zum anderen setzen wir keine integrierten Videokonferenz-Anlagen ein, wie sie etwa Cisco anbietet und wie sie in der Justiz der Länder teilweise vorhanden sind. Wir haben von der Beschaffung solcher Anlagen endgültig Abstand genommen, nachdem wir einerseits Erkundigungen bei verschiedenen Gerichten eingeholt hatten und nachdem wir uns entsprechende Angebote haben unterbreiten lassen. Ausschlaggebend hierfür ist gewesen, dass solche Anlage mit ganz erheblichen Kosten und Festlegungen in Bezug auf die Software für die Gegenwart und Zukunft verbunden sind. Solche Festlegungen kommen für uns wegen der schnellen technischen Entwicklung nicht in Frage. Deshalb haben wir, nachdem wir die erste Anlage schon aus zeitlichen Gründen selbst erstellt und verbessert hatten, diese Anlage für einen ähnlichen Sitzungssaal kopiert. Für einen größeren Sitzungssaal haben wir diese Anlage abgewandelt und an die dortigen Gegebenheiten angepasst. Das System ist verhältnismäßig einfach: Je nach Aufstellung der Anwaltstische setzen wir zwei oder vier Kameras ein. Dabei haben wir uns wegen des großen Kamerawinkels für Logitech Meetup-Kameras entschieden. Maßgebend sind insofern zum einen die Bereite der Richterbank unter Berücksichtigung der pandemiebedingten Abstände und die Breite der Anwaltsbänke ebenfalls unter Beachtung der für die Pandemie geltenden Sitzordnung. Zum anderen muss man berücksichtigen, dass die Sitzungssäle nicht mit Rücksicht auf eine künftige Pandemie eingerichtet worden sind. Deshalb können wir die Kameras nicht in großer Entfernung von den aufzunehmenden Personen aufstellen – eine Anbringung an der Saaldecke scheidet aus verschiedenen Gründen aus, z.B. weil dann anwaltliche oder richterliche Unterlagen ins Bild geraten könnten. Je Kamera benötigen wir einen Rechner. Wir setzen dabei teilweise handelsübliche, in Beug auf CPU, Grafikkarte und Soundkarte leistungsfähige Notebooks, teilweise aber auch speziell für Videokonferenzen vorgesehene, sehr kleine Rechner von Logitech ein. Einer der Rechner wird zur Administration der Videokonferenzen genutzt. An diesen Rechner haben wir auch die Ton-Anlage angeschlossen. In den kleinen Sälen haben wir je acht, per Handschalter an der Sprechstelle bedienbare Kondensator-Mikrofone aufgestellt. Von USB-Mikrofonen sind wir aus zwei Gründen wieder abgekommen: Zum einen reichte die Tonqualität nicht aus, zum anderen bedurfte das An- und Abschalten der Administration seitens unseres mit der Administration der Videokonferenz befassten wissenschaftlichen Mitarbeiters. Eine wirklich flüssige mündliche Verhandlung kam so kaum zustande. Als Interface für unsere Mikrofone setzen wir ein Steinberg UR816C ein, welches an das für die Administration vorgesehene Notebook angeschlossen ist. Die Bilder der Videokonferenz übertragen wir per HDMI auf vier im Saal befindliche 65“-Bildschirme. Zwei sind von der Anwaltsbank aus gut sichtbar, zwei von der Richterbank. Im großen Sitzungssaal habe wir die Anlage nicht nur in Bezug auf den Einsatz von vier Kameras und von drei speziell für Videokonferenzen vorkonfigurierten Rechnern abgewandelt, sondern wir greifen hier für die Ton- und Bildübertragung auf ein Netzwerk zurück, wir haben neben zwei 98“-Bildschirmen auf jedem Tisch kleine Bildschirme aufgestellt, und wir nutzen für die Tonübertragung die saaleigene Tonanlage, die wir mit dem Administratoren-Notebook verbunden haben. Dieses System ist deutlich komplexer, liefert aber auch eine Übertragung von mehr Bildern und erlaubt die Nutzung einer Vielzahl von Sprechstellen ohne Schaltbedarf.

Wie geht der X. Zivilsenat damit um, wenn sich Beteiligte (Parteien, Prozessbevollmächtigte, Zeug:innen) im Ausland aufhalten und von dort aus zugeschaltet werden sollen?

