Richtige Entscheidungsform bei fehlender Anspruchs­begründung

Irgendwie schon sehr (zu?) lange in meinem Entwürfe-Ordner liegt das Urteil des OLG München vom 22.05.2019 – 15 U 146/19. (Und ja, es häufen sich hier in letzter Zeit Besprechung von Entscheidungen des OLG München, ohne dass ich dafür einen Grund erkennen könnte...) In dem Urteil geht es um eine so umstrittene wie lehrreiche Frage, nämlich die richtige Entscheidungsform, wenn die klagende Partei nach einem vorangegangenen Mahnverfahren auch im Termin keine Anspruchsbegründung vorlegt und nicht erscheint. Vertreten werden insoweit insgesamt drei Lösungen: Die Abweisung der Klage 1.) durch Prozessurteil als unzulässig, 2.) durch Versäumnisurteil oder 3.) durch Endurteil als unbegründet.

Sachverhalt

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von Rechtsanwaltsvergütung in Anspruch. Im Mahnbescheid vom 15.11.2017 verlangte der Kläger vom Beklagten die Zahlung von „Rechtsanwalts-/Rechtsbeistandshonorar“ gemäß Rechnung 1740 vom 25.09.2017 in Höhe von 5.697,78 € und gemäß Rechnung 1603 vom 17.04.2016 in Höhe von 657,40 € nebst Zinsen und Kosten. Auf den Widerspruch des Beklagten wurde das Verfahren an das Landgericht München II abgegeben, das auf einen entsprechenden Antrag des Beklagten Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumte. Der Aufforderung in der Terminsverfügung, seinen Anspruch nach § 697 Abs. 3 ZPO zu begründen, kam der Kläger nicht nach; im Termin am 24.9.2018 erschien für den Kläger niemand. Das Landgericht hat die Klage daraufhin durch Endurteil abgewiesen und dazu ausgeführt, die Klage sei zulässig aber unbegründet, da im Termin keine schlüssige Klagebegründung vorgelegen habe. Dagegen wendete sich der Kläger.

Ist die Klageforderung auf die Zahlung von Geld gerichtet und nicht von einer Gegenleistung abhängig oder die Gegenleistung erbracht (§ 688 Abs. 1, 2 Nr. 2 ZPO) und besteht die Möglichkeit, dass die beklagte Partei sich nicht verteidigen wird, ist das Mahnverfahren die günstigste Möglichkeit, einen Titel zu erhalten. Denn im Mahnverfahren muss die antragstellende Partei lediglich eine 0,5 Gerichtsgebühr verauslagen, während im Klageverfahren drei Gerichtgebühren fällig werden. Im Mahnverfahren ergeht zunächst auf Antrag des Antragstellers ein Mahnbescheid, der dem Antragsgegner zugestellt wird und gegen den dieser Widerspruch einlegen kann. Geht kein Widerspruch ein, ergeht auf Antrag ein Vollstreckungsbescheid. Dieser ist ein Vollstreckungstitel und steht einem Versäumnisurteil gleich, gegen diesen kann das Antragsgegner deshalb Einspruch einlegen. Hier hatte der Antragsgegner gegen den Mahnbescheid Widerspruch eingelegt, woraufhin die Sache (auf Antrag des Klägers) an das Landgericht München II als Gericht der Hauptsache abgegeben worden war. Der Aufforderung, eine Anspruchsbegründung einzureichen (§ 697 Abs. 1 ZPO) war der Kläger aber nicht nachgekommen. Deshalb hatte der Beklagte beantragt, einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen (§ 697 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Mit der Terminsbestimmung hatte das Gericht den Kläger nochmals aufgefordert, eine Anspruchsbegründung vorzulegen (§ 697 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Trotzdem fehlten im Termin sowohl die Anspruchsbegründung als auch der Kläger. Und nun stellte sich die Frage, wie das Gericht entscheiden musste: War die Klage schon als unzulässig abzuweisen, weil es an den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO fehlte? Oder war die Klage zulässig? Und war dann durch Endurteil zu entscheiden oder durch Versäumnisurteil? Das Landgericht hatte sich für die am weitesten gehende Lösung entschieden und die Klage durch Endurteil (endgültig) abgewiesen, wogegen sich der Kläger wendete.