Wir haben zu Beginn unserer Praxis die Teilnahme von Beteiligten an mündlichen Verhandlungen per Videokonferenz von Orten im Ausland besprochen. Das Ergebnis der Beratung ergibt sich aus unserer fortgesetzten Praxis. Man kann das z.B. so begründen, dass die Territorialhoheit durch eine bloße Gestattung im Sinne des § 128a Abs. 1 S. 1 ZPO nicht berührt wird, weil der Ort der Verhandlung nach dem Gesetz unverändert der Gerichtsort ist. Zwischenzeitlich hat es nach meinen Informationen zwar Gespräche der Rechtshilfereferenten der Landesjustizministerien und des Bundesjustizministeriums gegeben und dabei ist man offenbar zu einem anderen Ergebnis gelangt. Zum einen handelt es sich dabei aber nicht um eine Gerichtsentscheidung, sondern um eine von bestimmten Mitarbeitern der Justizministerien vertretene Rechtsauffassung. Zum anderen sind wir aus guten Gründen anderer Meinung. Ich kann deshalb keinen Grund erkennen, von unserem Verständnis des § 128a ZPO abzuweichen. Von der Teilnahme auswärtiger Parteivertreter an Videokonferenzen zu unterscheiden sind auf diesem Weg durchgeführte Beweisaufnahmen. Eine Zeugenvernehmung per Videokonferenz haben wir bisher erst einmal durchgeführt. Dabei haben wir einen den Mitarbeiter einer in Italien sitzenden Klägerin als Zeugen vernommen. Neben § 128a ZPO ist dabei das Unionsrecht zu beachten. Ich will aber nicht verschweigen, dass diese Zeugenvernehmung nach meiner Überzeugung nur deshalb ausgereicht hat, weil sich die plausiblen Angaben des Zeugen mit unstreitigen Umständen sowie einer anderen Zeugenaussage vereinbaren ließen und sich in das Gesamtbild fügten. Ein kurzer abschließender Hinweis zu diesem Komplex: Die Schaffung von Rechtsgrundlagen auch für die Durchführung von Videokonferenzen mit Beteiligten aus dem Ausland könnte sehr leicht die Gewährung effektiven Rechtsschutzes behindern. So könnte man aus einer entsprechenden EU-Verordnung etwa den Schluss ziehen, dass die Teilnahme im Ausland sitzender Personen an Videokonferenzen nach § 128a ZPO nach Ansicht des Gesetzgebers in jedem Fall der Rechtshilfe und einer besonderen Rechtsgrundlage hierfür bedürfte. Eine solche mag zwar in Bezug auf die Europäische Union eventuell zeitnah geschaffen werden können, nicht aber hinsichtlich der USA und aller übrigen bedeutsamen Staaten. Jede Änderung des § 128a ZPO und jedes Eingreifen des Gesetzgebers in Bezug auf den Gesichtspunkt der Territorialhoheit kann deshalb ungeachtet guter Absichten eine gravierende Behinderung des effektiven Rechtsschutzes zur Folge habe. Ich hoffe insofern auf ein hinreichendes Problembewusstsein bei allen Beteiligten.

Halten Sie die gegenwärtige Regelung in § 128a ZPO sonst für ausreichend oder bedarf es Ihrer Ansicht nach Änderungen der Rechtslage und wenn ja, in welcher Hinsicht?

Ich habe die im Zusammenhang mit § 128a ZPO und § 227 ZPO auftretenden Schwierigkeiten bereits erläutert und möchte nur hinzufügen, dass wir einerseits durch § 169 Abs. 1 S. 2 GVG daran gehindert sind, sowohl das Video- als auch das Audio-Signal für die Öffentlichkeit in einen anderen Saal zu übertragen, dass andererseits große Sitzungssäle nicht stets bereitstehen. Allerdings erlauben uns die gegenwärtigen Regelungen ungeachtet der mit ihnen verbundenen Probleme eine fast ungehinderte Arbeit. Durch unbedachte Änderungen könnte hier viel zerstört werden. Trotzdem denke ich, dass in Bezug auf die § 128a, § 227 ZPO und § 169 GVG einige, zielgerichtete Änderungen sehr helfen könnten. Noch wichtiger wird indessen sein, dass die Gerichte die erarbeiteten Fortschritte künftig nicht wieder ersatzlos fallen lassen, sondern daran festhalten und weitere Fortschritte, z.B. in Bezug auf die Nutzung elektronischer Akten während der Verhandlung und Beratung, machen. Wir alle sollten aus der Pandemie und den offensichtlich gewordenen Defiziten der Justiz den Schluss gezogen haben, dass man sich moderner Hard- und Software nicht nur vorübergehend bedienen kann, um dringende Probleme zu lösen, sondern dass man sich auch ihre Vorteile bei der täglichen Aktenbearbeitung zunutze machen kann. Ich selbst habe mich z.B. unserem Vorsitzenden angeschlossen und gehe gewöhnlich nicht mehr mit Unterlagen in Papierform in die Verhandlung, sondern mit einem Tablet und einem Aktenexzerpt als pdf. So kann ich viel schneller als zuvor die wichtigen Passagen finden und notfalls auch die üblichen Datenbanken befragen.