Entscheidung

Das OLG hat das Endurteil aufgehoben und sie Sache zurückverwiesen:

„Das Landgericht hat fehlerhaft durch ein instanzbeendendes Endurteil anstatt durch (erstes) Versäumnisurteil entschieden. Seine Entscheidung war aufzuheben und das Verfahren zurückzuverweisen. (…)

a) Die Entscheidung des Landgerichts durch ein klageabweisendes Sachurteil (Endurteil), das die Klage als unbegründet abweist, erfolgte verfahrensfehlerhaft; richtigerweise hätte das Landgericht ein klageabweisendes Versäumnisurteil nach § 330 ZPO erlassen müssen.

aa) Der Kläger war vor dem LG München II im Termin am 24.09.2018 säumig.

bb) Die nach Abgabe beim Landgericht München II rechtshängige Klage war zulässig; insbesondere war der Gegenstand des Rechtsstreits hinreichend individualisiert (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

(1) Wird eine Klage rechtshängig, die nicht § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entspricht, also über keine oder eine unzureichende Begründung verfügt (…) und bessert der Kläger trotz eines Hinweises nicht nach, wird die Klage als unzulässig abgewiesen (…). Die Klageabweisung als unzulässig erfolgt unabhängig davon, ob der Kläger zum Termin erscheint oder nicht; Säumnis spielt also keine Rolle (…).

(2) Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen, ist streitig, ob das Fehlen der Anspruchsbegründung (§ 697 Abs. 1 Satz 1 ZPO) zur Unzulässigkeit der Klage führt.

Das ist nach der starken Auffassung in der Literatur der Fall (…). Nach der Gegenauffassung liegt mit Blick auf die Rechtshängigkeit des Mahnverfahrens dagegen kein Fall der nicht ordnungsgemäßen Klageerhebung vor, weshalb die Klage auch nicht unzulässig ist (…).

Nach Auffassung des Senats ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Angaben im Mahnbescheid ausreichen, dem Begründungserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen (…); ist dies der Fall, führt das Fehlen einer Anspruchsbegründung nicht zu Unzulässigkeit der Klage. Dies folgt aus diesen Erwägungen:

Nach Abgabe des Mahnverfahrens an das Streitgericht wird das Verfahren dort mit Eingang der Akten anhängig (§ 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und (ggf. sogar rückwirkend, § 696 Abs. 3 ZPO), rechtshängig (…). Die Frage muss daher lauten, ob über diesen rechtshängigen (Klage-)Anspruch eine Sachentscheidung (zu der auch das Versäumnisurteil nach § 330 ZPO gehört …) ergehen kann. Dies richtet sich danach, ob die Sachurteilsvoraussetzungen (…) vorliegen. Dazu muss der eingeklagte Anspruch hinreichend bestimmt, also „individualisierbar“ sein (siehe § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Schlüssigkeit des Klagevortrags oder gar das Angebot von Beweismitteln durch den Kläger zählen dagegen nicht zum notwendigen Inhalt der Klageschrift und zur danach gebotenen Individualisierung (…)

Entscheidend ist danach, ob der Mahnbescheid vom 15.11.2017 den Klageanspruch bereits so eindeutig beschreibt, dass er auch in einer Klage (ohne weitere Ausführungen zur Begründung des Anspruchs) bestimmt („individualisierbar“) geltend macht wird (…).

Dies war vorliegend der Fall, weshalb die Klage zur Zeit der mündlichen Verhandlung vor dem LG München II zulässig war. Zwischen den Parteien bestehen außer dem hier streitigen Rechtsanwaltsvertrag keine weiteren (Rechts-)Beziehungen. Die im Mahnbescheid aufgeführten Rechnungen waren dem Beklagten zuvor übersandt worden. Aus den darauf Bezug nehmenden Angaben des Mahnbescheids konnte eindeutig entnommen werden, welche anwaltliche Vergütungsforderung für welche anwaltliche Vertretung der Kläger vom Beklagten fordert. Auch eine Klageschrift (§ 253 Abs. 1 ZPO) nur mit den Informationen aus den beiden Rechnungen zusammen mit den Angaben des Mahnbescheids hätte die Klageforderung vor dem Hintergrund des einfach strukturierten Sachverhalts ausreichend bestimmt vorgetragen.

cc) Die Entscheidung durch klageabweisendes Sachurteil war unzulässig; das Landgericht München II wendet § 330 ZPO fehlerhaft nicht an. Es hat stattdessen durch kontradiktorisches Urteil entschieden, obwohl es – auf der Grundlage seiner zutreffenden Rechtsauffassung zur Zulässigkeit der Klage – (nur) durch Versäumnisurteil hätte entscheiden können.

(1) Das Landgericht geht bei Säumnis des Klägers - unausgesprochen - von einem Wahlrecht des Gerichts oder des Gegners zwischen einem Versäumnisurteil (VU) nach § 330 ZPO und einem klageabweisenden Endurteil (EU) bei einer unschlüssigen Klage aus, wenn der Kläger säumig ist.

Dies findet im Gesetz keine Stütze, da bei Säumnis des Klägers bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 330 ZPO durch VU oder nach Lage der Akten entschieden wird (…). Die Kommentierungen zu § 697 ZPO, die bei Fehlen einer Anspruchsbegründung von der Zulässigkeit der Klage ausgehen, gehen nicht näher darauf ein, in welcher Urteilsform bei Säumnis des Klägers zu entscheiden ist.

Der dort zu findende Hinweis, dass bei Fehlen einer Anspruchsbegründung die Klage „im Termin“ als unbegründet abzuweisen ist, setzt das Verhandeln beider Parteien und damit die Anwesenheit des Klägers voraus. Damit ist aber keine Aussage dazu verbunden, dass eine solche Klage (ggf. wahlweise) bei Säumnis des Klägers mit Endurteil als unbegründet abgewiesen werden kann. Dies richtet sich vielmehr nach den Dispositionsmöglichkeiten, die §§ 330 ff. ZPO dem Beklagten eröffnen.

Nach dem in der ZPO verfolgten Prinzip der Mündlichkeit wird der in den vorbereitenden Schriftsätzen enthaltene Tatsachenvortrag erst mit dem Verhandeln der Partei zum Gegenstand des Verfahrens (§§ 137 Abs. 1, 3 Satz 1, 297 Abs. 1, 2 ZPO). Soweit eine Partei säumig ist oder nicht verhandelt (§ 333 ZPO), trägt sie nicht vor, mögen entsprechende Ausführungen in Schriftsätzen vorliegen oder nicht. Das Fehlen einer Anspruchsbegründung des Klägers spielte daher im Termin am 24.09.2018 keine entscheidende Rolle, da auch eine vorhandene Klage- oder Anspruchsbegründung ohne Bedeutung gewesen wäre. Zudem lagen die Voraussetzungen eines Endurteils nach § 300 Abs. 1 ZPO am 24.09.2018 nicht vor, da der Rechtsstreit ohne eine streitige mündliche Verhandlung noch nicht im Sinne einer Klageabweisung als unbegründet „entscheidungsreif“ ist. Gegen die Möglichkeit eines Sachurteils in Form eines Endurteils spricht schließlich auch die Vorschrift des § 331a ZPO. Diese soll in der Säumnissituation statt des VU eine alternative Möglichkeit der Sachentscheidung durch ein kontradiktorisches Urteil mit instanzbeendender Wirkung schaffen (…). Auch dies zeigt, dass ein einseitiges Verhandeln keine Grundlage für instanzbeendendes Endurteil nach § 300 Abs. 1 ZPO sein kann.

(2) Das Endurteil vom 24.09.2018 stellt auch kein kontradiktorisches Urteil nach Lage der Akten (§ 331a ZPO) dar.“

Anmerkung

Erfahrungsgemäß haben es manche Inkassounternehmen besonders dann nicht eilig, eine Anspruchsbegründung vorzulegen, wenn bereits ein Vollstreckungsbescheid ergangen ist und das Verfahren nach einem Einspruch abgegeben wurde (§ 700 Abs. 5 ZPO). Die vom OLG aufgestellten Grundsätze dürften dann entsprechend gelten: Bei Säumnis der klagende Partei wäre durch Versäumnisurteil gem. § 330 ZPO der Vollstreckungsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen. In Bagatellverfahren (§ 495a ZPO) dürfte es allerdings – wie auch sonst – zulässig sein, statt durch Versäumnisurteil durch Endurteil zu entscheiden, sofern darauf (in der Ladungsverfügung) hinreichend deutlich hingewiesen wurde (s. dazu nur BeckOK-ZPO/Toussaint, § 495a Rn. 22-24). tl;dr: Fehlt im Termin zur mündlichen Verhandlung die Anspruchsbegründung, ist die Klage zulässig, wenn der Klageanspruch anhand der Angaben aus dem Mahnbescheid hinreichend individualisierbar ist. Ist der Kläger säumig, ist entweder durch Versäumnisurteil nach § 330 ZPO oder, soweit die Voraussetzungen gegeben sind, durch Urteil nach Lage der Akten (§ 331a ZPO) zu entscheiden. Anmerkung/Besprechung, OLG München, Urteil vom 22.05.2019 – 15 U 148/19. Foto:  Rufus46, Oberlandesgericht Muenchen-1, CC BY-SA 3.0