Gibt es Vorfälle in den Verhandlungen, die Ihnen in besonders Erinnerung geblieben sind?

Alle Beteiligten haben sich an die Durchführung von Videokonferenzen erst gewöhnen und hierauf einrichten müssen. Nach meinem Eindruck konnte man insbesondere in der Anfangszeit die vom Autofahren bekannten Phänomene beobachten, also z.B. unbedachte Gesten. Auch haben nicht alle Beteiligten bei der Wahl ihrer Kleidung bedacht, dass ihr Bild übertragen wird. Schließlich haben die Teilnehmer nicht selten vergessen, ihre Mikrofone auszuschalten, sodass wir alles mithören konnten und mussten. Das war teilweise schon sehr lustig. Allerdings habe ich mir auch die Frage gestellt, was ich eigentlich so treibe, während ich zuhöre und nachdenke, und welche Bilder sich daraus ergeben. In positiver Hinsicht ist mir ein Rechtsanwalt in Erinnerung geblieben, der von München aus an einer unserer Verhandlungen teilgenommen hat. Im Laufe der Verhandlung hatte sich bei uns ein auf die Schnelle nicht lösbares, technisches Problem ergeben. Das hatte zur Folge, dass zwar die Teilnehmer der Videokonferenz die eingeblendeten Dokumente sehen konnten, wir im Saal aber nicht. Er hat das Problem geistesgegenwärtig gelöst, indem er seinen Bildschirm geteilt hat. Großartig!

Wie sieht Ihr Fazit nach einem Jahr Videoverhandlungen aus?

Innerhalb eines Jahres habe ich mehr Veränderungen in einem Gericht erlebt als in den 20 Jahren richterlicher Tätigkeit davor. Wenn die Justiz dieses Tempo der Veränderung beibehält, dann wird auch die Einführung der E-Akten gelingen und wir werden in wenigen Jahren eine völlig veränderte Arbeit erleben. Veränderungen sind allerdings nicht nur zum Guten möglich. Dementsprechend bedarf es besonders in den nächsten Jahren und bei den anstehenden, gravierenden Veränderungen der Einbringung und Durchsetzung richterlicher Bedürfnisse. Darin liegt vor allem eine Botschaft an uns Richter: Wenn wir eine möglichst optimale Arbeitsumgebung als Voraussetzung guter Ergebnisse wünschen, können wir die Arbeit daran nicht anderen überlassen. Die auf den Vorsitzenden Dr. Bacher zurückgehende Praxis des X. Zivilsenats in Bezug auf § 128a ZPO und Videoverhandlung ist ein gutes Beispiel hierfür: Wenn Herr Dr. Bacher auf die Unterstützung der dafür zuständigen Mitarbeiter der Gerichtsverwaltung gewartet hätte, gäbe es die hier vorgestellte Praxis heute nicht. Im letzten Jahr haben wir festgestellt, dass die Gerichtsverwaltung gerade mit sehr kurzfristigen Veränderungen der richterlichen Bedürfnisse teilweise überfordert ist und dass hier richterliche Initiative und Mitwirkung dringend nötig sind.

Lieber Herr Dr. Rensen, ganz herzlichen Dank für die Antworten und den Einblick!


Zur Person: Dr. Hartmut Rensen ist Richter am Bundesgerichtshof und dort dem X. Zivilsenat zugewiesen. Er ist außerdem IT-Beauftragter des Bundesgerichtshofs.